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Wien-Wahl: Die Sorgen der Gewinner und Verlierer

Österreich
12.10.2015 16:55
Wien hat gewählt. Die SPÖ ist Sieger und liegt als solcher im Bereich ihres schlechtesten Ergebnisses seit 1945. Die FPÖ hat trotz Stimmenplus das Rennen um den ersten Platz klar verloren. Die Grünen erzielten ein bescheidenes Resultat. Für die ÖVP gab es ein Debakel. Sogar die über den Landtags- und Gemeinderatseinzug jubelnden NEOS beweinen als Wermutstropfen die verpasste Regierungschance.

1. Für die SPÖ hat - anders als in der Festzeltstimmung am Wahlabend - Bürgermeister Michael Häupl die Parole der Nachdenklichkeit ausgegeben. Das ist strategisch klug, weil jedwedes Triumphgeheul bei einem - nüchtern betrachtet - dicken Minus deplatziert wäre. Darüber hinaus waren es die Stimmen der Pensionisten, die der SPÖ den Erfolg sicherten. Unter Arbeitern und Angestellten ist man hinter die FPÖ zurückgefallen. Jenseits des Wiener Stadtrands ein Anlass zur Bescheidenheit ist, dass andere Landesorganisationen viel schwächer sind. Die Bundespartei verfügt über ein Negativimage: Während mehr als die Hälfte mit der Stadtregierung und dem roten Bürgermeister zufrieden ist, ist es mit Bundesregierung und SPÖ-Kanzler weniger als ein Drittel.

Hinzu kommt, dass eine steigende Wählerzahl Verschlechterungen der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse empfindet. Ja, zwei Drittel sehen Wien als lebenswerte Stadt. Vor fünf Jahren waren es freilich mehr als drei Viertel. Wer sorgenvoll und ängstlich ist, wählt zunehmend die FPÖ. Wird das nicht gelöst, verliert die SPÖ Stimmen - so wie in 18 von 20 Wahlen während der Amtszeit Werner Faymanns.

Michael Häupl (Bild: APA/ROLAND SCHLAGER)
Michael Häupl

2. Die FPÖ wiederum bekommt selbst in erfolgreichen Wahljagden bloß Häppchen als Beute. Im Burgenland schauten Landesratsposten ohne große Kompetenzen heraus. Was im Fall Oberösterreich geschieht, ist offen. Regierungssitze aufgrund des Proporzes und ohne Gestaltungsmacht - wie in Kärnten - zählen nicht. In Wien dürfen exakt sieben zusätzliche Abgeordnete feiern, die jetzt in der warmen Gemeinderatsstube statt auf dem kalten Rathausplatz sind. Für Hunderttausende Wähler waren alle Gewinne auf Landesebene ein Muster ohne Wert.

Heinz-Christian Strache und Kollegen gelten als Hooligansektor der Politik. Diese Abgrenzung wird als "Ausgrenzung" propagandistisch verwertet. Dazu ein Vergleich mit dem Privatleben: Wer allen denkmöglichen Partnern zu unsympathisch ist, muss Fehler genauso bei sich suchen. Nicht immer sind allein paarungsunwillige Mitmenschen schuld. Parallel dazu nützt sich die Geschichte ab, dass ein angeblich von allen verfolgter Jungspund gegen die alte Politik dauerkämpft. Das würde für einen Über-50-Jährigen peinlich wirken. So gesehen ist die Nationalratswahl 2018 Straches letzte Chance.

Heinz-Christian Strache (Bild: APA/EPA/ROLAND SCHLAGER)
Heinz-Christian Strache

3. Die Grünen könnten die Wahl in Wien gelassen sehen, weil die rot-grüne Mehrheit Bestand hatte. Eine Fortsetzung der Koalition ist wahrscheinlich. Lediglich Parteichefin Maria Vassilakou hat sich in Schwierigkeiten gebracht, weil sie bei einem Stimmenverlust zurücktreten wollte und danach bleibefreudig auftrat.

Der echte Haken ist, dass Wählerstimmen in fünfstelliger Zahl zu den NEOS wanderten. Das hat nichts mit grünen "Leihstimmen" für Häupl und gegen Strache zu tun. Sobald es Konkurrenten im liberalen Oppositionslager gibt, wackeln die Wahlergebnisse.

Maria Vassilakou (Bild: APA/HERBERT NEUBAUER)
Maria Vassilakou

4. Die Wiener ÖVP ist ein Torso. Das ist ein Rumpf ohne Kopf und Gliedmaßen, weil sowohl das Konzept als auch der Organisationsapparat fehlen. Selbst im 19. Gemeindebezirk, wo der Bezirksvorsteher seine Mehrheit rettete, bestehen die Döblinger Regimenter aus wenigen Herrschaften höheren Alters beim Heurigen.

Wenn in der Hauptstadt bestenfalls jeder Zehnte die ÖVP wählt, ist man auf Bundesebene chancenlos. Die Stehsätze einer personellen und strukturellen Veränderung sind Realitätsverweigerung. Mit Ausnahme von Sebastian Kurz sind fast alle ÖVP-Stadtpolitiker gescheitert, die aufrecht über die Straße gehen. Für jüngere und aufgeschlossene Bürgerliche gibt es eine Neugründung, die sich NEOS nennt.

Manfred Juraczka (Bild: APA/HELMUT FOHRINGER)
Manfred Juraczka

5. Für die NEOS ist unabhängig davon nicht alles Gold, was glänzt. Sie sollten im wienerischen Freudentaumel nicht vergessen, heuer in drei von vier Landtagswahlen gescheitert zu sein. Die Personaldecke ist dünner als angenommen. Außerhalb Wiens agierten die Frontmänner und -frauen zwischen bemüht und hilflos.

Das Hauptdilemma ist, dass die Wähler der NEOS keine Protestierer sind, die aus purem Ärger über etablierte Politiker pink sind. Sie wollen mitregieren. Der Hoffnungsschimmer ist überall, dass zwei Parteien einen Dritten brauchen, zweitens da die NEOS am liebsten mögen, sowie es sich drittens rechnerisch ausgeht. Das in Kombination ist möglich, aber selten.

Beate Meinl-Reisinger (Bild: APA/HERBERT P. OCZERET)
Beate Meinl-Reisinger

Also haben alle Parteien größere Sorgen, was Neuparteien allerlei Perspektiven eröffnen würde. Doch seit der Selbstzerstörung und skurrilen Auftritten des Team Stronach sind die Wähler da misstrauisch. Aus guten Gründen.

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