Blöd gelaufen, der Wahlkampf der SPÖ. In Umfragen führt Kurz, und die Verhaftung des Beraters Tal Silberstein hat Parteichef Christian Kern in Bedrängnis gebracht. Mit Conny Bischofberger spricht der Bundeskanzler über seinen ersten Wahlkampf, Rückschläge, Alphatiere und das große Glück in seinem Leben.
Am Ballhausplatz werden Fußgängerinseln eingezogen, Autos können die Regierungsgebäude nur noch über eine Schlangenlinie anfahren. Und beim Portier müssen Besucher jetzt auch ihre Ausweise abgeben. Sicherheitsmaßnahmen im Licht der Terroranschläge.
Oben, im Kanzlerbüro, sitzt Christian Kern mit einer Literflasche Mineralwasser vor seinem Laptop und geht Mails durch. Er hat an diesem Vormittag schon eine Pressekonferenz in der Löwelstraße gegeben. Flucht nach vorne nach dem Desaster rund um die Verhaftung des Wahlkampf-Beraters Tal Silberstein.
Während wir auf den Herrn Samsinger warten, der im Bundeskanzleramt seit der Ära Schüssel schon die Melangen serviert, für die er selbst den Milchschaum rührt, erzählt der SPÖ-Chef von Kärnten, wo er noch vor einer Woche mit seiner Familie Urlaub gemacht hat. "Ich war beim Honigfest, am Spittaler Kirchtag und bei der Verabschiedung des Bürgermeisters von St. Stefan im Gailtal. Das war alles von unserem Ferienhaus nur einen Steinwurf entfernt. Dort hat mich auch Tony Blair besucht."
Es tue so gut, immer wieder aus Wien mit seiner Weltuntergangsstimmung wegzukommen, lacht der Kanzler und rückt noch schnell seine dunkelblaue Krawatte mit den weißen Punkten zurecht. "Am Land sehen die Menschen Dinge oft ganz anders." Zum weißen Hemd trägt er türkisfarbene Manschettenknöpfe mit dem Logo von Paul Smith.
"Krone": Wie kam es zum Besuch des ehemaligen britischen Premierministers Tony Blair?
Christian Kern: Er hat mir erzählt, dass er in Österreich nur Wien kennt. Das darf ja nicht wahr sein, habe ich ihm gesagt, da versäumst du unglaublich viel! Dann ist er nach Kärnten gekommen, wo ich ihm mit Freunden - quasi als Chef-Verkäufer der Republik - meinen Lieblingsplatz am Millstätter See gezeigt habe. Er war wirklich beeindruckt, was Österreich zu bieten hat.
Sicher haben Sie auch über Politik gesprochen.
Es war eine sehr anregende Kombination aus Spaß und Arbeit. Tony Blair ist von der Idee beseelt, dass die Briten doch nicht aus der EU austreten sollten. Die Wahrscheinlichkeit, dass das eintritt, ist nicht sehr groß, aber sie ist da. Wir haben über Möglichkeiten gesprochen, Tony Blair macht da gerade massives Lobbying.
Hat die Affäre Silberstein Sie dann nach Wien zurückgeholt?
Nein, gar nicht.
Der Slogan "Hol dir, was dir zusteht". Und dann wird einer der Erfinder, Ihr Berater Tal Silberstein, wegen Geldwäsche verhaftet. Besser hätte es ein Krimi-Regisseur nicht erfinden können. Blöd gelaufen, oder?
Sagen wir so: Wenn wir Regie führen hätten können, dann wäre es ein anderes Stück geworden. Ganz klar, dass man sich sowas nicht wünscht. Aber was den Slogan betrifft: Er ist richtig und genau auf der Höhe der Zeit. Wir sind in Österreich auf einem hervorragenden Weg. Wirtschaftswachstum, mehr Jobs und mehr Investitionen denn je. Aber bei den Menschen, die das erarbeitet haben, kommt das nicht an. Weder am Konto, noch im Gesundheitssystem, im Bildungssystem, noch bei der Sicherheit oder den Pensionen. Deshalb: "Hol dir, was dir zusteht." Da reden wir ja nicht dem Postraub das Wort, da geht es darum, dass diejenigen, die die Leistung erbracht haben, auch davon profitieren.
Kern erzählt die Geschichte eines Videodrehs im Donaupark. Der Kanzler geht zu einer Gruppe von Gärtnerinnen. Zwei davon sind aus dem Burgenland, stehen um vier Uhr morgens auf, verdienen 1500 Euro, Ende Oktober gehen sie stempeln, weil die Saison zu Ende ist. Diese Frauen, sagt er, müssten sich darauf verlassen können, dass sie in Österreich ein gutes Leben führen können. Nicht sich Sorgen machen, was sie sich für ihre Kinder leisten können, wie das im Alter sein wird.
