Unerwartet schnell

“Golfballeffekt” überraschte bei Stratos-Sprung

Wissenschaft
16.12.2017 07:11

Vor fünf Jahren hat der Salzburger Extremsportler Felix Baumgartner bei seinem Sprung aus fast 39 Kilometern Höhe als erster Mensch im freien Fall die Schallmauer durchbrochen. Eine Analyse des Stratosphärensprungs durch Wissenschaftler der Technischen Universität München lieferte nun ein überraschendes Ergebnis: Bei extremen Geschwindigkeiten fallen unregelmäßig geformte Körper schneller als glatte stromlinienförmige Objekte.

"Bisher wusste niemand, welchen Einfluss raue und ungleichmäßig geformte Oberflächen - beispielsweise die Falten des Schutzanzugs und der Rucksack, den Baumgartner trug - auf die Strömungsdynamik haben", so Ulrich Walter, Inhaber des Lehrstuhls für Raumfahrttechnik in München, der in Baumgartners Rekordsprung die einzigartige Gelegenheit sah, den Fall eines unregelmäßig geformten Objekts zu studieren.

Baumgartner fiel schneller als errechnet
Die Überraschung sei schon kurz nach der Landung gekommen, erinnert sich Walter, der als wissenschaftlicher Berater des Red-Bull-Stratos-Teams den Sprung live mitverfolgen konnte: "Unsere Berechnungen, die auf der Strömungsdynamik eines glatten Körpers basierten, hatten ergeben, dass Baumgartner eine Sprunghöhe von etwa 37 Kilometern benötigen würde, um die Schallmauer zu durchbrechen, also schneller zu fallen als Mach 1, was etwa 1200 Stundenkilometern entspricht. Tatsächlich erreichte Baumgartner jedoch weit mehr, nämlich eine Geschwindigkeit von 1,25 Mach (rund 1500 km/h, Anm.)."

Felix Baumgartner beim Stratosphären-Sprung (Bild: Red Bull Stratos/EPA/picturedesk.com)
Felix Baumgartner beim Stratosphären-Sprung

Doch wie kann es sein, dass ein Sportler, der mit einem Schutzanzug und einem Rucksack ausgerüstet ist, schneller fällt als ein symmetrisches Objekt mit glatten Oberflächen? Mithilfe der aufgezeichneten Daten wie den Druck- und Temperaturwerten in der Atmosphäre, der Geschwindigkeit Baumgartners und seiner Lage im Raum in jedem Moment des Sprunges gelang es, erstmals die Aerodynamik irregulär geformter Körper bei extremen Geschwindigkeiten zu untersuchen.

Wenn Luft starr wird, bilden sich Turbulenzen
Die Berechnung der Strömungsdynamik nahe der Schallgrenze ist komplex, weil sich dabei unterschiedliche physikalische Phänomene überlagern: Bei Geschwindigkeiten zwischen 0,7 und 1,3 Mach weicht Luft einem bewegten Objekt nicht mehr elastisch aus, sondern reagiert starr. Dadurch bilden sich Schockwellen, die zu Turbulenzen führen, die wiederum Energie absorbieren, was zu einem Anstieg des Luftwiderstands nahe der Schallgeschwindigkeit führt. Umgekehrt können bei bestimmten Strömungsverhältnissen Unebenheiten an der Oberfläche den Luftwiderstand verringern - so wie ein Golfball, der kleine Dellen in der Oberfläche hat, besser fliegt, kann auch ein Körper, der sich im freien Fall befindet, schneller sein, wenn er keine glatte Oberfläche hat.

Daten von Sensoren und Videos analysiert
Aus den Messdaten von Baumgartners Rekordsprung konnte Walter den sogenannten Strömungswiderstandskoeffizienten berechnen und die Aerodynamik ableiten. "Dabei mussten wir Daten aus verschiedenen Quellen zusammentragen, die in unterschiedlichen Formaten vorlagen - zum Teil waren es Messwerte, zum Teil mussten wir die Informationen aus Videos extrahieren", berichtet Markus Gürster von der TU München.

(Bild: Red Bull Stratos/Red Bull Content Pool)

"Das Ergebnis hat uns sehr überrascht", erinnert sich der Luft- und Raumfahrtingenieur: "Während der Strömungswiderstandskoeffizient eines glatten Kubus ab 0,6 Mach kontinuierlich bis 1,1 Mach ansteigt, blieb er bei Baumgartners Flug gemäß unseren Ergebnissen nahezu unverändert - die Schallmauer erzeugte in seinem Fall also kaum eine zusätzliche Abbremsung."

Dellen, Falten und Beulen machen schnell
"Die Untersuchung zeigt, dass beliebige Dellen, Falten und Unregelmäßigkeiten der Oberfläche im transsonischen Bereich den Luftwiderstand deutlich senken", erläutert Walter. Unregelmäßig geformte Oberflächen machen also schneller, verglichen mit einem glatten Objekt ist ihr Strömungswiderstandskoeffizient und somit auch ihr Luftwiderstand annähernd halbiert.

Noch seien diese Berechnungen reine Grundlagenforschung, doch wenn beispielsweise die Reisegeschwindigkeit von Flugzeugen weiter ansteige, könnten die Ergebnisse eines Tages nützlich werden, resümiert Walter: "Wenn man sich der Schallgeschwindigkeit annähern will, dann können Beulen und Dellen durchaus hilfreich sein."

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