Anlässlich des internationalen Holocaust-Gedenktags kamen am Montagabend laut Veranstalter 1500 Menschen zusammen, um sich an die jüdischen Opfer des Nazi-Regimes zu erinnern. Aufgrund der Teilnahme von Nationalratspräsident Walter Rosenkranz bei der Gedenkveranstaltung im Parlament gab es vorweg Boykottaufrufe. SPÖ, Grüne und Neos waren dennoch mit dabei.
Damals wie heute pflege die FPÖ eine revisionistische Erinnerungskultur und einen problematischen Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, wie der jüngste Skandal um die SS-Treuelied-Affäre erneut bestätigen würde, erklärte der Verein GEDENKDIENST in einer Aussendung. Walter Rosenkranz’ unrühmliche Beteiligung würde sich in eine Historie an „Einzelfällen” einreihen. In der Vergangenheit relativierte er etwa den deutschnationalen Antisemitismus und verklärte verurteilte Naziverbrecher als „Leistungsträger in Österreich”, so der Verein.
Zuletzt versuchte Rosenkranz am 9. November eine Kranzniederlegung am Judenplatz gegen eine Menschenkette von Nachkommen Shoah-Überlebender vor laufenden Kameras von der Polizei durchsetzen zu lassen. Die Jüdischen österreichischen Hochschüler verhinderten dies und hatten eine Menschenkette um das Denkmal gebildet. Sie richteten dem Burschenschafter aus: „Wer Nazis ehrt, dessen Wort ist nichts wert!“
Zum 80. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz hatte es zahlreiche Appelle und Mahnungen durch die österreichische Polit-Spitze gegeben: Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) appellierte, dass es „gerade in diesen Zeiten“ Verantwortung und Verpflichtung sei, sich für eine aktive Erinnerungskultur einzusetzen. „Jede und jeder muss gegen Antisemitismus auftreten, denn nur so können wir sicherstellen, dass aus einem ‚Nie vergessen‘ auch tatsächlich ein ‚Nie wieder‘ wird“, so Edtstadler in einer Stellungnahme.
Babler und Kogler warnen vor FPÖ
SPÖ-Chef Andreas Babler warnte anlässlich des Gedenktags vor dem europaweiten „Rechtsruck und damit verbundenen Angriffen auf Demokratie und Menschenrechte“. Angesichts dessen sei besonders wichtig, „die Demokratie zu schützen und den Zusammenhalt zu stärken“, so Babler laut Aussendung mit Blick auf die „Kickl-FPÖ“, die vielfältige und enge Verbindungen zu Rechtsextremen habe und die Demokratie gefährde.
Ähnliche Mahnungen kamen auch von Grünen-Chef Werner Kogler: „Es liegt an uns, die Verpflichtung zur Erinnerung einzulösen. Gerade jetzt, wo einem Rechtsextremen das Tor zum Kanzleramt aufgestoßen werden soll. Dabei lädt die ehemals staatstragende Partei ÖVP unter Missbrauch von Wähler:innenstimmen eine historische Schuld auf sich“, so Kogler.
Auch FPÖ-Chef Herbert Kickl äußerte sich mit eindringlichen Worten. Das „Erinnern an dieses dunkelste Kapitel der Geschichte unseres Landes“ müsse vor allem Mahnung dafür sein, „stets für unsere Freiheit, unsere Demokratie sowie ganz besonders für die Würde des Menschen einzustehen“. Der Politik komme dabei die besonders große Verantwortung zu, „sämtlichen Arten von Extremismus den Nährboden zu entziehen und eine stabile, lebendige Demokratie sicherzustellen“, so Kickl in einer Aussendung und nannte insbesondere die Verteidigung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit.
