Österreichs reichweitenstärkster Privatsender ServusTV steigt erstmals intensiv in den Politwahlkampf ein. Im großen „Krone“-Interview spricht Moderator Michael Fleischhacker über eine gute Gesprächsqualität, warum man immer ergebnisoffen an die Sache herangehen muss und weshalb man auf ein eher klassisches Setting setzt.
„Krone“: Herr Fleischhacker, ServusTV startet am 14. August mit Ihrem Gespräch mit SPÖ-Chef Andreas Babler in die Wahlkampfberichterstattung. Viele andere Sender sind schon viel früher dran …
Michael Fleischhacker: Wir wollten die Sendungen konzentrieren und nachdem der Parlaments-Kehraus Anfang Juli ist, wollen das Publikum und die politischen Protagonisten vielleicht auch mal etwas Ruhe haben, bevor es wieder weitergeht. Wir haben geschätzt, dass es ab Mitte August so richtig intensiv werden wird. Der Gedanke dahinter war, dass die Politik vielleicht einen kurzen Wahlkampf haben will - so machen wir das auch.
Überlegt man sich als Sender, wie viel Innenpolitik man dem potenziellen Seher im Hochsommer zumuten kann und will?
Durchaus. Vielleicht wollen die Leute selbst Abstand haben. Ob das stimmt, ist schwer zu sagen.
Welche Spitzenkandidaten werden wir bei Ihren Talks sehen? Wo ziehen Sie den Strich?
Wir haben die Spitzenkandidaten der jetzigen Parlamentsparteien eingeladen. Dazu gibt es eine Elefantenrunde und Zweiergespräche. Wir wollen nicht mehr als zehn zusätzliche Sendungen zu den normalen Talks machen. Der ORF betreibt das bis zum Exzess, wir sind als Sender aber nicht so stark auf Innenpolitik konzentriert. Wir machen mehr, als wir bislang je gemacht haben, was auch dem geschuldet ist, dass wir reichweitenstärkster Privatsender sind. Wir haben eine größere Verantwortung und wollen diese Rolle ausführen.
Die Diskussionen beginnen heute Abend (21.15 Uhr) mit SPÖ-Chef Andreas Babler. Warum ist er der Erste im Reigen?
Früher ist man immer von der kleinsten zur größten Partei gegangen, aber das halte ich für Sandkastenspiele. Wir haben mögliche Terminslots aufgemacht, sie an alle Parteichefs geschickt und dann geschaut, wie alles zusammenpasst. Wir haben keine Hierarchien aufgestellt, das ist mir zu kindisch.
Nachdem der Mitbewerb schon sehr viel Erfahrung mit politischer Berichterstattung hat – wo setzt ServusTV an, Dinge anders oder besser zu machen?
Man denkt sich im Vorfeld immer, dass man etwas Innovatives machen muss. Das Innovativste ist aber, alles total altmodisch zu machen. Mich interessiert der Mensch hinter dem Politiker gar nicht so. Das Publikum will wissen, wer ihre Stimme will und warum. Wenn man eine Stunde lang ein intensives Gespräch über relevante Themen führt, lernt man den Menschen kennen, auch ohne Tricks und Gadgets zu benützen. Der Wunsch, ein Gespräch und kein Interview zu führen, ist heute fast schon innovativ. Bei vielen Interviews im Fernsehen bemerke ich, dass der Interviewer gar nicht am Gegenüber interessiert ist. Es ist ein Spiel mit Erwartungen, aber nie ergebnisoffen. Reine Interviews werden auch für die Zuseher fad, weil sie dann nichts hören, was sie nicht schon kennen.
Sind das Grundwissen und die Vorbereitung zu den Fakten seitens des Interviewers weniger wichtig als Spontanität, um ein offenes Gespräch zu führen?
