Antidemokratisch?

Als FPÖ nicht Erste war – und trotzdem regierte

Innenpolitik
11.10.2024 10:18

Nachdem sich Bundespräsident Alexander Van der Bellen bisher geweigert hat, Herbert Kickl den Auftrag zur Regierungsbildung zu erteilen, gehen im Lager der Freiheitlichen die Wogen hoch. So wird das Staatsoberhaupt als „Antidemokrat“ bezeichnet und die anderen Parteien wegen ihrer Kickl-Ausgrenzung als „Wählerwillenverweigerer“ kritisiert. Doch ein Blick ins Geschichtsbuch zeigt: Auch die Blauen haben bereits Mehrheiten gegen die stimmenstärkste Partei genutzt, um an die Macht zu kommen ...

Van der Bellen agiere „ganz klar nicht als unabhängiger Bundespräsident. Er spielt auf Zeit“, schrieb Tirols FPÖ-Landesparteichef Markus Abwerzger auf X nach der Bekanntgabe des Staatsoberhaupts am Mittwoch, wonach er weitere Gespräche zwischen den Großparteien FPÖ, ÖVP und SPÖ über mögliche Koalitionsvarianten fordere.

Ebenfalls unzufrieden äußerte sich Vorarlbergs FPÖ-Chef Christof Bitschi. „Es gab bei der Nationalratswahl eine Partei, die klar stärkste Partei wurde. Wir haben uns erwartet, dass der Bundespräsident uns diesen Regierungsauftrag gibt“, stellte er im ORF Vorarlberg fest. Er sei sich sicher, dass es in der nächsten Woche auch „den Versuch einer Koalition gegen die Freiheitlichen gibt“, so Bitschi.

„Man stelle sich vor, ein freiheitlicher Bundespräsident würde so handeln ...“
Auch ehemalige freiheitliche Politiker, die nunmehr als Experten und Analytiker auftreten, taten ihren Unmut bereits kund. „Man stelle sich vor, ein freiheitlicher Bundespräsident würde so handeln wie Van der Bellen und dem stimmenstärksten und klaren Wahlsieger keinen Regierungsbildungsauftrag erteilen. Skandal“, schimpft etwa Stephan Petzner auf X. 

„Kickl erlebt dasselbe Spiel, das man mit Jörg Haider treiben wollte. Die FPÖ könnte einen Hund zum Parteichef wählen, würden die gescheiterten Altparteien selbst den Hund als Nazi beschimpfen!“, poltert Gerald Grosz auf X.

FPÖ-ÖVP-Pakt machte Haider 1989 erstmals zum Landeshauptmann
Dabei war es ausgerechnet Jörg Haider, der im März 1989 durch eine Mehrheit gegen die stimmenstärkste Partei zum ersten Mal zum Kärntner Landeshauptmann gewählt wurde.

1989: Der damalige FPÖ-Chef Jörg Haider nach seiner erstmaligen Wahl zum Kärntner Landeshauptmann, mit seinen Stellvertretern Christof Zernatto (li.) und Peter Ambrozy (Bild: APA Pool/APA/GERT EGGENBERGER)
1989: Der damalige FPÖ-Chef Jörg Haider nach seiner erstmaligen Wahl zum Kärntner Landeshauptmann, mit seinen Stellvertretern Christof Zernatto (li.) und Peter Ambrozy

Die SPÖ mit Peter Ambrozy verlor damals ihre Absolute und „rutschte“ auf 46 Prozent ab, blieb aber mit großem Vorsprung auf Platz eins. Aber die drittplatzierte ÖVP hievte lieber Jörg Haider (FPÖ) in das Amt des Landeshauptmanns, Ambrozy wurde sein Vize.

Ergebnis der Kärntner Landtagswahl 1989 (Bild: Screenshot/Wikipedia.com)
Ergebnis der Kärntner Landtagswahl 1989

Haider wurde nach dem Wirbel um seinen Sager zur „ordentlichen Beschäftigungspolitik“ am 21. Juni 1991 abgewählt. Ambrozy machte sich Hoffnungen auf die Nachfolge, Regierungschef wurde aber ÖVP-Mann Christof Zernatto, und das als Dritter der Wahl von 1989.

