Das Passagierflugzeug der Malaysia Airlines ist am Samstag vor einer Woche, zwei Stunden und 40 Minuten nach Mitternacht, von den Radarschirmen verschwunden. "Alles klar, gute Nacht!" waren die letzten Worte des Piloten. Dann soll die Boeing noch sieben Stunden weitergeflogen sein. Allerdings in eine ganz andere Richtung.
Niki Lauda fliegt seit 38 Jahren (Boeings 737, 767, 777 und Airbusse) - und hat 1991 erleben müssen, dass eine Maschine seiner Lauda Air über dem Dschungel von Thailand abgestürzt ist. Die "größte Katastrophe seines Lebens", sagt er heute, habe er nur mit präzisen Fakten verarbeiten können. "Deshalb ärgere ich mich, dass bei diesem Unglück jeden Tag neue Meldungen kommen, mitunter widersprüchlichster Art." Er ist in Melbourne, Albert Park. In einer Stunde beginnt das letzte Training für den Grand Prix von Australien, den er auf RTL kommentiert. Im Telefon-Interview spricht der erfahrene Pilot über die Katastrophe, die sich am 8. März nachts über dem Meer ereignet hat.
"Krone": Herr Lauda, Sie sind bekannt dafür, alle Dinge im Leben möglichst rationell zu erklären. Wie erklären Sie sich das Mysterium um Flug MH370?
Niki Lauda: Ein Mysterium ist für mich eher, wie katastrophal hier kommuniziert worden ist. Ich weiß seit dem Absturz der Lauda Air, wie groß das Leid der Angehörigen einer Flugzeugkatastrophe ist. Diese Menschen brauchen vor allem eins: Erklärungen. Für mich ist völlig unverständlich, dass hier einmal Leute der Airline, dann wieder das Militär und dann wieder irgendein Minister redet. Das ist eine beispiellose Fehlkommunikation. Für die Familien sind die vielen Widersprüche und Spekulationen unerträglich. Sie haben ein Recht auf Antworten.
"Krone": Welche Widersprüche meinen Sie?
Lauda: Jede Boeing 777 ist mit einem ACARS-System ausgestattet, das permanent Daten an die Airline schickt. Die Airline behauptete, dass keine Daten gesendet wurden. Wieso hat dann der Triebwerkshersteller Rolls Royce später doch Daten gehabt? Warum ist man dem nicht gleich nachgegangen? Warum hat die ganze Welt an einer falschen Stelle gesucht? Das Militär hat schon vor Tagen gesagt, dass es Signale eines Fliegers habe, der auf einem wesentlich westlicheren Kurs flog. Das wurde dementiert und jetzt soll es plötzlich wieder stimmen. Wieso man also so lange braucht, um draufzukommen, dass die Maschine ihren Kurs geändert hat, ist mir schleierhaft.
"Krone": Seit acht Tagen ist das Flugzeug mit 239 Menschen an Bord verschollen – kann in einer Zeit, wo man jeden Menschen auf Schritt und Tritt überwachen kann, eine Boeing 777 einfach verschwinden?
Lauda: Wenn man tagelang im falschen Meer sucht, sieht es vielleicht danach aus. Nun wird ja im Indischen Ozean gesucht. Man muss sich vorstellen, dass dieses Meer 8.000 Meter tief ist und 75 Millionen Quadratkilometer groß. Ich fürchte, es kann noch Wochen und Monate dauern, bis man die Maschine, oder zumindest Teile davon, dort findet.
"Krone": Die Boeing war auf dem Weg von Kuala Lumpur nach Peking. Was muss an Bord passieren, dass ein Pilot plötzlich vom Kurs abkommt und die Kommunikation abbricht?