Eher im Gegenteil. Die Spontanität braucht die perfekte Vorbereitung. Wenn ich überhaupt nicht mehr nachdenken muss, was im Programm passiert und ich alles intus habe, dann kann ich spontan und offen sein. Dauernd auf Details herumzuhacken, ist für mich eher ein Zeichen von mangelnder Vorbereitung.
Zu einem guten Gespräch gehört, dass das Gegenüber die Fragen inhaltsreich beantworten und auf sie eingehen soll, was in der Politik oft nicht der Fall ist. Kann man lernen, Politiker dazu zu bringen?
Das ist auch eine Nervenfrage. Man muss resilient genug sein und notfalls auch fünfmal nachfragen. Meine Erfahrung mit Gesprächspartnern in für sie schwierigen Situationen ist, dass sie merken, ob man sie kriegen will oder ob man wirklich mit ihnen reden will. Die Offenheit für ein echtes Gespräch ist in solchen Situationen die beste Möglichkeit, um vorsichtige Leute zu einer freien Unterhaltung zu bringen. Das geht dem Markt ein bisschen ab.
Dass wir beklagen, wir würden immer nur dieselben Stehsätze kriegen, hängt auch damit zusammen, dass es vielfach eine polarisierte Medienlandschaft gibt, in der jeder Journalist und jeder Sender selbst eine politische Position behaupten will. Natürlich hat jeder eine Meinung, aber man muss sich so gut wie möglich herausnehmen. Ich habe das Glück, dass ich selbst keine starke politische Meinung habe – das unterstützt die Unbefangenheit.
Ist diese Objektivität bei Ihnen erst im Laufe der Jahre eingetreten?
Genau. Ich bin in der Meinungsbranche groß geworden. Ich schrieb keine Reportagen, sondern Leitartikel und Kommentare. Je mehr man aber von der Welt sieht, umso weniger stark sind die Weltanschauungen. Das eigene Meinungskarussell dreht sich immer schneller und heftiger, aber sobald man dort aussteigt, werden diese Meinungen weicher und abgeschwächter. Manchmal sind die Dinge komplizierter, als sie anfangs scheinen.
Nun haben aber auch Politiker oft starre Meinung und Ansichten bzw. treten manche schon negativ dem Einladenden gegenüber auf. Eine offene Gesprächsführung wird dadurch wieder erschwert.
Man hat immer die eigenen Erwartungen, aber auch die der Gäste, des Publikums und der Anhänger der Gäste. Die meisten Politiker gehen nicht mehr dort hin, wo sie neue Leute überzeugen, sondern dorthin, wo sie ihre Wählerschaft stärken. Es geht nicht darum, möglichst viele Unentschiedene zu überzeugen, sondern die Interessierten zu mobilisieren. Weil wir Mobilisierungswahlkämpfe haben, ist es für viele Sender zunehmend schwerer, alle Kandidaten zu kriegen. Bei einer Wahlbeteiligung von nur mehr ca. 60 Prozent gewinnt der, der von seinen Anhängern die meisten für sich mobilisiert, zur Wahlurne zu gehen. Das verengt die Diskussion und deshalb rechne ich es Politikern hoch an, dass sie so gut wie überall hingehen. Herbert Kickl könnte natürlich sagen, es sind alle gegen ihn und er hätte nichts zu gewinnen, geht aber trotzdem fast überall hin. Als Politiker sollte man schon mit allen reden.
Ein gutes Gespräch zu führen, ist eine eigene Kunst, die immer schwieriger wird, weil in der Gesellschaft alles zunehmend gehetzt wirkt und man nicht mehr tiefer auf das Gegenüber eingeht.
Irgendjemand hat mal gesagt, dass ein wirklich gutes Interview ständig am Rande des Abbruchs sei, aber nie abgebrochen wird. Oft heißt es, dass ein Gespräch zu nett wäre. Ein Gespräch lebt aber auch davon, dass es manchmal freundlich ist. Ich will nicht immer jemanden bombardieren oder überführen. Man verhält sich respektvoll und ist tatsächlich daran interessiert, was der andere sagt.
