Gewerkschaftslegende

Sind Sie das letzte Urgestein, Herr Neugebauer?

Österreich
15.10.2016 17:17

Abschied von einer Legende: Mit Conny Bischofberger spricht Beamten-Gewerkschafter Fritz Neugebauer (72) über seinen Ruf als Betonierer, Tricks bei Verhandlungsrunden und das schwierige Leben danach.

Ein weißes Prunkpalais gleich hinter dem Wiener Traditionscafé "Landtmann", der Vorsitzende der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD) residiert im hell beleuchteten vierten Stock. "Der Herr Präsident lässt bitten!"

Als ich eintrete, erhebt sich Fritz Neugebauer vom Computer und übernimmt den Vorsitz am Besprechungstisch, auf dem ein ganzer Stoß von Glückwunsch-Karten zum 72. Geburtstag liegt. "Ein Brief stammt von einem ehemaligen Lehrer-Kollegen. Ich habe ihn vor fünfzig Jahren das letzte Mal gesehen. Er ist heute 93 und wohnt im Seniorenheim. Er hat so klar geschrieben, das hat mich berührt", erzählt der langjährige Beamten-Gewerkschafter und frühere Lehrer, "ich möchte ihn ausfindig machen und besuchen." Als die Melangen serviert werden, greifen seine großen Hände nach dem Häferl und schieben es beiseite. "Ich mag den Kaffee lieber, wenn er schon abgekühlt ist."

Und dann sitze ich ihm gegenüber, dem "Betonklotz", wie er aufgrund seiner Härte bei Gehaltsverhandlungen oft ehrfurchtsvoll bezeichnet wurde, und versuche, seinem "Mich kann nichts beeindrucken"-Blick standzuhalten. Weich wird der ÖVP-Machtmensch erst, als es ums Sterben geht.

(Bild: Zwefo)

"Krone": Herr Neugebauer, am vergangenen Dienstag haben Sie beim Bundeskongress der GÖD Ihren Rückzug bekannt gegeben. Tut der Abschied sehr weh?
Fritz Neugebauer: Abschied ist nicht ganz richtig. Ich habe das Steurrad übergeben und trete zurück in die hinteren Reihen.

Um von dort noch immer hineinzuregieren?
Nein, gar nicht. Ich hatte ja geplant, zur Gänze aufzuhören. Aber meine Freunde haben gesagt: Solange es dir Spaß macht, wäre es gut, wenn du noch dabei sein könntest.

Könnten das auch noch zehn Jahre sein?
(lacht) Arbeit gäbe es genug. Aber nein, man spürt schon, wann Schluss sein sollte. Solange ich noch etwas einbringen kann und gesund bin, bleibe ich an Bord.

Nach 19 Jahren diesen Schritt zu machen, lässt Sie das kalt?
Es gibt schon Situationen, wo auch ich feuchte Augen bekomme. Die Verabschiedung am Dienstag war so ein Moment, wo man halt einmal schluckt.

(Bild: Zwefo)

Betonierer, Dinosaurier, Bremser, harter Hund: Welche Bezeichnung hat Sie denn am ehesten charakterisiert?
Gar keine. Mir machen diese Bezeichnungen aber auch gar nichts. Wenn Beamte in politischen Diskussionen aus meiner Sicht ungerechtfertigt attackiert worden sind, dann habe ich manchmal kräftig "Nein!" gesagt. Dann kommen halt solche Bezeichnungen als Reaktion.

"Zum ersten Mal bewegt er sich" schrieb unser "Herr Nimmerwurscht" anlässlich Ihres Rückzugs als Vorsitzender.
Sehr gut! (lacht)

Können Sie auch über Beamten-Witze lachen?
Ich höre.

Treffen sich zwei Beamte am Gang. Sagt der eine zum andern: Kannst du auch nicht einschlafen?
Sehr gut! (lacht)

(Bild: Zwefo)

Ihre Beharrlichkeit war weniger lustig. Haben Sie damit wichtige Reformen in diesem Land nicht unnötig hinausgezögert?
Welche zum Beispiel?

Lehrerdienstrecht.
Das war ja keine dienstrechtliche Änderung, da wollte man nur budgetschonend die Arbeitszeit erhöhen.

Sie haben sich sogar gegen zwei Arbeitsstunden mehr pro Woche gestellt.
Weil es sechs Jahre vorher schon einen Verhandlungsabschluss für ein Jahresarbeitszeitmodell gegeben hat. Dann kam Dr. Claudia Schmied und brauchte Geld. So geht's natürlich nicht.

Sie hat sich an Ihnen die Zähne ausgebissen.
Soweit ich mich erinnern kann, hat sie mich gar nicht gebissen.

Was war das Geheimnis Ihrer Beharrlichkeit?
Vielleicht: "Wer aufsteht, hat verloren." Bei verzwickten Situationen können Verhandlungen schon lang dauern, ich erinnere mich an die Pensionsreform unter Schüssel. Das waren Nächte! Da ist es wichtig, sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, Sitzfleisch zu bewahren. Ich habe manchmal einen Scherz gemacht: "Tut's nicht so lange herum, ihr müsst auf meine Geburtsurkunde schauen. So viel Zeit hab' ich nicht mehr!"

