Sein Wutauftritt in der "ZiB 2" hat den ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner (60) ins Zentrum von Spekulationen gerückt: Mit Conny Bischofberger spricht der Vizekanzler über Hintergründe und Folgen eines entfesselten Gesprächs, seinen Grant über die ORF-Spezialsendung mit Bundeskanzler Werner Faymann am Sonntagabend und die Machtverhältnisse in der eigenen Partei.
Freitag später Nachmittag im Büro des Vizekanzlers am Stubenring 1 in Wien. Reinhold Mitterlehner wird sich gleich auf den Weg nach Oberösterreich machen, wo er das Wochenende verbringt. Wir haben noch eine halbe Stunde Zeit.
Seit er die "ZiB 2" am Mittwoch fast "gesprengt" hat, muss sich der ÖVP-Chef viel Kritik gefallen lassen. "Ein Politiker soll nicht so beleidigt sein", lautet der Tenor. Viele fanden seinen emotionalen Auftritt aber auch gelungen. Motto: "Endlich sagt einer dem ORF die Meinung!" Hintergrund ist die "Spezialsendung" für den SPÖ-Bundeskanzler am Sonntagabend. Der ORF räumt dafür das "Im Zentrum"-Studio für Werner Faymann und Ingrid Thurnher aus.
Im "Krone"-Gespräch, bei dem es auch um Konkurrenz aus der eigenen Partei geht, gibt sich Mitterlehner sachlich und souverän. Nur in seinem Gesicht kann man lesen, was er sich zu manchen Dingen denkt...
"Krone": Herr Vizekanzler, werden Sie sich am Sonntag "Im Zentrum" anschauen?
Reinhold Mitterlehner: Ich nehme an, dass ich mir "Im Zentrum" anschaue. Ich will ja wissen, ob und wie der Herr Bundeskanzler unsere Flüchtlingslinie bestätigt. Denn nach der ÖVP-Klubklausur am 14. Jänner hat er sich ja noch ganz im Sinne der Frau Merkel ausschließlich prioritär für die europäische Lösung ausgesprochen. Also bin ich gespannt, wie er diesen Wandel erklärt.
"Krone": Stimmt der Eindruck, dass Sie beleidigt sind?
Mitterlehner: Beleidigt wäre kleinkariert. Das ist nicht meine Kategorie der Auseinandersetzung. Ich finde nur, dass es dafür genügend Interviewformate gäbe - etwa die "Pressestunde" oder auch die "ZiB". Es wäre nicht notwendig, für den Herrn Bundeskanzler ein Monopol in der Darstellung zu schaffen.
"Krone": Das Vorbild scheint Anne Will zu sein, die auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ohne Studiogäste interviewt hat.
Mitterlehner: Die Sendung heißt ja auch Anne Will. Aber die ORF-Sendung heißt nicht Ingrid Thurnher, sondern "Im Zentrum". Und der Herr Faymann ist auch nicht die Frau Merkel. Deshalb bleibe ich dabei: Das schaut nach Bestellung aus.
"Krone": Wer soll da was bestellt haben?
Mitterlehner: Natürlich die Sozialistische Partei. Das wird auch noch Thema im Stiftungsrat sein. Wir erleben diese Ungleichbehandlung ja auch bei "ZiB 2"-Interviews mit Werner Faymann, die zu 90 Prozent direkt aus dem Bundeskanzleramt mit Fahnen im Hintergrund gesendet werden. Jeder andere, der auch seine Termine hat, nimmt die Fahrt zum Küniglberg in Kauf.
"Krone": Von Ihrer Partei schließen Sie aus, dass ab und zu etwas bestellt wird?
Mitterlehner: Ich schließe nicht aus, dass es bestimmte Vorstellungen unsererseits oder von anderen Parteien gibt, aber es ist ein Unterschied, wenn Formate extra ausgeräumt werden. Wir gehen in bestehende Diskussions- oder Interviewformate, wenn es Einladungen gibt.
"Krone": Sie haben aus diesem Grund am Mittwochabend beinahe die "ZiB 2" gesprengt. Was ist los mit Ihnen?
