Borodajkewycz-Affäre

Als Feuer am Dach der Republik ausbrach

Innenpolitik
30.03.2025 06:00

Der 31. März 1965 bildet eine Zäsur in der heimischen Zeitgeschichte: Knapp zwanzig Jahre nach der Befreiung Österreichs von der Naziherrschaft wird bei einer Demonstration ein ehemaliger Widerstandskämpfer durch Gewalt eines Neonazis tödlich verletzt.

Der 67-jährige Ernst Kirchweger, ein Wiener Straßenbahnschaffner und früher KP-Widerstandskämpfer, wird beim Hotel Sacher zu Boden geschlagen und stirbt später im Spital. Er wird so zum ersten Todesopfer politischer Gewalt in der Zweiten Republik. Ex-Finanzminister (1986-1995) Ferdinand Lacina war unmittelbarer Zeuge des Gewaltaktes und versuchte Hilfe zu leisten.

Kirchwegers Begräbnis am 8. April wurde zur Großkundgebung des demokratischen Staates. Über 25.000 Menschen bildeten einen Trauerzug über die Ringstraße. Der pompöse Leichenwagen wurde von Straßenbahner-Kollegen des Todesopfers flankiert. Vorne marschierten Spitzen der Republik aus ÖVP und SPÖ mit. Dahinter weitere Vertreter von Parteien, Institutionen, Kirche und Kultur. Nur die FPÖ war nicht sichtbar vertreten.

Der Schweigemarsch (Leichenzug) für Ernst Kirchweger am 8.4.1965 (Bild: Votava / brandstaetter images / picturedesk.com)
Der Schweigemarsch (Leichenzug) für Ernst Kirchweger am 8.4.1965

Was war geschehen, dass es zehn Jahre nach dem Staatsvertrag zu der bis dahin größten Kundgebung gegen einen aufflammenden Nazismus kam?

Bereits seit 23. April hatten gewalttätige Auseinandersetzungen das Bild in Wiens Innenstadt beherrscht. Sie mündeten ab 29. April in regelrechte Straßenschlachten. Eine völlig überforderte und kaum präsente Polizei war zu keinem Zeitpunkt Herr der Lage.

Uni-Professor war glühender Hitler-Anhänger
Auslöser für die Unruhen waren die Sager eines Geschichte-Professors an der Hochschule für Welthandel, Taras Borodajkewycz. Der ehemalige illegale Nazi war durch vielfache antisemitische und NS-sympathisierende Bemerkungen bei Vorlesungen und in Publikationen aufgefallen. Die „österreichische Nation“ bezeichnete er als „Flunkerei“. Den Schöpfer der Verfassung, Hans Kelsen, bezeichnete er zum Gaudium seiner rechtsextremen Hörerschaft gern als „den vormaligen Juden Kohn.“ Beides war unrichtig.

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Aus einer Distanz von mehr als 60 Jahren war die Causa Borodajkewycz ein wirklich starkes Warnsignal gegen eine Verharmlosung Hitlers und der NS-Diktatur.

(Bild: APA/HANS KLAUS TECHT)

Heinz Fischer

Der Zeitzeuge und ehemalige Bundespräsident Heinz Fischer über Borodajkewycz: „Er war ein glühender Hitler-Anhänger und Verherrlicher seiner Herrschaft.“ Kritiker forderten in Demonstrationen die Ablöse des Professors, Ewiggestrige und junge Recken störten diese Kundgebungen. Dazu gehörten Rufe wie „Hoch Auschwitz“ und „Heil Borodajkewycz“ wie auch körperliche Gewalt, die tödlich eskalierte.

Taras Borodajkewycz am 1.1.1956 (Bild: Votava / brandstaetter images / picturedesk.com)
Taras Borodajkewycz am 1.1.1956

Die Rolle von Heinz Fischer
Heinz Fischer spielte im Vorfeld der Causa eine zentrale Rolle. Als schon immer an Zeitgeschichte interessierter Jurist publizierte er vor Jahrzehnten eine umfassende wissenschaftliche Dokumentation zum gesamten Fall.