(Bild: Zwefo)

Wie sind Sie dann zu einem Kompromiss gekommen?
Indem ich die Linie hart vertreten, aber dennoch den Punkt der Gegenseite gespürt habe, den Knackpunkt, an dem etwas weitergehen kann.

Stimmt es, dass Sie in Verhandlungspausen Klavier gespielt haben?
Das ist eigentlich nur zweimal passiert. Einmal in der Ära Grasser, und später im runden Salon des Kanzleramtes. Da hat sich die Dienstgeberseite zurückgezogen, um den Verhandlungsstand zu beraten und Kaffee zu trinken. Na, dann habe ich halt ein bisschen was gespielt. Ich habe zu Hause nur ein Pianino. Da standen Flügel, also hab ich mich hingesetzt und Operetten gesungen.

Was war das für ein Zeichen? Dass der Abschluss kurz bevorsteht?
Kein Zeichen, das war Zeitvertreib, ein reiner Pausenfüller.

Sie haben unzählige Minister und Staatssekretäre und auch acht ÖVP-Chefs erlebt. Welche Politiker haben Sie beeindruckt?

Alois Mock mit seinem Intellekt und Fleiß. Helmut Zilk mit seinem Pragmatismus: "Machen wir gleich. Ruckzuck." Und Wolfgang Schüssel, der wie kein anderer politische Zusammenhänge analysiert hat.

Und aus der Jetzzeit?
Justizminister Brandstetter und Finanzminister Schelling.

(Bild: Zwefo)

Wie sehen Sie das Duell in der ÖVP? Hätte Kurz das Zeug, Mitterlehner abzulösen?
Er ist gescheit, unheimlich fleißig und immer bestens vorbereitet. Dass er erst 30 ist, wäre jedenfalls kein Hindernis.

Glauben Sie, dass Van der Bellen es noch einmal schaffen wird?
Man wird sehen.

Werden Sie ihn wählen?
Wahlgeheimnis!

Was war rückblickend gesehen Ihr größter Erfolg?
Ich könnte jetzt sagen, dass unsere Mitgliederzahl um 20.000 gestiegen ist. Oder dass in meiner Ära die Neuordnung der Beamtenpensionen, das neue Lehrerdienstrecht und die Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit beschlossen wurden. Aber das ist es nicht ... (denkt kurz nach) Mein größter Erfolg waren eigentlich die kleinen Erfolge. Wenn ich jemandem aus einer Zwickmühle helfen konnte.

Wem zum Beispiel?
Es sind immer wieder Leute in mein Büro gekommen, die schon zehn Mal beim AMS waren, schon fünfzig Bewerbungen geschrieben und dennoch keinen Job gefunden haben. Denen eine berufliche Perspektive zu geben, bedeutet für mich Erfolg. Ich könnte mittlerweile eine Zweigstelle des AMS aufmachen. (lacht wieder)

Herr Neugebauer, Sind Sie das letzte Urgestein in der österreichischen Innenpolitik?
Urgestein bedeutet in Österreich mehr als Hofrat. Insofern soll mir das Recht sein.

Kann dieses Urgestein sich auch vorstellen, einmal wirklich in Pension zu gehen?
Ich bin schon in Pension, als Lehrer! (grinst) Also dass ich einmal gar nichts mehr tue und nur noch Unkraut im Garten zupfe, kann ich ausschließen. Wer rastet, der rostet.

(Bild: Zwefo)

Geben Sie privat eigentlich noch immer Gas?
Fast nicht mehr. Ich habe mein Motorrad verkauft. Mein Sohn hat zwei, drei Maschinen und wenn ich will, dann setze ich mich drauf und gondle hinüber in die slowakische Bergwelt.

Wie möchten Sie einmal sterben?
Fritz Neugebauer sagt nichts.

Unser verstorbener Herausgeber Hans Dichand hat diese Frage so beantwortet: Am Schreibtisch, durch einen Herzinfarkt beim Zeitunglesen ...
Es muss ja kein Herzinfarkt sein. Aber es erschreckt mich schon, dass ich hier über meinen Tod rede.

Ist Ihnen das unangenehm?
Nein. Ich habe kein Problem, mir den Todnur, dass ich an dem Tag vorher noch etwas Sinnvolles gemacht habe.

Seine Karriere
Geboren am 10.10.1944 als Sohn einer Schneiderin und eines ÖBB-Beamten in Wien. Erlernter Beruf: Lehrer. Seit 1997 war Fritz Neugebauer Beamtengewerkschafts-Chef, von 2008 bis 2013 auch Zweiter Nationalratspräsident. Privat ist Neugebauer seit 46 Jahren mit Eva verheiratet, das Paar hat zwei Söhne (Martin und Michael) und zwei Enkelkinder (Julia und Lisa). Enkeltochter Nummer 3, Sarah, wird demnächst erwartet.

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