Kommen wir trotzdem noch einmal zum Unangenehmen …
Ja klar, ich wollte nicht ablenken!
Sind Sie auf Alfred Gusenbauer sauer? Er hat ja den Deal mit Silberstein vermittelt.
Nein, bin ich nicht. Gusenbauer hat das ja nach bestem Wissen und Gewissen empfohlen.
War er nicht von vornherein eine problematische Besetzung - angeblich gab es schon 2016 einen Haftbefehl.
Im Nachhinein betrachtet, war es natürlich falsch, sich nicht früher von ihm zu trennen. Zum damaligen Zeitpunkt gab es jedoch nicht genug belastendes Material, obwohl wir natürlich Referenzen eingeholt und entsprechende Vorwürfe eingehend überprüft haben. Wichtig ist: Wir haben die Zusammenarbeit beendet, obwohl natürlich noch immer die Unschuldsvermutung gilt.
Silberstein wurde jetzt unter Hausarrest gestellt. Verstehen Sie die Schadenfreude auf vielen Seiten?
Jene, die Schadenfreude empfinden, sind auf der Liste unserer Freunde ohnehin nicht weit oben gestanden. Oder anders ausgedrückt: Die hätten uns auch vorher nicht gewählt.
Und Ihre Kern-Klientel - verzeihen Sie den Wortwitz -, wird die Ihnen den "poltischen Fehler", wie Sie es genannt haben, verzeihen?
Ich bin davon überzeugt, dass die Leute etwas ganz anderes interessiert. Nämlich: Wie können wir die Pensionen und die Pflege im Alter sicherstellen? Wie schaffen wir es, Wartezeiten im Gesundheitssystem zu reduzieren? Wie können wir garantieren, dass die Kinder die beste Bildung kriegen, obwohl zunehmend mehr nicht-deutschsprachige Kinder in den Schulklassen sitzen? Wie schaut unsere Zukunft aus? Und wie kommen die Leute mit dem Geld über die Runden? Das sind die Fragen, auf die die SPÖ Antworten hat.
Werden Sie das Honorar von 400.000 Euro zurückverlangen?
Meines Wissens sind erst Teile davon überwiesen worden, der Vertrag begann letzten November. Selbstverständlich wird es Regressforderungen geben.
Auf den Leserbriefseiten der "Krone"- traditionell ein Seismograph für die Stimmung bei den Leuten - …
… nicht immer sozialdemokratisch durchtränkt!
… haben viele geschrieben, Sie sollten mehr auf das Volk als auf irgendwelche Berater hören. Warum braucht jemand wie Sie - ein sehr erfolgreicher Manager - überhaupt Berater?
Was über die vielen Berater geschrieben und gesagt wurde, ist einfach Unsinn! Die Antwort an Ihre Leser ist: Wir haben mit Silberstein und seinem Team gearbeitet, das Honorar deckt sein ganzes Team ab, auch die Datenanalysen etc. Es ist ganz normal, dass sich eine Partei für einen bestimmten Zeitraum externe Dienstleistungen zukauft. Und Herr Silberstein hat das ja nicht nur in Europa, sondern auch auf der ganzen Welt gemacht.
Es ist bei manchen der Eindruck entstanden, dieser erfolgreiche Manager habe sein Team nicht unter Kontrolle. Stichwort: handfester Streit zwischen zwei Mitarbeitern.
Da gab es persönlich Animositäten, aber das wurde geklärt. Die Streithähne wurden getrennt. Die haben übrigens nicht über Rot-Blau gestritten, das war eine persönliche Sache, keine inhaltliche.
Also Sie haben es unter Kontrolle?
Da bin ich ganz gewiss überzeugt.
Wie kommt es dann zum Gerücht, dass Sie bald hinschmeißen würden - und dann übernimmt Hans Peter Doskozil die Partei?
Viele Gerüchte sind bei der ÖVP lanciert worden, die ständig "Dirty Campaigning" beklagt. Das ist Teil des politischen Spiels. Man versucht, den Gegner zu verunsichern, man sät Unfrieden, zieht die Familie mit rein. Die ÖVP ist da nicht sehr nobel. Aber um auf dieses Gerücht zu kommen: Das ist Teil der Wahlkampfkampagne der ÖVP, sonst gar nichts.
Steht die SPÖ noch geschlossen hinter Ihnen?
