Er ist in mehrfacher Hinsicht eine Minderheit. Der 35-jährige Nico Marchetti ist ÖVP-Funktionär in Wien-Favoriten und er ist bekennender Homosexueller. Der neue Generalsekretär der ÖVP hat mit der „Krone“ einen Lokalaugenschein in seinem Heimatbezirk gemacht und dabei verraten, wie er die ÖVP wieder zu Nummer eins machen will.
Als wir uns vor der Keplerkirche treffen, sitzt dort eine Gruppe von Männern. Einer von ihnen zielt mit einer Steinschleuder auf seine Kumpels und auf Passanten – auch auf uns. Er schießt aber zumindest nicht. „Die Dinge, über die in anderen Ecken Österreichs theoretisch geredet wird, die passieren hier tatsächlich. Das ist ein Reality-Check dafür, was geschieht, wenn etwas ins Kippen kommt mit dem Thema Integration. Das erlebt man hier tagtäglich“, weiß Marchetti.
Der ÖVP-Generalsekretär ist im Herzen Favoritens aufgewachsen und zur Schule gegangen. Und er lebt trotz „aller unübersehbaren Probleme“ und des schlechten Rufs des Bezirks noch immer sehr gerne hier. „Schon in meiner Jugend hat es Integrationsprobleme gegeben. Kinder konnten nicht Deutsch, es gab kulturelle Probleme. Aber es hat keine Messerstechereien in dem Ausmaß gegeben und diese Gewalt wie heute“, erinnert sich Marchetti. Mittlerweile sei eine Grenze erreicht, „wo man nicht mehr sagt, man kann da kosmetisch irgendetwas tun. Es geht um fundamentale Sachen: Kann ich noch einkaufen gehen, ohne mich zu fürchten? Kann ich noch durch diesen Park gehen, ohne Angst zu haben? Kann ich mein Kind noch in eine öffentliche Schule geben? Kann ich in den Park spielen gehen?“
„Müssen uns jungen Menschen ohne Perspektive widmen“
Marchetti ist überzeugt, dass man das Problem lösen kann, aber nicht von heute auf morgen: „Was wirklich fehlt in Favoriten, ist die Ursachenbekämpfung. Wenn die Polizei kommt, ist schon etwas passiert. Und wir wollen ja, dass es gar nicht so weit kommt, dass etwas passiert.“ Die Perspektivlosigkeit, die zu Gewalt und einer Hinwendung zu Extremismus führt, müsse bekämpft werden. „Deshalb bin ich froh, dass wir jetzt auch im Regierungsprogramm sinnvolle Maßnahmen dazu haben, dass wir den Familiennachzug stoppen, weil die Systeme überfordert sind und gleichzeitig Orientierungsklassen schaffen“, so der 35-Jährige.
Der Wiener SPÖ wirft der ÖVP-General vor, dass sie lange weggeschaut und die Probleme negiert habe. „Dass sich das Gesicht des Bezirks verändert, ist etwas, das viele Leute beschäftigt, vor allem ältere Menschen.“ Die SPÖ agiere hier konzept- und lieblos. Da sei es auch kein Wunder, dass sich keine neuen Geschäftsleute hier ansiedeln wollen.
SPÖ habe negative Entwicklung passieren lassen
Man habe vieles unkontrolliert geschehen lassen. „Vielfach ist diese Unkontrolliertheit, etwa in der Schulpolitik oder in der Wohnpolitik das Problem. Auch die Frage, wie sich die einzelnen Straßen entwickeln. Das ist eine Aufgabe der Stadt, und die müssen das einfach liefern. Da können sie ja nicht auf dem Bund ausreden.“ Interessant sei auch, dass sich mittlerweile viel zugewanderte Menschen an diesen Fehlentwicklungen stoßen. „Mein türkischer Friseur übersiedelt jetzt mit seinem Geschäft nach Mödling, weil er es nicht mehr aushält und nicht will, dass seine Tochter, am Heimweg bedroht wird“, lässt der ÖVP-Generalsekretär wissen.
Kickl hat „Zenit überschritten“
Dass die FPÖ im Wiener Wahlkampf türkischstämmige Wiener für sich gewinnen will, hält Marchetti für völlig unglaubwürdig. Sie plakatiere etwas ganz anderes. Der ÖVP-General hält die FPÖ für durchaus schlagbar, denn: „Sie kocht auch nur mit Wasser. Jetzt liegt es an uns, einfach der FPÖ die Geschäftsgrundlage zu entziehen. Ich persönlich glaube auch, dass Herbert Kickl seinen Zenit überschritten hat.“
Machettis Ziel als ÖVP-General ist es, die Volkspartei wieder auf Platz eins zu bringen: „Das ist mein Auftrag und auch mein Wunsch. Und dafür brauchen wir wettbewerbsfähigere Parteistrukturen. Wir haben zwar den Vorteil, dass wir quasi in jeder Gemeinde einen ÖVPler finden. Das ist ein absolutes Asset und das haben andere Parteien nicht. Aber in der Schlagfertigkeit, in der digitalen Kommunikation, in der Direktkommunikation, da müssen wir was tun.“ Daneben brauche es saubere Regierungsarbeit, die Ergebnisse liefert und eine „langfristigere Idee von Volkspartei“. „Was wollen wir in zehn, 15, 20 Jahren für dieses Land erreichen? Wenn wir das hinkriegen, dann kann man wirklich wieder auf Platz 1 kommen“, zeigt sich Marchetti überzeugt.
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