Die Stimmung im Land und die bevorstehende politische Zeitenwende nach dem Sieg der FPÖ bei der Nationalratswahl sind „Conchita Wurst“ nicht wurscht. Umso mehr konzentriert sie sich auf das Gute und Schöne im Leben. Ein Gespräch über Normen, Toleranz und Herzlichkeit.
„Darf’s ein bisserl mehr sein?“ – Diese Frage, die einem meist an der Wursttheke gestellt wird, ist bei Tom Neuwirth alias „Conchita Wurst“ (35) und Martin Zerza (34) Programm. Gerade touren die beiden Künstler als „Frau Tom und Herr Martin“ durch Österreich und Deutschland. Am Samstag machen sie mit ihrem Varieté-Abend in der Csello-Mühle im burgenländischen Oslip Station.
„Inspiriert von Hildegard Knef, Edith Piaf, Erika Pluhar, Cissy Kraner und Helge Schneider haben wir humorvolle und nachdenkliche Lieder geschrieben, mit denen wir den Alltag, Lebensweisen und Begegnungen mit anderen Menschen reflektieren. Geträllert wird in österreichisch – also so, wie uns der Schnabel gewachsen ist“, erzählen die Ex-Starmaniacs, die einander 2006 in der ORF-Castingshow als Konkurrenten gegenüberstanden.
„Sollten einander mehr zuhören“
Heute sind der Steirer und der Kärntner beste Freunde. Doch das war nicht immer so. „Wir mochten uns nicht von Beginn an. Stattdessen haben wir uns gegenseitig den Spiegel vorgehalten, denn wir kommen beide aus ländlichen Gegenden und waren als Kinder und Jugendliche mit den gleichen Problemen konfrontiert. Es hat gedauert, bis wir wahrhaben wollten, dass wir uns ziemlich ähnlich sind“, sagt Zerza in Anspielung auf ihre homosexuelle Orientierung. Doch durch gemeinsame Freunde hätten sich ihre Wege immer wieder gekreuzt und so seien sie eines Tages untrennbbar gewesen, „wie Geschwister, die streiten, aber wissen, dass sie zusammengehören.“ Neuwirth nickt zustimmend: „Wenn wir alle einander mehr zuhören würden, könnten wir entdecken, dass uns viel mehr verbindet.“
Um gesellschaftliche Genderkonstrukte aufzuweichen und die Neugier und Toleranz der Menschen für einander zu wecken, spielen sie auf der Bühne ganz bewusst mit Geschlechterklischees. Schließlich gilt Neuwirth vulgo Conchita Wurst seit seinem Sieg beim Song Contest vor zehn Jahren als Ikone des Wandels und der LGBTIQ-Community.
Ihr Umgang mit dem FPÖ-Sieg
Das könnte sich unter einem möglichen Kanzler Herbert Kickl bald ändern. Immerhin hält der FPÖ-Chef die rechtliche Gleichstellung von queeren Menschen für eine „moralische und intellektuelle Verwahrlosung, gegen die Freiheitliche Partei ankämpft.“ Für Neuwirth und Zerza sind Repressionen gegen bestimmte Minderheiten und Randgruppen daher durchaus denkbar.
Umso mehr praktizieren sie selbst „radikale Freundlichkeit“ und laden auch andere dazu ein. „Wir leben in einem gespaltenen und verunsicherten Land. Nur ein offenes, wohlwollendes Entgegenkommen kann bewirken, dass wir alle einander weniger feindlich begegnen und wieder näher zusammenrücken“, appelliert Neuwirth, der zurzeit im Wiener Rabenhof auch sein umjubeltes Theaterdebüt feiert.
Von wegen verstaubtes Denken
Im Stück „Luziwuzi – Ich bin die Kaiserin“ verkörpert er Erzherzog Ludwig Viktor, die wohl schrägste, exzentrischste und vielschichtigste Figur der Habsburger. Weil er nicht als Mädchen zur Welt kam, wurde der jüngste Bruder von Kaiser Franz Joseph I. von seiner Mutter als Kind gerne verkleidet und ließ sich später oft in provokanten Kostümen und Frauenkleidern ablichten. Und obwohl das Ausleben von Homosexualität damals eine Straftat darstellte, machte er aus seiner Neigung kein Geheimnis.
„Ich finde es wichtig, dass seine Geschichte erzählt wird, weil sie zeigt, dass es immer schon Menschen gab, die nicht der Norm entsprechen. Die Kaiserfamilie hat Ludwig trotzdem geliebt und unterstützt und damit bewiesen, dass Herzlichkeit mehr zählt als jede Doppelmoral“, so Neuwirth.
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