Seit knapp 40 Jahren ist das Boston-Kollektiv Slapshot nicht aus der Hardcore-Welt wegzudenken. Der charismatische Fronthüne Jack „Choke“ Kelly hat aber genug und schickt sich und seine Band 2025 in Pension. Davor spielt er noch einmal in der Wiener Arena und spricht mit der „Krone“ ehrlich und offen über seine Beweggründe.
Der Abschied ist holprig, damit haben Slapshot sicher nicht gerechnet. Frontmann Jack „Choke“ Kelly hat die Bostoner Hardcore-Legende 1985 ins Leben gerufen und beschließt dieses raumfüllende Kapitel seines Lebens pünktlich zum 40-jährigen Bestehen 2025. Davor will man noch üppige Abschiedstouren geben, um sich von den treuen Fans würdig zu verabschieden. Die Sommer-Tour musste verschoben werden, weil Gitarrist Tye Tonkins‘ Geschäft in den USA nach der Pandemie den Bach runterging und er erst einmal andere Probleme hatte, als mit einem Haufen ewig Junggebliebener einen auf zeitlosen Teenager zu machen. Jetzt sind Kelly und Co. als Support für Ignite (die lustigerweise ihr 30-Jahre-Jubiläum feiern) unterwegs, 2025 soll es dann noch ein paar Ehrenrunden geben, bevor Kelly in seinem Zuhause auf der malerischen Halbinsel Cape Cod in Massachusetts das Familienleben genießen wird.
20 Jahre im Hamsterrad
„Ich war mit Slapshot schon fast überall auf der Welt, das Touren hat mich einfach nur noch ermüdet“, zeigt sich die Hardcore-Legende im Gespräch mit der „Krone“ offen und ehrlich, „unlängst waren wir das erste Mal in Venedig, das war großartig. Aber normal siehst du nicht viel von einer Stadt. 23 von 24 Stunden am Tag auf Tour hasse ich – und irgendwann stellt sich die Frage, ob die eine Stunde Glück am Tag für so viel Lebenszeit ausreicht.“ Speziell das Debütalbum „Step On It“ (1988) hat der Band zum Kultstatus verholfen. Straight-Edge-Hardcore mit Punk-Zitaten, dazu ein hünenhafter und volltätowierter Frontmann, der so aussieht, als würde er einem bei einem falschen Wimpernschlag den Bierkrug über den Scheitel ziehen, um dann lachend das Beisl zu verlassen. „Ich glaube, wir sind eine ziemlich mediokre Band. Manchmal kommt mir vor, ich bewege mich seit 20 Jahren im Hamsterrad. Es geht nicht vorwärts, es geht nicht zurück. Wir haben tolle Fans und deshalb spielen wir auch noch gerne, aber es bewegt sich nichts und das ermüdet mich.“
Slapshot spielten nie in der Oberliga mit Sick Of It All oder Madball, was definitiv ein Mitgrund für das Pensionsbestreben des Frontmannes ist. „Manchmal ist das deprimierend. Es könnte in 20 Jahren eine Band auf der Bildfläche erscheinen, die genau das macht, was wir machen und damit durch die Decke gehen. Einfach deshalb, weil das Timing passt.“ Dass es Slapshot nie ganz nach oben schafften, lag vielleicht auch daran, dass die Band sich Anfang der 90er-Jahre vom Grunge-Hype mitreißen ließ und für ein paar Jahre viel von der eigenen Authentizität einbüßte. „Wir waren nicht mehr wir selbst, das war eine beschissene Entscheidung“, analysiert Kelly selbstkritisch, „es gibt natürlich Leute, die genau diese Alben lieben, aber uns haben sie ein bisschen das Erfolgsgenick gebrochen.“ Mit dem eigenen Œuvre ist Kelly allgemein sehr kritisch. „Von unseren eigenen Alben kann ich mir eigentlich nur ,16 Valve Hate‘ anhören. Das ist das einzige, mit dem ich auch rückblickend wirklich zufrieden bin.“
Nicht länger als zwei Wochen auf Tour