Die Auseinandersetzung nahm mit einer Mitschrift der Borodajkewycz-Vorlesungen des jungen Welthandel-Studenten Lacina ihren Anfang. Die übergab er 1963 dem frisch gebackenen SP-Parlamentssekretär Heinz Fischer. Der publizierte die Zitate des Professors in zwei kritischen Zeitungsartikeln. Seine Quelle Lacina nannte Fischer nicht, da beide Benachteiligungen beim Studienfortgang des späteren Finanzministers befürchteten.

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Eine triumphierende Pressekonferenz von Borodajkewycz und deren Wiedergabe in der „Zeit im Bild“ brachte das Fass zum Überlaufen und die Leute auf die Palme.

(Bild: APA/Hans Punz)

Heinz Fischer

Borodajkewycz klagte daraufhin Fischer und die „AZ“. Weil Fischer weiter seine Quelle schützte, verlor er zunächst den Prozess in erster Instanz. „4000 Schilling oder 20 Tage Arrest“ wurden dem späteren Bundespräsidenten aufgebrummt. In einer Wiederaufnahme 1965, nach Lacinas Studienabschluss und nunmehr als Zeuge, sollte Fischer auch rechtlich voll obsiegen. Auch der spätere Mitarbeiter von Kardinal Franz König und ÖVP-Sekretär Alfred Stirnemann (1939-2000) bestätigte glaubwürdig vor Gericht die Zitate des Professors.

Doch zwischen diesen beiden Gerichtsverfahren war die Affäre Borodajkewycz öffentlich richtig explodiert. Das Kabarettisten-Duo Gerhard Bronner und Peter Wehle machten in einem Sketch in ihrer legendären Sendung „Zeitventil“ am 23. März 1965 im Fernsehen die Sprüche des Professors einem breiten Fernsehpublikum bekannt. Der trat nun in einer eigenen Versammlung auf, die als „Pressekonferenz“ tituliert war. Der Saal war mit rechten Studenten überfüllt. Nur wenige Journalisten fanden Platz. Borodajkewycz fühlte sich in diesem Rahmen sehr sicher und brüstete sich mit einem Teil seiner Positionen. Das Publikum johlte und lachte bei antisemitischen Anspielungen. Aber die „Zeit im Bild“ brachte am Abend einen längeren Beitrag mit Originalaussagen. Jetzt begann es, am Dach der Republik öffentlich zu brennen.

Demonstranten gegen Professor Taras Borodajkewycz am 31.3.1965 in Wien (Bild: Votava / brandstaetter images / picturedesk.com)
Demonstranten gegen Professor Taras Borodajkewycz am 31.3.1965 in Wien
Demonstranten gegen Professor Taras Borodajkewycz am 31.3.1965 in Wien (Bild: Votava / brandstaetter images / picturedesk.com)
Demonstranten gegen Professor Taras Borodajkewycz am 31.3.1965 in Wien

Demos forderten Todesopfer
Demonstrationen mit der Forderung nach der Ablösung von Borodajkewycz begannen. Die Störaktionen mit Ausritten folgten auf dem Fuß. Bis alles in den gewaltsamen Tod Kirchwegers mündete. Nicht zuletzt mithilfe des Augenzeugen Lacina konnte der Täter identifiziert werden. Der Neonazi Gunther Kümel war einschlägig bekannt. Auf sein Konto ging schon 1961 ein Brandbombenanschlag auf das Alitalia-Büro und eine Schusswaffenattacke auf das Parlamentsgebäude. Kümel erhielt trotz seiner Vorgeschichte bezüglich Kirchweger ein mildes Urteil: Zehn Monate für „eine irrtümlich angenommene Notwehrsituation“. In Wikipedia wird Kümel als ehemaliger FPÖ-Funktionär geführt. Er ging rasch frei und publiziert bis heute sein Gedankengut vor allem in deutschen Landen.

Das Rektorat der Hochschule für Welthandel versetzte Borodajkewycz an einem Samstag zu Mittag, den 14. Mai 1966, „strafweise“ in den Ruhestand. Das bedeutete lediglich einen kleinen Abzug bei seiner wohlbestallten Pension. Der VP-Unterrichtsminister wollte ihn vorher unter Verweis auf das Disziplinarrecht keinesfalls suspendieren. Borodajkewycz verstarb am 3. Jänner 1984.

Porträt von Prof. Paul Vécsei
Prof. Paul Vécsei
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