„Luck And Strange“

David Gilmour: Doch noch kein Schwanengesang

Musik
06.09.2024 09:00

Das einstige Pink-Floyd-Mastermind David Gilmour stellt sich auf „Luck And Strange“ altersbedingte Existenzfragen, lässt sich mit 78 aber noch aus dem gewohnten Kokon führen und wagt Unerwartetes. Ein gediegen-entschlacktes Altherrenwerk, das sich nicht vor der eigenen Diskografie verstecken muss.

(Bild: kmm)

Welch dauergrantelnder Zeitgenosse Gitarrenlegende David Gilmour eigentlich ist, geht aufgrund des verhaltensauffälligen Ex-Kollegen Roger Waters in den letzten Jahren ziemlich unter – zu Gilmours Glück. Während sich Waters in unerträglich einseitige Israel-/Palästina-Diskussionen einbaut und zwischendurch auch mal den streitbaren Führungsqualitäten eines Wladimir Putin Applaus zollt, hat sich Gilmour in den letzten Jahren in die wohlverdiente Pension zurückgezogen und ist nur noch selten in der Öffentlichkeit anzutreffen. Touren gibt es nur alle heiligen Zeiten zu verzeichnen, an neue Musik brauchte man lange gar nicht denken, wenn man die während der schlimmsten Corona-Wirren veröffentlichte Single „Yes, I Have Ghosts“ 2020 und einen Ukraine-Benefizsong mit Nick Mason 2022 außer Acht lässt.

In der Ruhe nachgegrübelt
Die Nachlassverwaltung von Pink Floyd, der immer noch größten und innovativsten Prog-Rock-Kapelle der Musikhistorie, war mit dem 2014 veröffentlichten Album „The Endless River“ auch abgeschlossen. Dass die graue Eminenz nun mit dem ersten Solowerk seit 2015 („Rattle That Lock“) aufwartet, kann als mittlere Sensation gesehen werden. Verantwortlich dafür war die Pandemie, denn Gilmour kam in dieser erzwungenen Ruhephase zum Grübeln und fiel in Nostalgieschleifen. Der heute 78-Jährige kann sich seines fortschreitenden Alters nicht mehr völlig erwehren und begab sich in eine Kreativklausur, die schlussendlich in extensivem Songwriting endete. Gemeinsam mit Ehefrau und Schriftstellerin Polly Samson, die einmal mehr für die Texte zuständig ist, begab sich der Kultgitarrist auf Lebensrückschau, um daraus ein inhaltlich sehr gegenwärtiges Album zu formen.

„Luck And Strange“ ist eine Mischung aus erwartbaren Pink-Floyd-Referenzen, aus Ausbruchsversuchen und vor allem aus einer Gegenüberstellung des jungen David Gilmour mit dem gegenwärtigen. Er trommelte eine Reihe extravaganter Musiker zusammen (u.a. Roger Eno) und stückelte die nur neun Songs des Albums in fünf, sechs verschiedenen Studios (u.a. in Mark Knopflers British Grove Studios) zusammen. Knopfler kann klanglich als elementare Leitfigur herangezogen werden, denn wenn man die nur seltenen ausufernden Psychedelik-Schlenker außer Acht lässt, ähnelt das Album in seiner ruhigen, völlig zurückgelehnten Herangehensweise reinweg den letzten Klangexzerpten des einstigen Dire-Straits-Genies. Für mehrere Monate gingen Gilmour und Samson von Montag bis Freitag in einem eigens eingerichteten, winzigen Studiozimmer zur Arbeit und stückelten das kongruente Werk akribisch zusammen.

Dem Freund gehuldigt
Gilmours Freude über sein eigenes Werk ist ansteckend. Er bezeichnet es als sein bestes Album seit dem Floydschen Meisterschlag „The Dark Side Of The Moon“ (1973), was nicht nur Die-Hard-Fans und langjährige Bandliebhaber nicht so einfach auf sich sitzen lassen werden. Doch mit Geschmäckern lässt sich nicht konkurrieren und dass sich Gilmour in seiner nostalgischen Reise gerne von unverbrauchten und frischen Gefühlen der eigenen Juvenilität leiten ließ, kann als besonders schön angesehen werden. Nach einem kurzen Intro geht der Brite im einleitenden Titeltrack gleich noch einmal in die nähere Vergangenheit und huldigt seinem alten Freund Rick Wright. Der 2008 verstorbene Floyd-Keyboarder ist hierauf auch mit einem ausladenden Solo zu hören, das aus einem Jam anno dazumal stammt und zur Verwertung kundig restauriert wurde.

Die Endlichkeit zieht sich wie ein roter Faden durch die einzelnen Songs, die aber deshalb nicht automatisch in Melancholie verfallen. Die relativ aktuelle Single-Auskoppelung „Dark And Velvet Nights“ etwa stellt zwar die Frage, wie es bei Gilmour und Samson vor dem nahenden Ende weitergehen könnte, doch durch den musikalischen Schwung dreht die Komposition in eine positive Richtung. Im gemütlich dahinwabernden „Sings“ sorgt sich der Barde um die Unerbittlichkeit der Zeit, die ihm immer rasanter durch die Finger rennt und setzt dabei partiell auf orchestrale Unterstützung. Einen wichtigen Einfluss auf die adaptierte Instrumentierung hatte der brandneue Produzent Charlie Andrew, den man gemeinhin von seiner Arbeit mit der Indie-Band alt-J kennt und der – wohl auch aufgrund seines Alters – noch nie so wirklich mit dem Werk von Pink Floyd in Berührung kam.

Progressive Verformungen
Das wiederum imponierte Gilmour, der es aufgrund seines Status gewohnt ist, von Ja-Sagern umgeben zu sein und nur noch selten von außen gefordert wird, um sich aus dem gewohnten Kokon der Gemütlichkeit schälen zu müssen. Diese Experimentierfreude, der Hang zu mehr sophisticated Pop und weniger psychedelischer Intelligenz-Zurschaustellung tut dem Projekt als Gesamtes sehr gut, weil es einen der profiliertesten Songwriter der Rock-Historie im hohen Alter tatsächlich noch mal in einem anderen Licht zeigt. Den Track „A Single Spark“ habe Andrew, wie Gilmour freimütig erzählt, so verformt, dass er erst mühevoll dazu überredet werden musste. Trotz all der inhaltlichen Dunkelheit und musikalischen Schwere ist „Luck And Strange“ ein Meisterwerk, das vom Veröffentlichungszeitpunkt nur nicht in den kochenden Hochsommer passt. Gilmour indes hat offenbar Lust auf mehr und ließ andeuten, dass er mit dem gesamten Team gerne bald wieder ins Studio gehen möchte. Bitte darum – im Karrierewinter befindet sich der Brite in absoluter Top-Form.

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