Mit „Dance Monkey“ schrieb die Australierin Toni Watson aka Tones And I einen der größten Hits dieses Jahrtausends. Nach einer pandemischen Zwangspause und dem Streben nach Perfektion erscheint mit „Beautifully Ordinary“ endlich ihr zweites Studioalbum. Im „Krone“-Interview spricht sie u.a. über den Druck, sich ständig an einem Welthit messen zu müssen.
Es gibt Hits, dann gibt es Hits und dann gibt es „Dance Monkey“. Als der Song im Mai 2019 als zweite Single von Toni Watsons aka Tones And I’s Debüt-EP „The Kids Are Coming“ das Licht der Welt erblickte, konnte man schon ahnen, dass hier ein beachtlicher Erfolg möglich wäre. Nicht wissen konnte man zu der Zeit freilich, welch ausufernde Blüten die flotte Dance-Nummer nehmen würde. In 38 Ländern landete der Song an der Spitze der Charts, in Watsons Heimat Australien gar 24 Wochen am Stück, womit der Uralt-Rekord aus 1943 (Bing Crosby mit „White Christmas“ für 22 Wochen) ausgelöscht wurde. Elf Wochen an der Spitze der UK-Single-Charts gelang noch nie zuvor einer Frau und in den USA war es der erste Top-5-Song nach mehr als acht Jahren, der alleine von einer Frau geschrieben wurde. Mit mehr als drei Milliarden Streams ist „Dance Monkey“ der acht erfolgreichste Song aller Zeiten und der erfolgreichste weiblich gefertigte.
Die kühnsten Erwartungen übertroffen
„Sieh dir nur all die erfolgreichen Künstlerinnen da draußen an“, lacht Tones And I im „Krone“-Interview, „da sind Kaliber dabei, die für mich richtige Idole sind, aber sie kommen nicht an diese Streamingzahlen ran, das ist absolut irre. Schon mit 100.000 Streams wäre ich mehr als glücklich gewesen, aber das übertraf natürlich meine kühnsten Erwartungen.“ Kurios ist dabei, dass „Dance Monkey“ für Millionen von Menschen ein lässiger Partykracher ist, von Tones And I aber mit einer negativen Emotion geschrieben wurde. „In einer halben Stunde war er fertig. Als ich damals noch Straßenmusikerin in Australien war, ging ein Haufen besoffener Typen an mir vorbei und warf mir das Keyboard vom Steher. Einer wollte mir mein Geld wegnehmen und immer, wenn ich mit ihnen in den Dialog treten wollte, schrien sie ,sing, sing sing‘. Das Wort ,dance‘ kam mir dann irgendwie passender und universeller vor. Ich war wütend und frustriert - und sieh, was daraus geworden ist.“
An den bahnbrechenden Erfolg dieses frühen Songs kam Tones And I nicht mehr ran, noch dazu kam es wenig später zur leidigen Corona-Phase, wodurch ihr 2021 veröffentlichtes Debütalbum „Welcome To The Madhouse“ global nicht so einschlagen konnte, wie es geplant war. „Wenn du die Covid- und Straßenmusikerjahre an der Byron Bay wegrechnest, habe ich gerade mal zwei Jahre Karriere“, lacht die Powerfrau laut auf, „ich wollte ,Dance Monkey‘ noch nicht mal veröffentlichen, sondern nur auf der Straße spielen. Jetzt will ich mir selbst aber auch die Chance geben, mich auszuprobieren und in der Musikszene zu reüssieren.“ Toni Watson ist in erster Linie eine Powerfrau, die ihr Herz auf der Zunge trägt und damit ihren Fans aus der Seele spricht. „Der Song ,Johnny Run Away‘ dreht sich um das Coming-Out meines besten Freundes, das von seinem Vater nicht gut aufgenommen wurde. ,Georgia‘ dreht sich um ein Mädchen, das online immer gemobbt wurde und dem nicht entkommen kann, weil uns das Internet total im Griff hat. Ich erzähle spezifische Geschichten so vage, dass sie jedem bekannt vorkommen.“
Streben nach Perfektion
An der Last eines zweiten Albums wäre Watson zwischenzeitlich fast zerbrochen. Seit mehr als zwei Jahren kündigt sie den heiß ersehnten Nachfolger an, feuerte dann aber lieber eine Single nach der anderen in den Orbit und ließ mehrere Gelegenheiten für eine Full-Length verstreichen. „Ich will immer, dass alles so perfekt wie möglich ist. Ich weiß, dass das nicht geht, aber ich strebe danach und das hält mich auf.“ „Beautifully Ordinary“ nennt sich nun das üppige, mehr als eine Stunde dauernde Album, an dem Watson akribisch und detailversessen geschraubt hat. „Jeder Song erzählt eine andere Geschichte, die auf den jeweiligen Moment bezogen ist, ich hatte nie eine übergeordnete Story im Kopf. Es gibt einen Unterton von Einsamkeit, Liebeskummer, Verzweiflung, Angst, Verletzlichkeit und Triumph, und den fröhlichsten Liedern liegen die traurigsten Geschichten zugrunde.“ Die nicht nur als Sängerin und Songwriterin, sondern auch als Ko-Produzentin tätige Australierin setzt auf Nostalgie, den inneren Frieden und die Suche nach sich selbst.
Tones And I hat vor allem keine Angst vor großen und eingängigen Melodien. „Es hat einen Grund, warum Mainstream-Künstlerinnen im Mainstream sind. Sie machen großartige Musik und die Masse liebt das. Adele etwa ist der schiere Wahnsinn. Auch Sia ist eine unglaubliche Sängerin mit einer fantastischen Stimme – zudem ist sie ein echtes ,Australian Girl‘.“ Bevor Tones And I vor wenigen Tagen beim renommierten Poolbar Festival im vorarlbergischen Feldkirch begeisterte, spielte sie nur einmal in Österreich - als Vorband von Macklemore 2023 in der Wiener Stadthalle. „Mit Ben habe ich schon drei Touren absolviert und die gesamte Crew ist entzückend. Jeder achtet darauf, dass es den anderen gut geht und die Stimmung in Ordnung ist. Ich war mit einer 13-köpfigen Bande auf der Bühne und sie alle blieben dann noch einen Monat länger in Europa, um den Kontinent zu erkunden. Gerade nach Corona war die Tour eine Wahnsinnserfahrung.“
Das Lied spüren
Sich nicht mit dem Jahrhunderterfolg von „Dance Monkey“ zu messen, sei es bewusst oder unbewusst, wird für die 31-Jährige eine Lebensaufgabe bleiben. Anstatt sich diesen Vergleichen zu stellen, arbeitet sie aber einfach akribisch weiter. Am neuen Album, an Songs für Filmsoundtracks, an Kollaborationen und auch als Songwriterin für andere Künstler, wo die Range von orchestralen Songs bis hin zu beatlastigen EDM-Brechern geht. „Ich schreibe einfach gerne Lieder. Egal für wen. Meine eigenen sind da etwas spezieller, weil sie immer stark mit Emotionen verbunden sind. Ich muss meine eigenen Songs aufnehmen, solange ich sie spüre. Ist die erste Emotion erst einmal weg, dann interessiert mich auch das Lied nicht mehr.“ Der milliardenfach gestreamte Topstar bleibt bescheiden: „Ich erwarte mir grundsätzlich immer wenig und freue mich, wenn ich dann mehr kriege. Ich spiele auch gerne in Clubs. Hauptsache, die Leute gehen dazu ab und wir haben alle einen guten Abend. Solange es Menschen gibt, die mich sehen wollen, werde ich weitermachen.“
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