Das denke ich, in jeder Hinsicht. Ich sehe es als Verpflichtung, alhaben gespendet, die machen Hausbesuche, opfern ihre Freizeit, die sind auch bei großer Hitze auf der Straße gestanden und haben den Leuten unser Programm erklärt. Da kann ich doch nicht sagen: Heute bin ich mit dem falschen Fuß aufgestanden, und jetzt freut's mich nicht mehr, weil es gerade Probleme gibt.
In Umfragen liegt Sebastian Kurz permanent vorne. ÖVP deutlich über 30 Prozent, SPÖ und FPÖ deutlich darunter. Auch in Deutschland läuft es für den SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz nicht gut. Wenn Sie ganz ehrlich sind: Glauben Sie, dass Sie das noch aufholen können?
Na ganz sicher! Es gibt ja eine Vielzahl von Beispielen, wo man deutlich sieht, dass Umfragen immer Momentaufnahmen sind. Am Anfang heißt es: Alles gelaufen! Und dann werden zehn, zwanzig Prozent verschoben. Die Zeit bis Oktober ist noch lang, da wird sich noch viel ändern.
Machen wir ein Wahlquiz?
Dafür ist es noch zu früh, aber ich denke, dass wir eine gute Chance haben, am Ende vorne zu sein. Genaue Prognosen sind schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen (grinst).
Knapp vorne, stimmen Sie da zu?
Auf die absolute Mehrheit würde ich keine hohen Wetten ablegen, das ist richtig.
Steht Rot-Blau im Raum?
Ich schließe keine Partei grundsätzlich aus. Mir geht es um das Programm, um konkrete Fragen. Traditionell ist die FPÖ immer auf der Seite der Großgrundbesitzer und der Hausherren gewesen. Das ist die Seite, wo wir nicht sind. Das macht es natürlich schwierig, zu entsprechenden Ergebnissen zu kommen.
Könnte die Wahl in Deutschland auf Österreich abfärben?
Nein, das glaube ich gar nicht. Am Ende geht es in der Politik um Interessen, und die Frage wird sein, wer vertritt welche Interessen? An der Wahlurne werden sich die Österreicher überlegen: Wer tut mehr für meine Zukunft und für die Zukunft meiner Kinder? Es ist sicher ein spannender Wettkampf, und was man nicht vergessen darf: Wir haben es mit Gegnern zu tun, die schon sehr lange in der Politik sind und alles das mitbeschlossen haben, was sie jetzt beklagen. Für mich aber ist es der erste Wahlkampf.
ÖVP-Chef Sebastian Kurz scheint mit seinem Kernthema - Flüchtlinge, Zuwanderung - mehr Zuspruch zu haben. Gibt ihm der jüngste Terroranschlag in Barcelona nicht Recht?
Auch wir wollen keine illegale Migration und auch wir sind der Auffassung, dass wir entschieden gegen den Terror vorgehen müssen. Ich bin überzeugt, dass wir einfach zu wenig Polizei haben. Wir müssen verstehen, dass die Menschen hier völlig zu Recht Sorgen haben. Da ist eine massive Irritation, dieses Gefühl muss man ernst nehmen und Lösungen dafür finden. Meine Aufgabe als Bundeskanzler ist es, Angst zu nehmen, nicht Angst zu schüren. Das geht nur mit konkreten Maßnahmen. Deshalb haben wir gerade den Grenzschutz ausgebaut. Aber Sicherheit ist auch eine Frage, ob die Menschen Arbeit haben, Einkommen, von dem sie leben können, sichere Pensionen, beste Ärzte und Lehrer. Darum müssen wir uns auch kümmern.
Schließung der Mittelmeerroute - würden Sie das noch einmal als "populistischen Vollholler" bezeichnen?
Jeder vernünftige Mensch möchte, dass die Mittelmeerroute geschlossen wird, das ist ja gar keine Frage. Der entscheidende Punkt ist: Wir dürfen Folter und Ertrinkende nicht billigend in Kauf nehmen. Meine Kritik war, dass den Menschen da Sand in die Augen gestreut wird, dass man so tut, als müsste man nur mit dem Finger schnippen und die Mittelmeerroute wäre zu. Nein! Hinter den jüngsten Erfolgen, dass nämlich weniger Migranten in Italien stranden, steht monatelange Arbeit. Mit Libyen, mit den Herkunftsländern, mit den Transitländern, auch mit der Grenzwache und dem Grenzschutz, wo wir mit unserer Operation auch eine positive Rolle im Mittelmeer gespielt haben. Das ist der Unterschied zwischen uns und unseren Mitbewerbern. Die anderen haben ein Interesse an der Zuspitzung, ich habe ein Interesse an Lösungen, am besten in Ruhe und hinter verschlossenen Türen.
