Karl Nehammer zieht sich zurück. Ohne echte Widersacher in der Partei wurden ihm das verlorene Duell gegen FPÖ-Chef Herbert Kickl und die Koalitionsverhandlungen mit SPÖ und NEOS zum Verhängnis. Damit endet eine mehr als klassische Parteikarriere ...
Eigentlich haben gegen den scheidenden ÖVP-Chef die meisten in der Partei nichts, was für ihn eine gute politische Lebensversicherung war. Er gilt als freundlich und umgänglich, selbst bei anderen Parteien wohl gelitten. Stufe für Stufe hatte er sich in der Volkspartei hochgedient, und als ihm die Grünen den Gefallen taten, im Jahr 2021 Sebastian Kurz aus der Regierung zu kicken, wurde nach dem Interregnum mit Alexander Schallenberg das Kanzleramt für Nehammer frei.
Dort regierte er, der davor das Innenministerium geleitet hatte, im Wesentlichen solide. Die Regierung mit den Grünen führte er zum regulären Ende, auch wenn der ein oder andere in seiner Partei nur zu gerne die Flucht angetreten hätte, gestaltete sich doch die Zusammenarbeit in der Koalition immer schwieriger. Parteiinterne Kontrahentinnen stellte der Machttechniker kalt: Ex-Finanzminister Magnus Brunner wechselte nach Brüssel, Ex-Verfassungsministerin Karoline Edstadler wandte sich letztlich von der Spitzenpolitik ab – könnte nach Nehammers Abgang aber jetzt als seine Nachfolgerin zurückkehren.
Ein (Partei)Soldat im Kanzleramt
Nehammer war Berufssoldat, entsprechend zackig marschierte der Hobby-Boxer dann auch durch seine Karriere. Politisch wurde der Wiener in der stramm organisierten niederösterreichischen Volkspartei sozialisiert, später zum Generalsekretär des ÖAAB, dann auch noch der ÖVP. Sebastian Kurz‘ Wahlerfolg 2019 konnte er in dieser Rolle für sich verbuchen. Als Belohnung gab es das Innenministerium, in dem er vor allem während der Corona-Zeit gerne mit martialischen Bildern – Stichwort Flex – auf sich aufmerksam machte.
Ohnehin gingen ihm manchmal rhetorisch auch ein wenig die Pferde durch, etwa als er vor Parteifreunden Burger als billiges Mahl empfahl und das Video geleakt wurde. Ebenfalls ein wenig kritisch wurde es in der Cobra-Affäre, als Beamte nach einem Gläschen bei Nehammers daheim einen Unfall bauten. Im Wesentlichen agierte der VP-Obmann aber bis zum für die ÖVP nicht gerade erbaulichen Wahljahr 2024 ziemlich ungefährdet.
Er war gerne Kanzler
Das Amt wird Nehammer wohl vermissen. Der scheidende VP-Chef erklärt gerne, man könnte auch sagen, er doziert leidenschaftlich. Treffen auf internationaler Ebene waren ihm stets ein Vergnügen. Nehammer bereiste sogar Moskau, um sich bei Russlands Präsident Wladimir Putin als Friedensstifter einzufinden. Als wohl letzten Gast als Kanzler empfing er erst vor wenigen Tagen den schwedischen Premier Ulf Kristersson zum Neujahrskonzert.
Andererseits besprach Nehammer in seinem Podcast auch die Einschränkungen, die solch ein Amt für ihn selbst und seine Familie, Ehefrau Kathi und zwei Kinder, bedeutete. Zumindest diesbezüglich dürfte sich das Leben Karl Nehammers in den kommenden Wochen zum Besseren wenden, egal, wohin sein Weg führt. Mehr Zeit für Familie und Hund dürfte allemal drinnen sein.
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