Fachkräfte-Kollaps

Firmen schlagen Alarm: So wenig Lehrlinge wie nie

Wirtschaft
15.02.2025 06:00

Qualifizierte Fachkräfte sind in Österreich Mangelware – und das Problem wird sich mit Blick auf die Lehrlinge in Zukunft noch verschärfen: Denn die Zahl der Jugendlichen, die eine Ausbildung in Betrieb und Berufsschule machen, ist auf einem absoluten Tiefststand. Für die Lehrlings-Misere gibt es drei Gründe.

Die Bilanz für 2024 ist so schlecht wie noch nie: Nur 106.452 junge Leute waren per 31. Dezember in einer Lehrausbildung, das sind um 1814 weniger als Ende 2023. Damit setzt sich ein langjähriger Negativ-Trend fort: 2010 gab es noch 129.899 Lehrlinge in Österreich. 1990 waren es sogar 145.516 und 1980 waren es fast 200.000. Im Vergleich zu 1980 gibt es jetzt um fast 90.000 Lehrlinge weniger, ein Minus von 44,5 Prozent (siehe Grafik).

Deutlich weniger Lehranfänger
Bei den Lehranfängern ist die Entwicklung noch besorgniserregender: Die Zahl der jungen Leute im 1. Lehrjahr fiel zum Stichtag 31. Dezember 2024 gegenüber dem Vorjahr um 5,8 Prozent auf 32.119 Neustarter. Lediglich im Corona-Jahr 2020 war sie mit 31.969 noch niedriger. Das ist ein echtes Problem für unsere Betriebe. Denn wenn nach den Jahren der Rezession endlich einmal der Aufschwung kommt, werden den Unternehmen die dann dringend benötigten neuen Fachkräfte fehlen.

Nach Sektoren betrachtet ist die Lage fast überall dramatisch: Die größte Ausbildungs-Branche ist das Gewerbe und Handwerk – und hier sank die Gesamtzahl der Lehrlinge zwischen 1980 und 2024 von 102.051 auf 45.420. Das ist ein Minus von 55,5 Prozent.

In der Industrie ging es um 40,9 Prozent hinunter, von 28.669 Lehrlingen im Jahr 1980 zu 16.937 im Vorjahr. Immerhin haben die Industriebetriebe seit dem Tiefststand im Jahr 2000 die Zahl der Auszubildenden wieder etwas erhöht.

Anders das Bild im Handel, denn hier ging es am stärksten bergab – und der Rückgang setzte sich auch in den vergangenen Jahren fort: Beschäftigten die Handelsunternehmen 1980 noch 40.536 Lehrlinge, so waren es zuletzt nur noch 13.823 – ein Minus von sage und schreibe 65,9 Prozent.

In der Branche „Beherbergung und Gastronomie“ sind die Lehrlingszahlen seit 1980 um 55 Prozent eingebrochen, von damals 16.232 auf nur noch 7298 per Ende 2024. Den Tiefststand gab es in dieser Branche während der Corona-Zeit im Jahr 2021 mit 6914 Lehrlingen, seitdem geht es wieder leicht bergauf.

Doch was sind die wichtigsten Gründe für die allgemeine Lehrlings-Misere?