Sind Sie manchmal neidisch, wenn Kurz wieder einen Quereinsteiger aus dem Hut zieht?
Nein, wirklich nicht. Bei aller Wertschätzung für die Damen und Herren, aber ich denke, dass unser Team um einiges stärker ist. Wir haben Leute, die in ihren Bereichen schon erfolgreich gearbeitet haben und die vor allem wissen, wie Politik funktioniert.
Gibt es niemanden, den Sie auch gern im Team hätten?
Nein.
Nicht einmal Efgani Dönmez?
Er ist sicher ein kluger Mensch, gar keine Frage. Aber ich bin mit meinem Team wirklich restlos zufrieden.
"Duell zweier Alphatiere im Slimfit-Anzug" - können Sie mit solchen Bildern etwas anfangen
Nein.
Aber Sie tragen doch Slimfit.
Ich gebe zu, ich achte auf meine Linie und habe vor, das auch weiterhin zu tun.
Duell?
Ich bin nicht in die Politik gekommen, um irgendwas zu gewinnen oder um mich selbst zu verwirklichen. Da geht es nicht um meine persönlichen Wunschträume, sondern darum, dass die Österreicher ihre Träume verwirklichen können. Ich sehe das als Dienst an der Gemeinschaft. Verantwortung heißt für mich, auch dann dazu stehen, wenn es einem nicht zum eigenen Vorteil gereicht. Ich will mir in der Politik wirklich kein Denkmal bauen.
Alphatier?
In gewisser Weise, sonst hätte ich vielleicht nicht so eine Karriere gemacht. Aber ich bin den Umgang mit Alphatieren gewöhnt - schließlich bin ich mit einem verheiratet (lacht).
Was ist das Beste, was Sie über Sebastian Kurz sagen können?
Er ist sicherlich ein PR-Profi und ein sehr beliebter Außenminister.
Und das Uncharmanteste?
Ich kann keinen uncharmanten Beitrag leisten. Und ganz ehrlich: Wir sind zwei so unterschiedliche Typen, gemessen an der Berufs- und Lebenserfahrung, wir haben auch ganz unterschiedliche Biografien. Kurz ist Berufspolitiker, ich habe meinen Weg außerhalb der Politik gemacht.
Wenn Sie ganz ehrlich sind, wie geht es Ihnen im Moment wirklich?
Manche Dinge hätte ich offen gesagt lieber ausgelassen. Aber Lebenserfahrung heißt, die wichtigen Dinge als solche zu erkennen. Egal ob wir die Wahl gewinnen oder nicht - das liegt in der Hand der Österreicher zu entscheiden, ich werde das in jedem Fall zur Kenntnis nehmen. Ich werde auch nach dem 15. Oktober derselbe sein, der ich jetzt bin: ein glücklicher, zufriedener Mensch. Ich befinde mich in der Lebensmitte, habe vier Kinder, eine Frau, habe in meinem Leben einiges erreicht. Und führe ein wunderbares Land. Mehr Glück geht gar nicht.
Wenn etwas aus dem Ruder läuft, wie zuletzt Ihr Wahlkampf, was machen Sie da?
Ich bin einer der uncholerischsten Zeitgenossen, die Sie sich vorstellen können. Franz Vranitzky hat einmal einen Satz gesagt, der mich über all die Jahre begleitet hat. Er sagte: Wir sind nicht die Aufreger der Nation. Das beschreibt meinen Charakter sehr gut. Ich neige nicht dazu, mich aufzuregen. Widrigkeiten führen bei mir eher zu einer verstärkten inneren Ruhe.
Noch nie einen Teller an die Wand geschmissen?
Noch nie. Aber ich habe eine Leidenschaft für die Wiener Austria, und sie gibt mir oft genug Anlass zu Emotionen und Verzweiflung. Das reicht mir zum Abreagieren völlig.
Worum geht es im Leben?
Um Würde und Respekt. Diese innere Haltung gegenüber Mitmenschen halte ich für den Schlüssel zu einem glücklichen Leben.
Seine Karriere
Geboren am 4.1.19lizistik und engagiert sich schon früh in der SPÖ. Im Juni 2010 wird er Vorstandsvorsitzender der ÖBB-Holding AG, im Mai 2016 Bundeskanzler und SPÖ-Chef. Verheiratet mit der Unternehmerin Eveline Steinberger-Kern, Vater von drei Söhnen aus erster Ehe sowie einer Tochter.
Kronen Zeitung
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