Er organisiert eifrig das Gedenkjahr 2018, begleitet österreichische Wirtschaftsdelegationen nach China und schreibt ein Buch nach dem anderen: Mit Conny Bischofberger spricht Altbundespräsident Heinz Fischer (79) über sein neues Leben, Zeit für Enkel und Ameisen und einen turbulenten Wahlkampf.
Am Wiener Ballhausplatz wird noch geschaufelt und gehämmert, als Altbundespräsident Heinz Fischer mit seiner ehemaligen Sprecherin Astrid Salmhofer schon von Weitem winkt. Wir gehen durch die Hofburg Richtung Palmenhaus, und die paar Minuten muten an wie ein Sketch bei "Stermann und Grissemann". "Begrüße Sie!", ruft Fischer Leuten zu, "Guten Tag, wie geht's Ihnen?" Seiner Vergnügtheit entkommt keiner. Im Palmenhaus plaudert er mit Koch und Kellner, kommt "sehr gerne!" dem Wunsch nach Selfies nach und bestellt dann Marillenfleck.
"Tumma Sie eh ned stören?", fragt er eine Studentin, die am Nebentisch auf ihrem Laptop arbeitet und nicht glauben kann, wer sie da so freundlich anspricht. Im Hintergrund läuft Jazzmusik, und manchmal wiegt sich Heinz Fischer zur Musik. Während er über 100 Jahre Republik spricht, scheucht er vorsichtig eine Biene weg, die sich auf seinem Kuchen niederlassen will. Das letzte Stück lässt er seiner Ex-Mitarbeiterin übrig.
"Krone": Mögen Sie die Anrede "Herr Altbundespräsident"?
Heinz Fischer: Ja, die ist tadellos. "Herr Altbundespräsident" sagen diejenigen, die besonders korrekt sein wollen. Meine Freunde sagen Heinz, die meisten Leute Dr. Heinz Fischer.
Stört Sie das "alt" nicht?
Überhaupt nicht. Ich bin ja mit 79 nicht mehr ganz jung, aber ich fühle mich angemessen gut.
Diesen Sonntag ist es 429 Tage her, dass Ihre Amtszeit als Bundespräsident geendet hat. Was geht Ihnen am meisten ab?
Wenn mir etwas abgehen würde, dann wäre das ein Zeichen von Entzugserscheinungen. Aber ich habe wirklich keine Entzugserscheinungen, ich bin im höchsten Maße dankbar, zwölf Jahre Klubobmann im Parlament, zwölf Jahre Nationalratspräsident, 33 Jahre lang Parlamentarier und zwei Amtsperioden lang Bundespräsident gewesen zu sein. Mit 78 Jahren ohne gröbere Schrammen aus all diesen Funktionen auszusteigen, das ist keine Selbstverständlichkeit.
Also hat's nur kleinere Schrammen gegeben?
Ja, beim Fußballspielen einmal. Und beim Rasieren (lacht).
Ihr Büro befindet sich jetzt vis-a-vis der Hofburg am Ballhausplatz 1, wo gerade der Bau der "Wiener Mauer" gestoppt wurde. Warum braucht der Altbundespräsident dort ein Büro?
Der Grund ist das Gedenk- und Erinnerungsjahr 2018, das ich als Vorsitzender des Beirates zur inhaltlichen Beratung und Koordination organisiere. Wir erinnern uns 2018 an den Prager Frühling, weil das ein Beispiel dafür ist, dass totalitäre Systeme sich zwar eine Zeit lang mit Gewalt durchsetzen können, dass aber die Demokratie auf Dauer stärker ist. Wir feiern 100 Jahre Republik, weil es ganz wichtig ist, aus der Geschichte dieses Jahrhunderts zu lernen. Wir feiern das Frauenwahlrecht und die allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Und ganz wichtig: Es jährt sich der sogenannte Anschluss an Hitlerdeutschland 1938 das 80. Mal.
Was ist die richtige Lehre aus all diesen Ereignissen?
Erstens: dass die Menschenwürde unteilbar ist. Zweitens: dass die Demokratie die humanste Regierungsform ist, dass man aber verantwortungsvoll mit ihr umgehen muss, weil sie nicht unzerstörbar ist. Und drittens: Jene Ideologie, die Menschen gegeneinander aufhetzt, führt in schreckliche Verirrungen.
Ist die Demokratie momentan in Gefahr?
Nein, ich glaube Österreich steht nach wie vor da als demokratische, pluralistische und lebenswerte Republik. Daran ändern auch hitzige politische Auseinandersetzungen nichts. In Wahlkampfzeiten geht die Fieberkurve immer ein bisserl nach oben, aber Österreich ist nicht gespalten, das war auch meine Überzeugung im Präsidentschaftswahlkampf.