  1. Demografie-Schock – die Jugend geht uns aus: Nach den geburtenstarken Generationen kommen jetzt die Kinder der geburtenschwachen Generationen in das Alter, in denen man sich für eine Lehre entscheidet. Die Zahl der 15-Jährigen lag 2024 im Jahres-Durchschnitt nur bei 87.188. 1980 gab es hingegen noch 130.963 15-Jährige – die damals noch junge Babyboomer-Generation! Selbst 2010 gab es noch fast 95.000 15-Jährige. Mariana Kühnel, stv. Generalsekretärin der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) und dort für Lehrlingsthemen zuständig: „Leider sind wir aktuell mit den geburtenschwachen Jahrgängen konfrontiert, die jetzt ins Berufsausbildungsalter kommen. Und ein Betrieb, der gerne ausbilden möchte, aber keinen Lehrling findet, fällt aus der Statistik heraus.“
  2. Lehre? Nein danke! Von den 15-Jährigen, die wir in Österreich noch haben, entscheiden sich immer weniger für eine Lehre. Hatten beispielsweise 1980 noch 47,2 Prozent, also fast die Hälfte, der jungen Leute die Lehre als Ausbildungsweg gewählt, waren es 2024 nur noch 36,8 Prozent. Das ist ebenfalls ein historischer Tiefststand.
  3. Betriebe geben auf – Ausbildung wird zum Luxus: Es bilden heute weniger Unternehmen aus als früher. Das liegt an den wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Zuerst hatten wir die Corona-Pandemie und nun liegen bereits zwei Rezessionsjahre hinter uns. Die Firmen klagen aber auch immer öfter darüber, dass bei den Bewerbern für Lehrstellen Grundkompetenzen wie Deutsch, Mathematik und Englisch fehlen. Auch Manieren und Pünktlichkeit werden seitens der Unternehmen häufiger bemängelt. Laut Umfragen wünschen sich die Lehrbetriebe daher eine Qualitäts-Offensive in den Schulen. Kühnel: „Es muss gewährleistet sein, dass ein junger Mensch, der die Schulausbildung beendet, fit für den Berufseinstieg ist und über die entsprechenden Grundkompetenzen verfügt. Das ist eine Aufgabe des Bildungssystems und darf nicht auf die Betriebe abgeladen werden.“

Fachkräftemangel als eines der größten Risiken
Dennoch würden die Unternehmen ihre Lehrausbildung gerne wieder ausbauen. Kühnel: „Wir brauchen die Lehrlinge ganz dringend, sie sind unsere Fachkräfte von morgen und ein wichtiger Puzzlestein im Kampf gegen den Fachkräftemangel, der für die Betriebe eines der größten wirtschaftlichen Risiken bleibt.“

Mariana Kühnel, Lehrlingsexpertin und stv. WKÖ-Generalsekretärin: „Wir brauchen die Lehrlinge ganz dringend!“ (Bild: Studeny Photography)
Mariana Kühnel, Lehrlingsexpertin und stv. WKÖ-Generalsekretärin: „Wir brauchen die Lehrlinge ganz dringend!“

Doch auch für das gesamte Land ist die Lehre wichtig. Kühnel: „Die praxisnahe Ausbildung in der Lehre ist für den Standort Österreich essenziell, denn ein anhaltend hohes Qualifizierungsniveau sichert Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit. Es müssen deshalb gerade kleinere Betriebe weiterhin Lehrlinge ausbilden können. Der zeitliche, personelle und finanzielle Aufwand ist für sie besonders hoch und steigt aufgrund von schulischen Defiziten eher, als dass er sinkt. Konsequenter Bürokratie-Abbau würde ebenfalls helfen, mehr Freiräume für die Ausbildung in den Betrieben zu schaffen.“

Lehrlinge kommen dem Staat günstiger
Für die Republik lohnt es sich laut der WKÖ-Expertin jedenfalls auch finanziell, die Lehre zu forcieren: „Wenig bekannt, aber hochaktuell: Unsere Ausbildungsbetriebe helfen dem Staat beim Sparen. Ein Lehrling in betrieblicher Ausbildung kostet die öffentliche Hand nämlich – unter Einrechnung der Berufsschulkosten und aller bestehenden Lehrstellenförderungen – 7700 Euro pro Jahr. Die staatlichen Ausgaben für BMS- beziehungsweise BHS-Schüler – 12.000 Euro – oder Jugendliche in der überbetrieblichen Ausbildung – 23.000 Euro – sind wesentlich höher. Die Berufsausbildung ,made in Austria‘ bringt somit einen enormen gesellschaftlichen Mehrwert. Von der Unterstützung der Lehre profitieren alle Seiten: die Jugendlichen mit ihren Familien, die Betriebe, der Wirtschaftsstandort und der Staat!“

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