Mitterlehner: Man sollte die Interpretation jetzt nicht überstrapazieren. Aber in Wahrheit habe ich schon die Einleitung als Foul empfunden und es war nicht das erste Foul an dem Tag. Trotzdem hat es den Verlauf des Gespräches nicht wirklich gestört. Ungeduldig bin ich geworden, weil mir der Moderator signalisiert hat, ich solle mich beeilen, und gleichzeitig räumt man ein Format eigens für den Herrn Bundeskanzler aus. Das ist es aber auch schon. Letztlich war es doch ein positiver Auftritt, weil er einiges in Gang gebracht hat.
"Krone": Und wenn Sie selbstkritisch sind?
Mitterlehner: Selbstkritisch bemerkt hätte der Schluss vielleicht etwas charmanter und beiläufiger sein können...
"Krone": Mein Kollege Claus Pándi hat Sie daraufhin in einem Kommentar für "politisch tot" erklärt. Das Szenario: Sie bleiben zwar ÖVP-Obmann, aber Shootingstar Sebastian Kurz geht als Spitzenkandidat der ÖVP in die nächsten Wahlen. Für wie wahrscheinlich halten Sie das?
Mitterlehner: Die Kritik der "Krone" hat mich ehrlich gesagt empört. Das genaue Gegenteil ist der Fall: Ich habe aus allen Bereichen unserer Partei Unterstützung bekommen. Sie können das auch in den Postings online nachlesen. Ich bin für vier Jahre gewählt, jetzt das zweite Jahr im Amt, unsere Umfragewerte könnten natürlich noch besser sein, aber sie sind durchaus auf einer guten Basis, jedenfalls fünf Prozent über den Werten, mit denen ich gestartet bin. Also bin ich voll motiviert. Was das sogenannte Szenario betrifft: Das taugt nicht einmal zur Kaffeesudspekulation.
"Krone": Außenminister Sebastian Kurz war diese Woche im "Krone"-Newsroom zu einem Live-Interview zu Gast. Ich habe ihn gefragt, ob das die neuen Machtverhältnisse in der ÖVP zeigt, wenn er bei Anne Will vor 4,5 Millionen und Sie als Parteichef "Im Zentrum" vor 400.000 Zusehern diskutieren.
Mitterlehner: Erstens einmal habe ich gehört, dass er das gut gemacht hat. Zweitens ist es ein Vorteil, wenn wir beide unsere Positionen darstellen können, obwohl ich es ungerecht fand, dass wir uns "Im Zentrum" alle mit Johannes Voggenhuber auseinandersetzen mussten, der die Sendung aufgrund fehlender Diskussionskultur zu drei Vierteln dominiert hat. Und was Sebastian Kurz im deutschen Fernsehen anbelangt: Warten Sie ab! Vielleicht ergibt sich schon bald die umgekehrte Variante (lächelt in sich hinein).
"Krone": Gibt es neue Machtverhältnisse?
Mitterlehner: Überhaupt nicht. Sebastian Kurz ist einer meiner Stellvertreter, wie auch Johanna Mikl-Leitner. Die Linie in der Flüchtlingspolitik haben wir gemeinsam erarbeitet. Ob wir eine Totalabweisung an den Grenzen riskieren sollten, war auch innerhalb der Partei nicht unumstritten. Aber schlussendlich hat die EU unsere - aus meiner Sicht richtige - Linie bestätigt.
"Krone": Dieser "Stellvertreter" hat eine besonders steile Karriere hingelegt und wird mittlerweile als Kanzlerkandidat gehandelt. Das wollten Sie doch werden..?
Mitterlehner: Ist doch schön, wenn jemand große Erwartungshaltungen auslöst. Es gibt in jeder Partei junge, kreative, medienwirksame Politiker - na ja, in der SPÖ sehe ich es nicht unbedingt so leuchten. Aber Faktum ist, dass ich jetzt der Bundesparteiobmann bin und es bei mir liegt, wie wir uns weiter verbessern.