Grazer FPÖ-Coup 1973
Ein noch größeres Husarenstück gelang dem national-liberalen Politiker Alexander Götz, der zu den Freiheitlichen der ersten Stunde zählte. 1973 schaffte er es als Obmann der drittstärksten Fraktion im Grazer Rathaus, die dort zweitstärkste Partei, die ÖVP, zu einem Pakt zu überreden, der die SPÖ in die Opposition schickte und ihn, Götz, zum Bürgermeister kürte. Dabei hatte die FPÖ bei der Wahl gerade einmal 16,9 Prozent erreicht (SPÖ: 44,2%, ÖVP: 35,5%).

Der FPÖ-Politiker Alexander Götz schaffte es 1973 als Dritter auf den Bürgermeistersessel von Graz. (Bild: FPÖ)
Der FPÖ-Politiker Alexander Götz schaffte es 1973 als Dritter auf den Bürgermeistersessel von Graz.

Dieser Coup beeindruckte die Bundes-FPÖ derart, dass Götz zum Nachfolger von Langzeitobmann Friedrich Peter avancierte. 1978 schaffte Götz – seine FPÖ belegte mit 24,9 Prozent ebenfalls wieder Platz drei – die Wiederwahl zum Bürgermeister. 1983 fiel die FPÖ von 14 auf 9 Mandate zurück, daraufhin musste Götz seine politische Karriere beenden.

Wo die FPÖ der ÖVP den Vortritt ließ
Doch auch die FPÖ hievte bisher in der Zweiten Republik eine schlechter platzierte Partei bereits ein paar Mal auf den Chefsessel. Im Jahr 1969 erreichte die SPÖ bei der Landtagswahl in Oberösterreich 46 Prozent der Stimmen und war damit die stärkste Partei im Land. Doch das Amt des Landeshauptmanns blieb ihr verwehrt. ÖVP und FPÖ setzten sich an einen Tisch, der freiheitliche Friedrich Peter sicherte Heinrich Gleißner von der Volkspartei seine Unterstützung zu.

Friedrich Peter (Bild: APA Pool/APA/HANS KLAUIS TECHT)
Friedrich Peter

Eine gravierende Veränderung der Machtverhältnisse gab es auch im März 1973 im Klagenfurter Gemeinderat (damals gab es noch keine Bürgermeister-Direktwahl). Zwar war die SPÖ trotz deutlicher Verluste noch stärkste Kraft (44,4 Prozent), hatte aber ihre absolute Mehrheit verloren. Und es gelang ihr nicht, das Amt des Bürgermeisters zu halten. Für den ÖVP-Kandidaten Leopold Guggenberger eröffnete das Wahlergebnis mit 34,6 Prozent die Möglichkeit, eine Koalition mit der FPÖ (18,1 Prozent) zu bilden.

Als Haider für Schüssel Platz machte
Und dann wäre da noch die berühmte Nationalratswahl 1999. Als Dritter an die Spitze schaffte es damals ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel. Erste war damals die SPÖ mit 33 Prozent, die ÖVP lag mit knapp 27 Prozent nur wenige Stimmen hinter der FPÖ mit Spitzenkandidat Jörg Haider. Trotz der Ankündigung, als Dritter in Opposition zu gehen, wagte der ÖVP-Chef den Tabubruch und ging eine Koalition mit der FPÖ ein.

Schüssel-Haider-Koalition (Bild: APA/Eggenberger Gert)
Schüssel-Haider-Koalition

Auch in der Steiermark gab es einmal auf Landesebene einen Fall, wo nicht immer alles den Usancen gemäß ablief – allerdings nicht gegen den Willen des Erstgereihten. Nach der Landtagswahl 2015, bei der die SPÖ vor der ÖVP lag, überließ Landeshauptmann Franz Voves freiwillig seinem bisherigen Stellvertreter Hermann Schützenhöfer sein Amt. 

Fazit: Dass der Vorsitzende der stimmenstärksten Partei – sofern nicht mit absoluter Mehrheit ausgestattet – automatisch auch an die Macht kommt, ist nicht in Stein gemeißelt. Auch der Zweit- oder Drittplatzierte kann an die Macht kommen, sofern er Partner für eine mehrheitsfähige Koalition zusammenbekommt. So etwas ist in der Demokratie erlaubt. Kurzum: Auch der jüngste FPÖ-Wahlsieg zwingt die Konkurrenz nicht, diese Partei zu stützen. Immerhin haben 71 Prozent die Blauen nicht gewählt.

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