Stichwort Publikum: Am Ende muss man als Sender dem Wähler den bestmöglichen Service zur Wahlunterstützung bieten. Werden Sie das Publikum in irgendeiner Weise aktiv einbinden?
Es gibt viele Meinungsforschungsinstitute, die einem anbieten, dass man schon während eines Gesprächs eingeblendet bekommt, wen die Zuseher sympathischer oder besser finden, aber davon nehmen wir Abstand. Das muss man alles sein lassen. Wenn man als Sender ohnehin immer mit dem Publikum kommuniziert und sich bei Mailanfragen oder telefonisch austauscht, dann braucht es für eine Wahlkampfzeit keine zusätzlichen Tools, um zu sagen, was wichtig ist. Das sagt uns das Publikum ohnehin die ganze Zeit. Das Setting ist natürlich auf den Wahlkampf abgestimmt, ansonsten machen wir aber, was wir immer machen – möglichst viel für das Publikum aus den Gesprächspartnern herauszuholen. Es gibt aber keine Word-Raps oder dergleichen.
Sie legen die Diskussionen also ganz klassisch an?
Bei den Elefantenrunden hat man immer eine starke Gegenüber-Situation. Oft sind auch noch die Redezeiten eingeblendet und gegenüber den Kandidaten sind manchmal zwei Journalisten, die darauf warten, weiter zu fragen. Wir sitzen ganz normal zusammen und reden. Es gibt nicht den Zwang, in kurzer Zeit viele Programmpunkte herunterzubiegen. Wir reden 70 Minuten miteinander und das sagt über die Menschen mehr aus als irgendwelche Fragebögen, wo jemand erzählt, dass er früher mal mit Teddybären gespielt hat. Bei einigen Diskussionen zwischen Spitzenkandidaten vor der EU-Wahl hat man deutlich gesehen, dass die Gesprächskultur nicht immer so toll war.
Sie wissen eher, was Sie in den Talks nicht machen wollen, als das, was sie machen wollen?
Wir wollen ein möglichst substanzielles, gutes, unterhaltsames und auf Augenhöhe geführtes Gespräch haben, das den Zuschauer eine Stunde später informierter in den Abend entlässt.
Die Gespräche teilen sich auf in die Studios in Wien und Salzburg.
Wir machen alle Einzel- und Zweiergespräche in der Wiener Krieau, weil das von der Studiogröße passt und weil es für die Spitzenkandidaten logistisch leichter ist. Für die große Elefantenrunde am 19. September war uns wichtig, dass wir sie im Hangar-7 haben, was auch funktionieren wird.
Wenn der Faktor Mensch hinter dem Politiker in den Diskussionsrunden nicht so stark von Belang ist, wird er dann in Nebensendungen stärker beleuchtet?
Es gibt eine Reportage, die eher ein Rückblick auf die letzte Legislaturperiode ist. Eher in dem Sinne, was da passiert ist und nicht so sehr, dass wir den Menschen porträtieren. Vielmehr kann ich auch in einer Homestory nicht mehr unterbringen
Die Menschen wissen von den Spitzenkandidaten schon so gut wie alles. Mit welchem Ziel gehen Sie als Gesprächsführer in die Talk-Abende?
Das erste Ziel ist, dass sich hinterher jeder Gast fair behandelt fühlt und der Meinung ist, er hätte ein gutes Gespräch gehabt. Das zweite ist, dass der Gesprächspartner von sich selbst überrascht ist, weil er neue Erkenntnisse gewonnen hat. Das dritte Ziel ist, dass der Gesprächspartner das Ganze gerne noch einmal machen würde. Wir sind als ServusTV kein linker Sender, aber das beeinflusst in keiner Weise, dass wir vom Kommunisten bis zum Rechtspopulisten nicht jedem die gleiche Chance geben, sich um Stimmen zu bewerben. Jede Person wird ernst genommen und gleich behandelt. Jede Position ist legitim, ehrlich und ernsthaft. Egal, ob wir diese Position teilen oder nicht. Das vermisse ich woanders oft.
