"Betreuungsstelle Ost" lautet der unaufdringliche Name am Gebäude der ehemaligen k.-u.-k.-Artilleriekadettenschule. Frauen schieben Kinderwägen durch den Security-Check ins Freie. An der Straße zur Badner Bahn, von den Einheimischen "Orient-Express" genannt, stehen Männer in kleinen Gruppen zusammen. Sie rauchen und spielen mit ihren Handys.
Das Flüchtlingslager Traiskirchen: Es hat wieder einmal seine Kapazitätsgrenze erreicht. Am Donnerstag reiste FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache an, um eine Demo "gegen das Asylchaos" abzuhalten. "Eine reine Parteikundgebung", erklärt SPÖ-Bürgermeister Andreas Babler. "Von 400 Leuten waren vielleicht 150 Traiskirchener, der Rest waren FPÖ-Funktionäre."
Auf einer Tafel in Bablers Büro steht: "Einer muss den Job ja machen." Der Mann mit dem unmöglichen Job - Stadtchef von 20.000 Bewohnern und 1.600 Asylwerbern - hat sein neun Wochen altes Mädchen um den Bauch geschnallt. Bevor das "Krone"-Interview beginnt, küsst er die kleine Prinzessin noch schnell und übergibt sie dann seiner Frau Karin.
"Krone": Herr Bürgermeister, hat Heinz-Christian Strache den Menschen gestern aus dem Herzen gesprochen?
Andreas Babler: Wenn einer daherkommt und Phrasen drescht wie "Flüchtlingslager sofort zusperren!", dann erntet er von manchen wenigen natürlich Zustimmung. Ist halt Wahlkampf. Die 99 Prozent der Traiskirchener, die nicht hingegangen sind, wissen, dass ich ein Garant bin in der Auseinandersetzung mit dem Flüchtlingslager und dass ich dies auch am Tag nach der Wahl bin - wo die Straches, Höbarts und Co. Traiskirchen wieder vergessen haben. Ich bin sehr froh, dass alles friedlich abgelaufen ist. Ich bin als Bürgermeister auch sehr bewusst auf keine der beiden Protestveranstaltungen gegangen, sondern habe eine Leitstelle eingerichtet, damit im Ernstfall meinerseits koordiniert werden kann. Meine Position zur FPÖ-Wahlkampfveranstaltung habe ich ja im Vorfeld öffentlich klar gemacht. Denn was man nie vergessen darf, ist, dass es da um Menschen geht. Das ist mein zutiefst humanistischer Zugang. Flüchtlinge sind Menschen - und Menschen kann man nicht in einem Massenlager unterbringen.
"Krone": Für diesen Ausdruck wurden Sie vom Innenministerium kritisiert. Bleiben Sie dabei?
Babler: Natürlich. Weil es die Wahrheit ist. Da kann die Innenministerin noch so oft betonen, dass ich damit Unruhe oder Angst schüre. Ich sage "Massenlager", weil Traiskirchen eines ist. Und weil ich der Überzeugung bin, dass man so mit Flüchtlingen nicht umgeht. Deshalb brauchen wir in Österreich mindestens vier bis fünf solche Einrichtungen mit je 200 bis 300 Flüchtlingen. Das muss man einmal zur Kenntnis nehmen, aber aus irgendeinem Grund wollen das Innenministerium und die Länder keine neuen Erstaufnahmezentren, was der einzige Weg ist, unser Massenlager zu beseitigen.
"Krone": Was ist so unmenschlich in Traiskirchen?
Babler: Hier leben zum Teil bis zu 25 Menschen zusammengepfercht in einem Raum. Das beginnt mit ganz banalen Dingen, nämlich, dass die Privatsphäre nicht gegeben ist. Man bringt unterschiedliche Kulturen, die miteinander Konflikte auch historischer Natur haben, gemeinsam unter. In der Nacht und am Wochenende gibt es keinen fixen Arzt und deshalb Probleme mit der Verständigung. Einmal gab es für eine Gruppe von Flüchtlingen tagelang nur kaltes Essen. Für die unbegleiteten Minderjährigen - momentan haben wir über 500 - gibt es für mich als Bürgermeister keinen Ansprechpartner als gesetzlichen Vormund, wenn es außerhalb des Lagers zu Problemen kommt, und sie werden auch nur mäßig auf die Bundesländer aufgeteilt. Das Flüchtlingslager - auch dabei bleibe ich - ist ein Schandfleck für unser Land.
