Hintergrund

Die Wahlmotive der Österreicher

Österreich
02.10.2006 10:46
Die Ära Wolfgang Schüssel dürfte zu Ende sein. Mit dem Verlust von Platz eins bei der Nationalratswahl heißt es für den ÖVP-Obmann wohl Abschied nehmen vom Ballhausplatz, sofern der Kanzler nicht doch entgegen seinen Ansagen einem schwarz-blau-orangen Abenteuer entgegen reitet.

Die Niederlage bei der Wahl scheint hausgemacht. Zu abgehoben agierte die ÖVP während der vergangenen vier Jahre in vielen Bereichen, zu sehr verließ man sich auf die Auswirkungen des BAWAG- Skandals, zu saftlos lief die Wahlkampagne.

Erinnert man sich vier Jahre zurück, hatte man einen ganz anderen Kanzler erlebt. Nach dem Putsch von Knittelfeld und dem Bruch von Schwarz-Blau, Teil eins, raste der ÖVP-Chef wie aufgezogen durch's Land, um das für Österreich fast Undenkbare zu schaffen, nämlich die SPÖ einmal von Platz eins zu verdrängen. Es gelang, ohne Schüssel ging nichts, ein Erfolg, der manchem Schwarzen ein wenig den Kopf verdrehte.

Schüssel zu passiv
Diesmal sah alles ganz anders aus. Während die SPÖ - angestachelt vom BAWAG-Skandal - schon längst durchs Wahlvolk zog, blieb Schüssel während des Sommers im Schatten, stieg extrem spät in die Wahlkampagne ein, ließ den Großteil der TV-Konfrontationen aus und wollte sichtlich einzig die Banken-Affäre und einen offenbar nicht vorhandenen Kanzlerbonus wirken lassen.

ÖVP-Team nicht überzeugend
Das stellte sich in Nachhinein als Fehler heraus. Denn letztlich hat die BAWAG vor allem die Roten rennen lassen, die ÖVP war lange zu siegessicher und bemühte sich nicht einmal, entschlossen neuen Themen zu setzen. Auch personell tat sich kaum etwas. Die höchst unpopuläre Bildungsministerin Elisabeth Gehrer wurde gar noch einzementiert, Neueinsteigerin Gertrude Aubauer riss auch niemanden vom Sessel. Und einen Karl-Heinz Grasser-Bonus gibt es auch nur einmal. Dass Schüssel jetzt noch bleibt, vielleicht auch noch auf dem ungeliebten Vizekanzlerposten, gilt als sehr unwahrscheinlich. Als Nachfolger kommen wohl nur sein Intimus Klubobmann Wilhelm Molterer und Umweltminister Josef Pröll in Frage.

Regierungsposten für SPÖ
Personalia werden bei der SPÖ nur insofern eine Rolle spielen, als man nach sechs Jahren Pause höchst wahrscheinlich wieder Regierungsposten zu vergeben hat. Kandidaten dafür hat man dank stärker werdender Landesparteien und dem Personal-Reservoir von Arbeiterkammer und Gewerkschaft zur Genüge. Und erstmals in seiner sechsjährigen Amtszeit steht auch Alfred Gusenbauer als echter Chef da. Er hat zwar Stimmen verloren, aber die Wahl gewonnen - genau umgekehrt im Vergleich zu 2002. Trotzdem war er damals der Buhmann und ist er diesmal der Held, gerecht ist die politische Welt nicht immer.

Soziales brachte den SPÖ-Sieg
Genau wie die Niederlage der ÖVP großteils selbst verschuldet war, hat die SPÖ ihren Erfolg sich selbst zu verdanken. Man geriet trotz BAWAG nicht in Panik und legte einfach los. Die Kernkompetenz im Sozialbereich wurde ebenso beinhart durch den gesamten Wahlkampf getrommelt wie das Negative-Campaigning in Richtung ÖVP. Dass die Gewerkschafter sauer waren, weil ihre Spitzen nicht mehr in den Nationalrat durften und sie das eigenwillige Wahlbündnis mit dem Liberalen Forum nicht goutierten, war letztlich egal. Wen hätten sie denn sonst wählen sollen, ging auch hier das Kalkül der roten Strategen offensichtlich auf.

FPÖ mit rechtspopulistischen Themen erfolgreich
Die FPÖ brachte am Wahltag das ein, was ihr von den Umfragen versprochen wurde. Platz drei Halten hätte nach der Abspaltung der Orangen vor eineinhalb Jahren niemand für möglich gehalten, doch Heinz-Christian Strache und sein beinharter Anti-Ausländer-Wahlkampf hielten, was sich der blaue Rest versprochen hatte. Jetzt werden die Freiheitlichen die kommenden vier Jahre wohl dazu nützen, sich in der Opposition auch finanziell weiter zu konsolidieren.

BZÖ zitterte sich ins Parlament
Einziger Wermutstropfen für die Blauen - auch die früheren Freunde von den Orangen sitzen wieder im Hohen Haus. Zu verdanken haben sie das nur den Kärntnern, die ihren Jörg Haider noch immer lieben. Nirgendwo sonst außer im südlichsten Bundesland hätte es für das BZÖ für die Vier-Prozent-Hürde gereicht. Ganz im Süden liegt man dem Landeshauptmann aber noch immer zu Füßen. Mit einem oft als bizarr empfundenen Ortstafel-Krieg schaffte es der noch immer wichtigste Orange, die nötigen Stimmen für die Mandate von Bündnischef Peter Westenthaler und Co. zu sichern. Viel Bedeutung im Bund wird man während der nächsten vier Jahre freilich trotzdem nicht mehr haben.

Bestes Ergebnis - Vierter Platz enttäuscht Grüne trotzdem
Dieses Schicksal bleibt auch den Grünen ein weiteres Mal nicht erspart. Für den weitgehend sachlichen, aber ein wenig langweiligen Wahlkampf wurde man zwar mit dem historisch besten Ergebnis bei einer Nationalratswahl belohnt, beim Anlauf auf Platz drei wurde Bundessprecher Van der Bellen aber neuerlich von der FPÖ auf Distanz gehalten. Mit einer Regierungsbeteiligung wird es angesichts der Konstellation vermutlich wieder nichts werden, ein Generationensprung an der Parteispitze wird wohl in der kommenden Legislaturperiode die Folge sein.

Hans-Peter Martin und KPÖ chancenlos
Einer bleibt derweil in Brüssel. Hans-Peter Martin war mit vergleichsweise wenigen ihm gewährten TV-Auftritten und ohne Parteiapparat ohne jede Chance - wie auch die KPÖ, die sich wohl auch wenig mehr als das erreichte eine Prozent erwartet hätte.

Niedrige Wahlbeteiligung spricht Bände
Bleibt die Wahlbeteiligung: Der Minusrekord von 74,2 Prozent lässt nicht darauf schließen, dass den Österreichern der inhaltsleere, aber umso angriffigere Wahlkampf mit Untergriffen auf fast allen Seiten besonders gefallen hat.

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