Kellys wenig erbauliche Ansichten zu seiner eigenen Historie hängen nicht zuletzt mit persönlichen Problemen zusammen. Wer ihm auf Instagram folgt, der kriegt offene Einblicke in sein zerrüttetes Seelenleben, das von Depressionen und Angstzuständen durchzogen ist. „Ich gehe sehr offen damit um und habe immer wieder dagegen anzukämpfen. Für mich sind Touren anstrengend. Ich bin lieber für mich und bleibe daheim. Meine Zeit konzentriert sich auf meine Frau, meine zwei Töchter und das Fitnesscenter, wo ich Körper und Kopf in Form halte. Bei Auftritten kommen immer wieder Menschen zu dir und wollen mit dir sprechen oder irgendwelche Dinge von dir haben. Das ist für mich immens schwierig, weshalb ich auch keine Lust habe, für gewöhnlich länger als zwei Wochen auf Tour zu sein. Mir gehen Menschen meist auf die Nerven und ich habe eine Sozialphobie. Es ist ein Wunder, dass ich es so lange unter so vielen Leuten ausgehalten habe.“
Mit dem Nimbus von Hardcore als Lebensinhalt räumt Kelly auf Rückfrage auch gerne auf. „Wir waren jung und es waren wilde Zeiten. Ich habe nie geraucht oder getrunken, aber mich anderweitig wild aufgeführt. Wenn du denkst, dass Hardcore ein ,Way Of Life‘ wäre, dann solltest du diese Welt schnell verlassen und dich anderen Dingen widmen. Alle glorifizieren immer die goldenen 80er-Jahre, aber die Protagonisten waren dumme Kids, die provozieren wollten und denen langweilig war. Diese Romantisierung einer Ära geht mir schon lange auf die Nerven.“ Kelly ist auch froh, dass seine zwei Töchter nicht in die Hardcore-Welt abglitten. „Wenn du Hardcore hörst, lebst und inhalierst, dann hast du schwere Probleme. Du kannst etwas anderes behaupten, aber es stimmt einfach nicht. Hardcore ist wütende, gemeine, gewalttätige Musik. Leute, die darauf abfahren, sind in ihrem Leben nicht ausgeglichen. Das ist ein unumstößlicher Fakt.“ Er selbst hört gerne EDM. „Mit den Mädels war ich auf einem Konzert von Zedd.“
Unkontrollierte Bestie
Zur statischen Karriere von Slapshot hat Kelly auch eine sehr eigenwillige Meinung. „Slapshot ist nicht tot, aber seit 20 Jahren in einem Hospiz. Das ist ein bisschen wie mit dem Hardcore selbst. Der siecht auch seit 25 Jahren dahin, aber lässt sich nicht ganz unterkriegen. Wenn du in Europa die Tourpakete anschaust, holen immer noch die Alten die Kohlen aus dem Feuer. Es gibt viele junge Bands, aber es fehlt an Eigenständigkeit oder spannendem Songwriting. Ich bin froh, dass wir Slapshot sind und nicht Turnstile.“ Dass die Band live trotzdem noch immer abreißt und eine energetische Show auf die Bühne stellt, ist nicht zuletzt dem zu verdanken, dass sich der Mittsechziger auf der Bühne noch immer in eine unkontrollierte Bestie verwandelt. Bei den Alben und in der Motivation mögen Slapshot vielleicht nachhängen, live ist das Boston-Kollektiv aber immer noch über alle Zweifel erhaben. Im Gegensatz zu anderen Musikern weiß der bodenständige Kelly aber, wann es reicht und wann die Prioritäten im Leben sich verschieben. Davor bittet er aber noch einmal zum exaltierten Moshpit.
Live in Wien
Slapshot werden am 10. Dezember mit Ignite, The Drowns und This Means War die Bühne der Wiener Arena entern und zum Angriff blasen. Unter www.oeticket.com und an der Abendkassa sollte es noch ein paar Tickets geben.
Kommentare
Willkommen in unserer Community! Eingehende Beiträge werden geprüft und anschließend veröffentlicht. Bitte achten Sie auf Einhaltung unserer Netiquette und AGB. Für ausführliche Diskussionen steht Ihnen ebenso das krone.at-Forum zur Verfügung. Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.
User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.