„Stille Reserven“

Mütter, Ältere, Teilzeitkräfte im Visier des AMS

Tirol
15.08.2024 11:00

Mehr Arbeitslose, aber auch Fachkräftemangel! Wo die Tiroler AMS-Chefin Sabine Platzer-Werlberger die Lösung sieht und welche Jobsuchenden kaum noch zu vermitteln sind.

„Krone“: Die Arbeitslosenzahlen steigen wieder – in Österreich generell, besonders stark in Tirol. Was erwarten Sie in den kommenden Monaten?
Sabine Platzer-Werlberger: Ein weiteres Ansteigen der Arbeitslosigkeit ist möglich. Die wirtschaftliche Stagnation und hohe Inflation sind zwei Gründe dafür. Betroffen sind vor allem Handel, Industrie und Baubranche, aber auch die Bereiche Verkehr sowie Beherbergung und Gastronomie.

Welche Personen tun sich besonders schwer?
Geringqualifizierte, insbesondere, wenn sie zugewandert sind. Aber auch Jugendliche werden jetzt wieder häufiger arbeitslos und Frauen zwischen 60 und 64 Jahren. Letztere wegen der laufenden Erhöhung des Pensionsantrittsalters. Großer Handlungsbedarf besteht auch bei Langzeitarbeitslosen, oft Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen. Initiativen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt sind dringend notwendig. Das AMS Tirol hilft beispielsweise mit dem neuen Jugendcollege jungen Geflüchteten mit positivem Asylbescheid beim Jobeinstieg.

Im Handel gibt es beim Personal eine hohe Fluktuation.  (Bild: contrastwerkstatt - stock.adobe.)
Im Handel gibt es beim Personal eine hohe Fluktuation. 

Trotz Hochsaison mehr Arbeitslose auch im Tourismus. Wie kann das sein, wo die Branche doch händeringend Fachkräfte sucht?
Das ergibt sich aus der Diskrepanz zwischen Qualifikationen der Arbeitslosen und Anforderungen der Betriebe. Bei Gaststättenköchen kommen auf zehn offene Stellen nur fünf Arbeitssuchende, die zuletzt in diesem Beruf tätig waren. Eine Entspannung der Situation ist vorerst nicht zu erwarten. Dazu kommt, dass die Branche zuletzt Nächtigungsrückgänge verzeichnete.

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Bei Gaststättenköchen kommen auf zehn offene Stellen nur fünf Arbeitssuchende, die zuletzt in diesem Beruf tätig waren.

Sabine Platzer-Werlberger

Der Handel schwächelt. Das zeigt sich bei den AMS-Zahlen und in der Diskussion um Personalabbau beim Tiroler Handelsriesen MPreis. Erwarten Sie einen Aderlass?
Der Handel steht bereits seit Herbst unter Druck, hauptsächlich aufgrund der Kaufzurückhaltung infolge der hohen Inflation. Das AMS Tirol erwartet jedoch keinen dauerhaften Aderlass, sehr wohl aber Umstrukturierungen und Veränderungen, auch aufgrund der Veränderung im Kaufverhalten – Stichwort Online-Shopping. Mit über 1650 beim AMS Tirol gemeldeten offenen Stellen und 460 offenen Lehrstellen ist der aktuelle Personalbedarf im Handel zwar etwas geringer als in den beiden Vorjahren, es besteht aber nach wie vor eine erhebliche Nachfrage, auch aufgrund der hohen Fluktuation in dieser Branche.

Der Kurzarbeits-Antrag von Liebherr für das Werk in Osttirol wurde abgelehnt. (Bild: Martin Oberbichler)
Der Kurzarbeits-Antrag von Liebherr für das Werk in Osttirol wurde abgelehnt.

Der Antrag auf Kurzarbeit für rund 900 Beschäftigte bei Liebherr in Osttirol wurde abgelehnt. Erwarten Sie dort nun viele Kündigungen?
Das Frühwarnsystem wurde bisher nicht ausgelöst. Fakt ist, dass in Osttirol der Fach- und Arbeitskräftemangel groß ist.

Gewerkschaft und Wirtschaftsvertreter fordern wieder mehr Möglichkeiten für Kurzarbeit. Sinnvoll?
Kurzarbeit ist nur bei vorübergehenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten sinnvoll. Es ist ein Kriseninstrument und keine Lösung für dauerhafte wirtschaftliche Probleme von Betrieben.

(Bild: Krone KREATIV/stock.adobe.com)

Was tun gegen den Fachkräftemangel?
Dieser ist aktuell eine der größten Herausforderungen. Wir setzen auf schnelle Vermittlung, Qualifizierung und Mobilisierung der stillen Reserve, insbesondere Frauen mit Betreuungspflichten, Ältere oder Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen, die nicht erwerbstätig sind, aber arbeiten möchten. Oder auch Teilzeitkräfte, die aufstocken möchten. Zudem liegt der Fokus auf überregionaler Vermittlung und Qualifizierung von Fachkräften über Stiftungen, wie jene im Bereich Kinderbetreuung, Pflege oder für „Green Jobs“.

Die Zahl der Lehrstellensuchenden steigt. Ist Lehre wieder auf dem Vormarsch?
Ein wichtiger Indikator für die Attraktivität der Lehrausbildung ist der Anteil der 15-Jährigen im ersten Lehrjahr im Vergleich zur Altersgruppe gesamt. Dieser Anteil ist österreichweit wieder auf Vor-Corona-Niveau gestiegen, lag 2022 in Tirol bei 43,4 Prozent, was über dem Bundesschnitt von 40,7 Prozent liegt. Auch die konstanten Lehrlingszahlen zwischen 10.000 und 11.000  zeigen, dass die Lehre zumindest in Tirol weiterhin attraktiv ist.

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