Was könnte die Demokratie zerstören?
Da müssten mehrere Faktoren zusammenkommen. Soziale Not, Arbeits- und Perspektivenlosigkeit, Druck von außen und eine starke Kraft, die gegen die Demokratie arbeitet, wie das die Nazis getan haben. Wenn das alles zusammenkommt, dann kann es kritisch werden.
Tut es Ihnen weh, dass die SPÖ in diesem Wahlkampf nicht mehr vorne liegt?
Wehtun ist nicht das richtige Wort. Als Sozialdemokrat glaube ich, dass Christian Kern ein wirklich dynamischer, sachkundiger Kanzler mit viel Erfahrung ist. Aber als Demokrat muss man eine Wählerentscheidung immer zur Kenntnis nehmen, das ist mir in Fleisch und Blut übergegangen.
Fischer zählt alle Wahlkämpfe seit 1949 mit den dazugehörigen Ergebnissen auf und seufzt dann:
Mich kann eigentlich nichts mehr erschüttern. Oder sagen wir: Ich werde auch mit Erschütterungen fertig.
Worauf freuen Sie sich im Gedenkjahr 2018 am meisten?
Auf den Staatsakt am 12. November in der Staatsoper. Ganz wichtig ist auch, dass nach menschlichem Ermessen am 11. November das Österreichische Haus der Geschichte in der Neuen Burg am Heldenplatz fertiggestellt ist. Die Österreichische Nationalbank hat es übernommen, eine große Zukunftsveranstaltung zu machen. Wir haben ein Video ("100 Jahre Republik Österreich", Anm.) gemacht, als Art Ouvertüre zu den ganzen Veranstaltungen.
2018 feiern Sie auch Ihren 80. Geburtstag ...
Ja, aber das ist Privatsache und hat mit den Feierlichkeiten der Republik nichts zu tun.
Stimmt der Eindruck, dass Sie gar nicht leisetreten?
Rechtlich bin ich in Pension, aber faktisch bin ich nicht im Ruhestand. Da haben Sie schon recht. Ich gehe nicht mehr so oft in die Berge, das liegt in der Natur der Sache. Dafür verbringe ich mehr Zeit in unserem Haus auf der Hohen Wand, ich gehe auch öfters in Konzerte und nehme mir mehr Zeit für meine Enkelkinder.
Könnte es sein, dass Sie jetzt mehr zu tun haben als früher?
Nein, das kann nicht sein. Allein schon deshalb, weil ich nicht mehr das Personal und die Mitarbeiter habe. Als Minister, Klubobmann oder Nationalratspräsident kann man vieles delegieren, und das ist jetzt nicht mehr der Fall.
Sie haben jetzt schon das dritte Buch geschrieben. Wie sind Sie zum Co-Autor Christoph Leitl gekommen?
Wir haben oft Gespräche und Diskussionen geführt und sind eines Tages zum Schluss gekommen, diesen Diskurs öffentlich zu machen und dabei ein gutes Beispiel für gute Gesprächskultur zu liefern. Herausgekommen ist das Buch "Österreich für Optimisten", es wird am 18. September präsentiert.
Gibt es eigentlich noch Ihre Haustiere, die Ameisen, auf der Hohen Wand?
Natürlich! Wissen Sie, was ich gelernt habe? Dass die Ameisenkolonien, wenn die Bäume, unter denen sie sich einmal angesiedelt haben, wachsen und viel Schatten werfen, nach zehn Jahren auch an einen ganz anderen Platz übersiedeln können. Wir haben drei Kolonien, und zwei davon leben jetzt Hunderte Meter weiter weg, wo sie wieder genug Sonne haben.
Haben Sie eine Lieblingskolonie?
Nein, Sie wissen ja, dass ich sehr objektiv bin (lacht). Ich mag alle gleich gern. Ich habe keine Stiefkinder unter den Ameisen.
Sozialdemokrat und Buchautor
Geboren am 9. Oktober 1938 in Graz. Der Sozialdemokrat war 33 Jahre lang im Nationalrat, 2004 wurde er österreichischer Bundespräsident. Am 8. Juli 2016 endete seine zwölfjährige Amtszeit. Privat ist Heinz Fischer seit 1968 mit Margit verheiratet und hat zwei Kinder und drei Enkelkinder. Gemeinsam mit Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl hat er jetzt ein Buch geschrieben.
Conny Bischofberger, Kronen Zeitung
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