Im Streit um Österreichs Rolle im Flüchtlings-Umverteilungsprogramm hat Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) das Thema nun zur Chefsache erklärt. In einem Statement nach dem Ministerrat am Dienstag erklärte er, rasch einen Brief nach Brüssel schreiben zu wollen, in dem er um Verständnis für Österreichs Position werben will, keine Flüchtlinge aus dem Umverteilungsprogramm aufzunehmen.
Österreich wäre verpflichtet, im Rahmen des "Relocation"-Programms knapp 2000 Flüchtlinge aus Griechenland bzw. Italien aufzunehmen. Kern glaubt, dass Österreich diese Zahl durch illegale Übertritte quasi indirekt schon erfüllt habe. Davon will er Brüssel nun überzeugen. Dabei sei ihm bewusst, dass das schwierig wird, sagte der Kanzler.
Kern: "Keine Provokation, Vorgehensweise ist proeuropäisch"
Klargestellt wurde von Kern, dass er es nicht auf ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich anlegen wolle: "Wir sind keine Provokateure." Die nun gewählte Vorgangsweise nannte der Kanzler gar "proeuropäisch". Grundsätzlich sei er auch der Meinung, dass man europäische Verpflichtungen wahrnehmen müsse, denn man profitiere ja auch immens von der europäischen Zusammenarbeit.
EU-Kommission: "Österreich muss Verpflichtungen umsetzen"
Leicht wird Kerns Kampf tatsächlich nicht werden. Denn nur kurz nach seiner Ankündigung forderte die EU-Kommission Dienstagmittag Österreich abermals zur Beteiligung an der Umverteilung auf. Eine Sprecherin in Brüssel sagte, Österreich habe in den vergangenen Jahren eine "große Zahl von Flüchtlingen aufgenommen". In Anerkennung dessen habe es von einer zeitlichen Ausnahmeregelung profitiert. "Nun wird von Österreich aber erwartet, seine Verpflichtungen vollständig im Rahmen der Umverteilung umzusetzen." Kein Land könne sich daraus zurückziehen. Dies wäre nur möglich, wenn ein Land außerhalb des gesetzlichen Rahmens agiere - und dabei seien Konsequenzen nicht ausgeschlossen.
Mitterlehner bremst Kern: "Glaube nicht, dass das gelingen kann"
Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) sieht daher wenig Erfolgschancen für den Kanzler, Brüssel überzeugen zu können: "Ich glaube nicht, dass das gelingen kann." Im Wesentlichen sieht der ÖVP-Chef bei der Debatte ohnehin nur eine SPÖ-interne Diskussion zwischen Kern und Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil.
"Säumiger" Sobotka wirft Kern "Unterstellung" vor
Seitens der ÖVP habe Innenminister Wolfgang Sobotka nichts anderes getan, als darauf zu verweisen, dass es entsprechende Beschlüsse gebe, die eben umzusetzen seien. Dass Österreich eine entsprechende Ausnahmeregelung nicht rechtzeitig verlängert hat, hatte Kern am Montagabend als "Versäumnis" des Innenministeriums bezeichnet. Sobotka wehrte sich umgehend und sprach von "Unterstellungen".
Die Umgangsformen zwischen SPÖ und ÖVP in der heiklen Frage der Flüchtlings-Umverteilung irritieren. Zunächst hatte Sobotka am Montagvormittag angekündigt, den Prozess starten zu wollen. Am Nachmittag forderte Doskozil dann überraschend einen Ausstieg aus dem Programm. Daraufhin kündigte Sobotka an, einen derartigen Beschluss mitzutragen. Vor einem etwaigen Beschluss im Ministerrat solle allerdings noch eine rechtliche Prüfung vonstattengehen.
Rupprechter: "Massives Kasperltheater der SPÖ"
ÖVP-Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter warf am Dienstag der SPÖ ein "massives Kasperltheater" vor. "So machen wir uns lächerlich", meinte er zum Richtungsschwenk in der Frage der Flüchtlingsumverteilung. Sobotka habe "von meiner Seite vollste Unterstützung", so Rupprechter. "Es ist klar, wer hier die Position gewechselt hat", meinte er in Richtung Kern. Der Minister verwendete für den Meinungsschwenk den französischen Begriff "tourner le cou", was auf Deutsch so viel wie "Wendehals" heißt. Als nächstes müsse man Sanktionen für Österreich fordern, wie es zuletzt Kern für Polen gemacht hätte.
Doskozil wiederum meinte, die Standpunkte seien nun angeglichen und man sei in der Koalition inhaltlich einer Meinung: Österreich wolle weiterhin eine Ausnahme beim "Relocation"-Programm. Der EU-Beschluss sehe eine faire Verteilung von Flüchtlingen in Europa vor - und in diesem Sinne sei ein Ausnahme gerechtfertigt, da Österreich überbelastet sei. Einen Streit in der Koalition sieht Doskozil nicht: Es sei ein wichtiges Thema, über das inhaltlich diskutiert werde.
Doskozil erhält Lob von italienischer Partei Lega Nord
Unterdessen erhielt Doskozil für seinen Vorstoß Rückendeckung von der italienischen Oppositionspartei Lega Nord. "Ich verstehe es, wenn sich ein Land wie Österreich vor einer unaufhörlichen Flüchtlingswelle schützen will", sagte Lega Nord-Chef Matteo Salvini am Dienstag.
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