Lauda: Der Transponder, der Signale zum Radar sendet, kann mit einem Switch händisch abgeschaltet werden. Das kann eigenmächtig durch die Piloten selber geschehen oder gewaltsam durch Eindringlinge ins Cockpit. Dazu muss man aber wissen, dass nach 9/11 Cockpit-Türen weltweit verschlossen sein müssen. Wenn der Kapitän einen Kaffee will, dann muss er den telefonisch bestellen und über Bildschirm kontrollieren, ob wirklich die Stewardess mit dem Kaffee vor der Tür steht. Nun sind Bilder aufgetaucht, auf denen der Co-Pilot mit Fluggästen im Cockpit gefeiert hat. Das ist schwerstens verboten und ein möglicher Hinweis darauf, dass hier vielleicht Sicherheitsbestimmungen nicht eingehalten wurden.
"Krone": Gibt es noch andere Szenarien?
Lauda: Der Pilot – so einen Fall gab es schon - könnte auch Selbstmord begangen haben. Die Entführung halte ich aber für wahrscheinlicher, in diesem Fall könnte es zum Beispiel einen Kampf im Cockpit gegeben haben.
"Krone": Hätte die Boeing rein theoretisch auch auf dem Wasser landen können?
Lauda: Rein theoretisch ja, aber so ein Fall ist nicht bekannt. Sie ist sicher abgestürzt, das ist überhaupt keine Frage. In so einem Flugzeug ist ja auch nur eine begrenzte Menge Sprit. Nach einer gewissen Anzahl von Stunden muss es entweder irgendwo landen oder es stürzt ab. So geschehen bei einer Maschine der Ethiopian Airlines.
"Krone": In den südamerikanischen Anden ist 1972 ein Flugzeug bruchgelandet und blieb 72 Tage lang unentdeckt. Es gab sogar Überlebende. Ist so etwas ganz undenkbar?
Lauda: Ja. Das war damals eine Fairchild-Hiller. Eine Boeing kann unmöglich irgendwo auf der Welt versteckt sein.
"Krone": Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit eines technischen Defekts?
Lauda: Die Kursänderung deutet auf eine andere Katastrophe hin. Aber ganz ausschließen kann man es nicht. Das muss unbedingt aufgeklärt werden, denn es fliegen noch 1.178 Boeing 777 auf der Welt herum.
"Krone": Und einer Explosion?
Lauda: Von einer Bombe gehe ich persönlich nicht aus, weil es heute praktisch unmöglich geworden ist, eine Bombe oder Teile davon einzuchecken.
"Krone": Herr Lauda, glauben Sie, dass die Menschen an Bord des Fluges MH370 gewusst haben, dass sie sterben müssen?
Lauda: Das weiß ich nicht, deshalb kann ich diese Frage nicht beantworten. Ich glaube aber eher, dass alles sehr schnell gegangen ist und die Passagiere nichts mitbekommen haben.
"Krone": Kommen bei solchen Katastrophen Erinnerungen an das Unglück der "Mozart" zurück, das vor 23 Jahren 223 Todesopfer gefordert hat?
Lauda: Ja… Vor allem wenn ich die Bilder der verzweifelten Angehörigen sehe, die noch immer Hoffnung haben.
"Krone": Für sie wird weltweit gebetet. Warum berührt ein Flugzeugabsturz die Menschen so sehr?
Lauda: Fliegen ist noch immer eine Faszination, und vom Himmel abzustürzen eine Urangst des Menschen. Wer in ein Flugzeug steigt, legt sein Schicksal in die Hände einer fremden Person, er ist den Piloten ausgeliefert. Die Urangst ist wohl auch, dass das mit dem Tod enden kann.
Das Unglück
Am 8. März um 2.40 Uhr morgens verschwindet eine Boeing 777 der Malaysia Airlines auf dem Flug von Kuala Lumpur nach Peking von den Radarschirmen. Seit acht Tagen suchen zwölf Länder mit 42 Schiffen und 39 Flugzeugen nach Wrackteilen; erst im Südchinesischen Meer, nun auch im Indischen Ozean. China überwacht mögliche Absturzstellen mit 10 Satelliten sogar aus dem All - von 239 Passagieren an Bord waren 152 chinesische Staatsbürger. Niki Lauda, Verwaltungsrat bei Air Berlin und erfahrener Pilot, kritisiert die "beispiellose Fehlkommunikation" dieser Flugkatastrophe.
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