"Krone": Und für die Bevölkerung? Stimmt es, dass man in Traiskirchen Angst haben muss, auf die Straße zu gehen? Dass Mütter mit Kindern die Autofenster verriegeln, wenn sie am Flüchtlingslager vorbeifahren?
Babler: Es gibt diese große subjektive Angst. Weil eine große Zahl von fremden Menschen natürlich ein Unwohlsein hervorruft. Objektiv lässt sich das aber nicht so festmachen. Dass es ab und zu Probleme - meistens wegen Alkohol - im öffentlichen Raum gibt, ist aber auch Realität.
"Krone": Die Kriminalität ist in Traiskirchen höher als anderswo.
Babler: Nein, das ist so nicht richtig. Wir sind im südlichen Wiener Becken alle der organisierten Kriminalität ausgesetzt. Bei diesen Einbrecherbanden handelt es sich aber um Einbruchsdelikte und nicht um unsere Flüchtlinge, definitiv nicht! Auch wenn es Probleme mit Drogen gibt, betrifft das zu einem großen Teil nicht Flüchtlinge, sondern eine ortsansässige Gruppe rund um den Bahnhof, die dort Substanzen konsumiert. Und viele ältere Bürger erzählen mir, dass es früher auf vielen niederösterreichischen Weinfesten mehr Raufereien als bei uns in Traiskirchen gab und gibt.
"Krone": Die Männer, die vor dem Lager herumstehen und rauchen, Bier trinken, mit Handys telefonieren: Woher haben sie das Geld?
Babler: Sie bekommen 40 Euro pro Monat und keinen Cent mehr. Weil es wenig Beschäftigungstherapie und offensichtlich auch kein attraktives Betreuungsprogramm gibt, fadisieren sich natürlich viele. Manche lösen das mit Alkohol. Denken Sie nach, wenn 1.600 Menschen irgendwo sitzen, und es gibt kein Programm.
"Krone": Die Einheimischen nennen die Badner Bahn, mit der Asylwerber oft nach Wien fahren, mittlerweile "Orient-Express". Finden Sie das diskriminierend?
Babler: Nein, "Orient-Express" finde ich nicht diskriminierend. Da gibt es viel schlimmere Ausdrücke, die der Volksmund kennt.
"Krone": Ihr Vorgänger hat einmal gesagt, für Drogendealer sei auch der Ausdruck "Neger" okay.
Babler: Das war auch so nicht in Ordnung. Trotzdem glaube ich, dass man Fritz Knotzer da historisch unrecht tut.
"Krone": Haben Sie das N-Wort schon einmal gesagt?
Babler: Ich glaube nicht. Vielleicht als Kind. Es gibt ja in Kinderliedern den Ausdruck. Aber daran kann ich mich nicht erinnern.
"Krone": Ist "Asylant" diskriminierend?
Babler: Ja, weil es immer in Verbindung mit negativen Aussagen gebraucht wird. Ich bemühe mich immer, "Flüchtling" zu sagen. Denn das trifft es am besten.
"Krone": Aber es gibt auch die sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge.
Babler: Gerade in Traiskirchen sieht man, dass der Großteil der Menschen aus Kriegsgebieten kommt. Syrien, Afghanistan, Zentralafrika. Man muss ja nur die Nachrichten verfolgen. Eine Stadt ungefähr so groß wie Traiskirchen ist in den letzten zehn Jahren auf der Flucht über das Mittelmeer umgekommen. Jetzt sollte man einmal nachdenken: Diese Menschen riskieren es trotzdem. Also, das ist kein Spaziergang ins Heilige Land Europa, weil es ihnen dort so leiwand geht. Das Problem ist ganz einfach, dass wir es in Österreich nicht schaffen, einen menschlichen Zugang zu der Thematik zu finden. Sondern jeder Bürgermeister hat Angst, wenn er "Flüchtlinge" hört, weil er Traiskirchen kennt. Das Massenlager.
"Krone": Seit Jahrzehnten ist Traiskirchen der Hotspot der österreichischen Flüchtlingsproblematik - und geändert hat sich nichts. Wie zornig sind Sie schon?
Babler: Es ist eine Mischung aus Enttäuschung über diese leeren Versprechungen und Vertröstungen, die da dauernd kommen, aber auch Zuversicht, weil die Aufteilung jetzt wirklich neu diskutiert wird. Zornig macht mich eher, dass die Bevölkerung falsch informiert wird. Das Problem sind nicht nur die Länder. Denn selbst wenn die Länder mehr Flüchtlinge aufnehmen, bleiben in Traiskirchen immer noch 1.000. Das wird offensiv negiert.