"Krone": Stiehlt Kurz Ihnen nicht zu oft die Show?
Mitterlehner: Ich glaube, dass jeder in seinem Bereich umzusetzen hat, was notwendig ist. Er macht das ausgezeichnet als Außenminister, aber daraus abzuleiten, dass der Einzelne - ob das jetzt ich bin oder irgendwer anderer - als "Messias" die ganze Partei führen kann, das ist ein bisschen übertrieben. Wir brauchen die Geschlossenheit der Partei, um einen Schritt nach vorne zu machen.
"Krone": Wie ist Ihr Verhältnis zu Sebastian Kurz?
Mitterlehner: Unser Verhältnis ist bestens. Es gibt überhaupt keinen Grund, unser Verhältnis in irgendeiner Weise zu interpretieren.
"Krone": Apropos Schritt nach vorne: Als nächstes steht die Bundespräsidentenwahl an. Könnten Sie ein Scheitern Ihres Kandidaten politisch überleben?
Mitterlehner: Ich bitte Sie. Gewählt wird der Bundespräsident, das ist keine Nationalratswahl mit mir als Spitzenkandidat. Wir werden ein anständiges und gutes Ergebnis erzielen. Die nächsten Wochen werden es noch beweisen: Wir brauchen einen Bundespräsidenten, der wie Andreas Khol die Verfassung beherrscht, und nicht einen, der sagt, ich werde die Regierung abberufen, nicht eine, die zurücktritt, wenn sie eigentlich vortreten sollte, und schon gar keinen, der so lange wählen lässt, bis er das richtige Ergebnis hat.
"Krone": Aber es ist doch gut möglich, dass Andreas Khol nicht einmal in die Stichwahl kommt. Oder wetten Sie eine Kiste Bier darauf?
Mitterlehner: Ich glaube, dass es eine knappe Entscheidung wird. Haben wir jetzt eine Kiste Bier gewettet? Dann Zipfer. Ein oberösterreichisches Bier (lacht).
"Krone": Laut neuester "Krone"-Umfrage zur Flüchtlingspolitik sagen 80 Prozent, der härtere Kurs ist richtig, Österreich habe genug getan. Hat das Ergebnis Sie überrascht?
Mitterlehner: Nein, weil wir auch eigene Umfragen haben und ich viel bei den Menschen bin. Bei aller Hilfsbereitschaft: Die Grenze ist dort erreicht, wo das Land ohnmächtig war, seine Grenzen noch zu kontrollieren, die Flüchtlingsströme noch bewältigen zu können. Jetzt gehen wir doch in eine systematischere Flüchtlingspolitik auf EU-Ebene. Das war, was wir angestrebt haben, was wir mit der nationalen Vorgangsweise ausgelöst haben.
"Krone": Herr Vizekanzler, in den sozialen Netzwerken wird derzeit ein erschütterndes Foto geteilt. Es zeigt ein neugeborenes Kind, mitten im Schlamm von Idomeni. Wie ist so etwas mit den christlichen Werten der ÖVP vereinbar?
Mitterlehner: Ich glaube, dass mit solchen Bildern bewusst Politik gemacht wird. Auch in Griechenland stehen entsprechende Quartiere, gerade auch für Familien und Kinder, zur Verfügung, aber viele Flüchtlinge nehmen diese Quartiere nicht an, um Druck in Richtung Öffnung der Balkanroute zu erzeugen.
"Krone": Das war jetzt theoretisch. Aber was empfinden Sie, wenn Sie das Foto sehen?
Mitterlehner: Das ist sehr bedauernswert, aber auch das ist Europa im Jahr 2016. Ich frage mich, ob dieses Bild nicht vermeidbar gewesen wäre. Ob nicht auch andere Bilder entstehen hätten können, Bilder mit einem Rettungsauto, mit Ärzten, mit dem Transport dieses Neugeborenen in ein Krankenhaus.
"Krone": Was wünschen Sie dem Kind?
Mitterlehner: Eine gute Zukunft, hoffentlich in Europa.
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