Wien ist mit sechs Milliarden Euro im Minus. Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) kritisiert deshalb Stadträtin Renate Brauner (SPÖ) - wo doch der Bund selbst verschuldet ist. Wir haben beiden jeweils fünf spannende Fragen gestellt.
1. Wie hoch ist der aktuelle Schuldenstand mit Juni 2017? Antwort bitte so präzise wie möglich.
Renate Brauner: Tut mir leid, einen aktuellen Schuldenstand gibt es immer nur mit Rechnungsabschluss. Per 31. Dezember beträgt der Schuldenstand der Stadt Wien sechs Milliarden Euro.
2. Wie lauten die Prognosen für die Jahre 2018, 2019, 2020?
Der Wiener Gemeinderat hat im vergangenen Dezember einen verbindlichen Budgetpfad beschlossen, mit dem die Stadt bis 2020 ein sogenanntes strukturelles Nulldefizit erreichen will. Der Beschluss sieht demnach für 2018 einen administrativen Abgang von 367 Millionen Euro und 2019 von 188 Millionen Euro vor sowie ab 2020 einen ausgeglichenen Haushalt. Wiens Sparplan ist damit ambitionierter als die Sparvorgaben im Bundesbudget, das im Jahr 2020 mit einer Neuverschuldung von 0,6 Prozent der Wirtschaftsleistung plant. Insgesamt liegt die Verschuldung des Bundes bei 84,6 Prozent des BIPs, Wien bei 6,83 Prozent seiner Wirtschaftsleistung.
3. Frau Stadträtin, Sie betonen gerne, wie wichtig Ihnen Transparenz ist. Was hat das Krankenhaus Nord bis zum heutigen Tage gekostet? Antwort bitte so präzise wie möglich.
Laut Auskunft der zuständigen Geschäftsgruppe für Gesundheit sind mit Stichtag 26. Juni 2017 Errichtungskosten in der Höhe von ca. 807 Millionen Euro verbucht worden.
4. Wie hoch sind die Schulden insgesamt, also mit allen ausgelagerten Betrieben wie Wiener Wohnen und Co.?
Die ebenfalls dem Gemeinderat vorgelegten Wirtschaftspläne der Unternehmungen der Stadt Wien bringen folgendes Ergebnis: Wien Kanal konnte seine Verschuldung im vergangenen Jahr um 12,76 Prozent verringern, auf nunmehr rund 104 Millionen Euro, der Wiener Krankenanstaltenverbund KAV konnte seine Schulden ebenfalls verringern, um 3,35 Prozent auf rund 370 Millionen Euro. Leicht gestiegen ist 2016 die Verschuldung von Wiener Wohnen, um 0,99 Prozent auf rund 2,75 Milliarden Euro.
5. Ihr Rezept aus den Schulden - und wie viele Millionen/Milliarden werden diese Maßnahmen wann einbringen? Antwort bitte so präzise wie möglich.
Als ersten Schritt hat die rot-grüne Wiener Stadtregierung im Frühjahr 2016 die Wiener Struktur- und Ausgabenreform (WiStA) gestartet, was jährlich Einsparungen von 100 Millionen Euro bringt. Diese wurde nunmehr im Herbst 2016 in das groß angelegte Reformprogramm "Wien neu denken" integriert, in dem der Aufbau und die Struktur der Stadtverwaltung ohne Tabus neu gedacht werden können. Die Stadt Wien setzte zur Diskussion und Vorbereitung groß gefasster Maßnahmen vier Innovationsgruppen ein, in denen bewusst groß gedacht werden soll: Deregulierung und Vereinfachung, Neuorganisation der Struktur und Steuerung der Wiener Stadtverwaltung, Bezirksreform, Stadtteil- und Grätzelarbeit.
1. Was hat Wien aus Ihrer Sicht in den vergangenen Jahren/Jahrzehnten falsch gemacht?
Hans Jörg Schelling: Im Vergleich zu den anderen Bundesländern leider sehr viel. Von der Nichtumsetzung der Pensionsreform des Bundes auf Landesebene, trotz massiver Kritik des Rechnungshofes, bis hin zu einem unübersichtlichen und nicht nachvollziehbaren Förderwesen. Dringend notwendig wäre eine echte Verwaltungsreform. Darüber hinaus schnellen die Kosten der Mindestsicherung in die Höhe, und viel Steuergeld wurde in Fremdwährungsspekulationen verbrannt.
2. Wie würden Sie Wien aus der Schuldenfalle holen?
Wien sollte endlich Schritt für Schritt konsequent Reformen umsetzen und eine Ausgabenbremse einziehen. Andere Länder wie Tirol oder Vorarlberg budgetieren nicht umsonst ausgeglichen und machen keine neuen Schulden. Das liegt daran, dass sie Reformen in Angriff genommen haben. Wien hat mehr denn je ein Ausgaben- und nicht ein Einnahmenproblem. Beunruhigend ist die Schuldendynamik der letzten Jahre, und hier muss endlich gegengesteuert werden.
3. Wie sehen Ihre Prognosen für Wien aus, wenn alles so weitergeht wie bisher?
Wien hat so viel zu bieten, droht aber dennoch an Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren, und die Arbeitslosigkeit wird steigen. Gleichzeitig wird der budgetpolitische Handlungsspielraum immer kleiner. Es könnten kaum noch Initiativen zum Beispiel in der Bildungspolitik, dem Gesundheitswesen oder zur Belebung der Wirtschaft gesetzt werden. Derzeit können die Flüchtlingsmehrkosten bei der Berechnung des Defizits abgezogen werden. Was, wenn das nicht mehr möglich ist, dann steigt das Defizit in noch weitere Höhen!
4. Was sagen Sie zu den Wiener Ausgaben für die Mindestsicherung?
Das Beharren auf diesem hohen Niveau ist ein Pull-Faktor für Mindestsicherungsbezieher, und das ist eine enorme, steigende Belastung für das Wiener Budget. Mit dem Ausbau des Sozialtourismus werden die Stadtfinanzen nicht gesunden.
5. Finanzstadträtin Renate Brauner lehnt Ihr Nachhilfe-Angebot ab und wirft Ihnen eine Wahlkampfmaßnahme vor. Ihre Stellungnahme?
Der Rechnungsabschluss wird von der Stadt Wien selbst erstellt und präsentiert, die Zahlen sind von Stadträtin Brauner, und sie sprechen eine klare Sprache. Den Zeitpunkt habe nicht ich gewählt. Die Einhaltung der Defizitwerte gegenüber der EU hängt auch stark von Wien ab. Das heißt, wenn Wien so weitermacht, haben wir als Bund auch ein Problem vor der EU. Es ist meine Pflicht als Finanzminister, rechtzeitig die Probleme aufzuzeigen, denn ich muss mich in Brüssel für Gesamtösterreich rechtfertigen, und nicht Frau Brauner oder die Stadt Wien.
Michael Pommer, Kronen Zeitung
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