Die Zusammenarbeit mit der FPÖ zeigt klar, wie sehr die ÖVP ihre oft beteuerten Werte dem Machterhalt unterordnet. Die ÖVP nimmt damit nicht nur die Normalisierung rechtsextremer Positionen in Kauf, sie ist für sie legitimes politisches Kalkül. Falls die ÖVP vergessen hat, wie es war, unter dem letzten Volkskanzler zu leben, können sie es gerne in diesem Geschichtsbuch nachlesen.
Marie Lang, stellvertretende Obfrau des Vereins GEDENKDIENST
Die Jüdischen österreichischen Hochschüler:innen (JöH) warfen der ÖVP Geschichtsvergessenheit vor und kritisierten ihre Haltung zu Lueger, Dollfuß und Waldheim sowie die Unterstützung des ersten rechtsextremen Bundeskanzlers seit 1945. Gemeinsam mit dem Verein GEDENKDIENST übergaben sie der Partei am Montag das Geschichtsbuch „Zeitbilder 7“, um ihre Erinnerungslücken zu füllen, und warfen ihr vor, Werte dem Machterhalt zu opfern.
Die JöH erinnern die ÖVP an ihr Wahlversprechen und werfen ihnen Vergesslichkeit vor:
Gedenken im Parlament und am Heldenplatz
Während die Staatsspitze vertreten durch Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Kanzleramtsministerin Susanne Raab (ÖVP) gemeinsam mit IKG-Präsident Oskar Deutsch am Montag an der internationalen Gedenkfeier in Auschwitz teilnahm, fand in Wien am Nachmittag im Parlament eine Diskussionsveranstaltung für Schüler mit der Zeitzeugin Erika Freeman statt, an der auch Nationalratspräsident Walter Rosenkranz (FPÖ) seine Teilnahme ankündigte. Auf politische Reden wurde heuer verzichtet.
Freeman warb dabei für Menschlichkeit: „Wenn du etwas Gutes tust, tut es dir gut.“ Man könne nicht jeden lieben, aber man könne zu jedem nett sein – „höflich sein ist auch nicht schlecht“. Auch die Hoffnung sollte man aus ihrer Sicht nicht verlieren: „Dass ich hier sitze, ist wirklich das Wunder der Welt.“ Nationalratspräsident Walter Rosenkranz (FPÖ) spendete als Erster der Anwesenden Standing Ovations.
Die Vizepräsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Claudia Prutscher sprach am Abend bei einer Veranstaltung von „JetztZeichenSetzen“ am Heldenplatz. Bei der bereits 15. Gedenkveranstaltung des Vereins stand auch die mögliche Kanzlerschaft von FPÖ-Chef Herbert Kickl im Vordergrund. Vor laut Veranstalter-Angaben 1500 Besuchern meinte Prutscher, dass man die Gefahr zwar gesehen, aber wohl doch unterschätzt habe. Zu sehr habe man den Versprechungen der Parteien geglaubt, Kickl nicht zum Bundeskanzler zu machen.
„Unsere Sorgen sind größer als je zuvor“
Nun müsse man einen „mehr als sorgenvollen Blick zum Bundeskanzleramt“ werfen, meinte Prutscher: „Unsere Sorgen sind größer als je zuvor.“ Auch Lia Guttmann von den Jüdischen österreichischen HochschülerInnen sah wütend in Richtung ÖVP. Wenn Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) einen täglichen Kampf gegen den Antisemitismus ankündige, die Volkspartei aber Kickl zum Kanzler machen wolle, werde auf die nicht vorhandenen Gräber ihrer Großeltern gespuckt.
Auch die Vertreter der Hochschülerschaft der Roma und Sinti äußerten ihre Sorge über den Schutz für Minderheiten unter einer FPÖ-geführten Regierung und zogen Parallelen zum Aufstieg des Nationalsozialismus. Organisator Niki Kunrath, Landtagsabgeordneter der Wiener Grünen, meinte: 80 Jahre nach dem Sturz des Nationalsozialismus drohe nun Österreich erstmals eine rechtsextreme Regierung.
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