Wird die Konzentration bei der Berichterstattung beim linearen Fernsehen liegen oder zählen die crossmedialen Plattformen genauso viel?
Wir haben im Vorfeld mehr als üblich auf den Social-Media-Kanälen und im Internet gemacht. Wir machten im Vorfeld noch nie so viele Wahlsondersendungen wie dieses Mal. Vor fünf Jahren sah das natürlich noch anders aus, aber das ist auch der Zeit geschuldet. Die digitale Nutzung steigt an und mit YouTube-Ausschnitt-Clips erreichen wir mitunter auch mal eine Million Seher.
Auch aus der interviewenden Position heraus gibt es verschiedene Herangehensweisen. Manche sind an einem See, andere in einem engen Kammerl. Manche führen Interviews alleine, andere zu zweit oder in journalistischen Gruppen. Wie ist es Ihnen am liebsten?
Ich habe schon etliche Doppelinterviews mit Kolleginnen gemacht und habe auch andere Doppelinterviews beobachtet, aber sie sind nie richtig gut. Man kann in einer Gruppe Gespräche führen, aber zwei Fragende auf einen Gesprächspartner klappt nicht. Das bekommt einen Verhörcharakter. Ein Einzelgespräch ist ein anderes Metier, was es auch für mich spannend macht. Die Spannung mit einem Gast über eine Stunde aufrechtzuerhalten ist eine große Herausforderung, die ich gerne annehme. Gesprächspartner gehen mit einer gewissen Überzeugung in ein Gespräch. Wenn sie mit anderen Inputs hinausgehen, ist das für mich das Schönste. Das muss nicht die große Bekehrung sein, es reichen auch Kleinigkeiten. Das ist auch keine Schande, sondern ganz normal. Wie soll man sonst neu überlegen oder reflektieren? Sonst bräuchte man ohnehin nicht mehr miteinander zu reden.
Warum sollte ich als Fernsehzuseher zur politischen Berichterstattung ServusTV und nicht einen anderen Sender einschalten?
Bei uns ist viel mehr selbst produziert als bei anderen Sendern, es sind gut 70 Prozent Eigenformate. Das Publikum kann damit rechnen, bei uns die offenste Form eines Gesprächs zu finden. Objektiv ist ein schwieriges Wort, aber definitiv offen. Jeder Gast wird mit einer Ergebnisoffenheit empfangen und behandelt – und mit Respekt für seine jeweiligen Inhalte. Jede dieser Positionen ist legitim und will hinterfragt werden, damit sich die Leute ein besseres Bild machen können, ob die jeweiligen Kandidaten für sie passen. Ich will weder den Herrn Babler davon überzeugen, dass er kein Sozialdemokrat ist, noch den Herrn Kickl, dass er sich politisch drehen soll. Ich möchte nur hinterfragen und sie dazu bringen, ihre Positionen so gut zu erklären, dass die Zuseher sich ein Bild machen können.
Dichte Berichterstattung
Mit dem Talk zwischen ServusTV-Moderator Michael Fleischhacker und SPÖ-Chef Andreas Babler startet der Sender heute Abend ab 21.15 Uhr in die bislang dichteste Wahlkampfberichterstattung der Sendergeschichte. Neben den Wahl-Talks mit den Spitzenkandidaten folgen eine Elefantenrunde, eine „Runde der Ehemaligen“, Analysen und Hintergrundinformationen. Unter www.servustv.com sind Sie immer auf dem neuesten Stand.
Kommentare
Willkommen in unserer Community! Eingehende Beiträge werden geprüft und anschließend veröffentlicht. Bitte achten Sie auf Einhaltung unserer Netiquette und AGB. Für ausführliche Diskussionen steht Ihnen ebenso das krone.at-Forum zur Verfügung. Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.
User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.