"Krone": Am Dienstag ist Asylgipfel der Bundesländer. Ihre Forderung in einem Satz?
Bas wird aber nicht passieren. Was ist dann Ihr Plan?
Babler: Erstens muss es irgendwann passieren. Denn: Dass alles an Traiskirchen hängen bleibt, werden wir nicht akzeptieren. Wir werden weiter Druck machen. Ich bin ja bekannt dafür, auf vielen Ebenen Druck zu machen. Wenn die Innenministerin das nicht schafft, dann muss es eben in der Regierung einen neuen unabhängigen Flüchtlingsbeauftragten geben.
"Krone": Wäre das ein Job für Sie?
Babler: Dafür bin ich zu gerne Bürgermeister von Traiskirchen. Aber wenn ich in der Asylpolitik die Kompetenz hätte, etwas zu ändern, dann wäre das schnell beseitigt. Man kann das Massenlager mit Weisungen innerhalb von Wochen schließen. Da brauche ich nicht jedes halbe Jahr das Polittheater in den Medien dafür.
"Krone": Ist die Betreuung eigentlich besser geworden, seit eine Schweizer Firma das übernommen hat?
Babler: Nein. Das war ein simpler Trick des ehemaligen Innenministers, der ja jetzt eh andere Sorgen hat und im Gefängnis sitzt. Er hat sich aus der politischen Verantwortung gezogen, indem er das, wofür er kritisiert worden ist, einer Profitorganisation übergeben hat. Das war ein schwerer Fehler. Wo der Kommerz regiert, heißt die Formel: Weniger Kosten, weniger Qualität, weniger Betreuung. Es muss denen ja was überbleiben.
"Krone": Herr Babler, Sie sind als Arbeiterkind in den Semperit-Bauten aufgewachsen. Woran merkt man das heute eigentlich noch?
Babler: Ich bin ganz verbunden mit den Menschen, die selber keine Lobby haben und es sich halt nicht richten können. Mir ist auch bewusst, dass der Reichtum einer Stadt nicht den Konzernen zu verdanken ist, die überall ihre Steueroasen ausnützen, sondern den Arbeitern, die dort jeden Tag gehackelt haben. Mich berührt, wenn Frauen, die 30 Jahre am Fließband gestanden sind und dann zehn Jahre unterbrochen haben für ihre Kinder, im Winter die Heizkosten nicht bezahlen können. Ich bin eigentlich durch und durch Sozialpolitiker. Das ist heute notwendiger denn je.
"Krone": Ist die SPÖ noch eine Arbeiterpartei?
Babler: Die größte Aufgabe der SPÖ ist zu klären, für wen sie eigentlich Politik macht.
"Krone": Jetzt spricht der "Revoluzzer"...
Babler: Der Ausdruck gefällt mir überhaupt nicht. Ich halte es für einen Wahnsinn, wenn man als Revoluzzer bezeichnet wird, wenn man sozialdemokratische Grundprinzipien einfordert. Ein Revoluzzer stellt sich gegen die Inhalte einer Bewegung. Das mache ich nicht. Im Gegenteil: Ich werfe der Führung vor, dass sie sich von den Inhalten entfernt.
"Krone": Was soll man in 30 Jahren einmal über Andi Babler sagen?
Babler: Er hat aus Traiskirchen eine Stadt für Kinder, eine bessere Stadt zum Leben für alle gemacht. Dafür arbeite ich tagtäglich, oft 100 Stunden pro Woche.
"Krone": Und über das Flüchtlingslager?
Babler: Das wird es dann so nicht mehr geben. Sicher nicht, das ist ganz fix.
Zur Person
Geboren am 25. 2. 1973, aufgewachsen als Arbeiterkind in den Semperit-Häusern im Traiskirchner Stadtteil Wienersdorf. Babler arbeitet als Maschinenschlosser und als Schichtarbeiter und studiert auf dem zweiten Bildungsweg. Bereits 1989 tritt er der Sozialistischen Jugend bei, später dann der Partei und gilt in der SPÖ als "Revoluzzer". Seit 1995 ist er Mitglied des Gemeinderats und seit April 2014 ist er Bürgermeister von Traiskirchen. Privat ist Babler verheiratet mit Karin Blum, die beiden sind Nebenerwerbswinzer. Tochter Flora ist neun Wochen alt.
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