Fast alle Parteien haben ihre Spitzenkandidaten für die EU-Parlamentswahl 2019 genannt. Die Wahlbeteiligung wird gering sein. Doch ist es Unsinn, zu schimpfen, dass wir in der EU fremdbestimmt wären, und gleichzeitig auf politische Beteiligung zu verzichten. Schauen wir uns also die Bewerber an.
1. Othmar Karas und Harald Vilimsky sind die gegensätzlichen Frontmänner der Regierungsparteien ÖVP und FPÖ. Karas sitzt seit 20 Jahren im Europaparlament und war Vizepräsident. Er hat die meisten Stimmen aller seit 1996 jemals angetretenen Kandidaten aus Österreich bekommen. Ach ja, und die Herren Kurz und Karas werden in diesem Leben keine ziemlich besten Freunde mehr.
Doch kann Sebastian Kurz bei seinem Vorzugsstimmenmodell auf den besten Stimmenbringer - schon 2009 waren 112.954 Menschen ausdrücklich für Karas - verzichten? Warum sollte Staatssekretärin Karoline Edtstadler vorangehen, die laut APA/OGM-Vertrauensindex sieben von zehn Wahlberechtigten (noch) nicht kennen? Oder wieso Fernsehmoderator Wolfram Pirchner als Quereinsteiger auf Platz eins reihen und sich dadurch in der Europäischen Volkspartei schwächen?
2. Zudem hat Kurz sich nicht getraut, das Risiko zu nehmen, dass Karas mit einer eigenen Liste antritt und der ÖVP viele Stimmen wegnimmt. Mit dem FPÖler Vilimsky hätte jeder Kurz‘sche Wunschkandidat sowieso gestritten, nur das kann Karas besser. Vilimsky war viel länger im heimischen Nationalrat als auf Europaebene tätig. Seine Rolle legt er als Skeptiker und Gegner der EU unverändert national bis nationalistisch an.
Die ÖVP und ihr Kanzler sind klar für die jetzige EU. Das passt also nicht zusammen, weil ÖVP und FPÖ gemeinsam in der Bundesregierung sitzen. Wenn Karas auf Vilimsky sprachlich hinhaut, so tut das zugegeben ein 1108 Kilometer entfernt arbeitender Europaabgeordneter. Dass er vor 20 Jahren Bundesgeschäftsführer seiner Partei war, hat man vergessen. Packt Vilimsky den Dreschflegel aus, so macht der blaue Multifunktionär das auch innenpolitisch als Generalsekretär der FPÖ. Was Ärger bringen könnte.
3. Für die SPÖ geht Andreas Schieder ins Rennen. Er ist „Ex“ im Sinn von ehemals Finanzstaatssekretär, Chef des Parlamentsklubs der SPÖ und Möchtegern-Bürgermeister in Wien. Von in roter Vorzeit Präsident der Europäischen Jungsozialisten bis kürzlich Sprecher sozialdemokratischer Klubobleute in den Ländern der EU hat er von EU-ropa trotzdem eine Ahnung.
Wie er zum Kandidaten wurde, das war freilich schräg. Im Parlament konnte die neue Parteichefin Pamela Rendi-Wagner ihn nicht brauchen. Mit dem Bürgermeistersessel wurde es nichts. Zum Spitzenkandidaten für das Europäische Parlament wurde er in einer Horuck-Aktion als glatter Frühstart: Christian Kern hat sich im Herbst 2018 zuerst selbst nominiert und danach abmontiert.
4. Das wirkliche Dilemma Schieders ist, dass er für die breite Öffentlichkeit weder Strahle- noch Buhmann ist. Außerhalb Wiens und der eigenen Partei ist sein Imageprofil farblos. Wie will er da jene Menschen, die als schweigende Mehrheit zuletzt nicht an EU-Wahlen teilnahmen, auf der Gefühlsebene zur Stimmabgabe motivieren? Fast die Hälfte der Österreicher hat zu Schieder schlicht keine Meinung.
Und bei allen Diskussionen, ob der Streit von Karas und Vilimsky schlecht für deren Parteien ist, muss eine Frage erlaubt sein: Warum sollte ausgerechnet Schieder davon einen Vorteil haben? Ist es nicht so, dass er Angst haben muss, in einer Wahlschlacht Karas gegen Vilimsky auf offener Medienbühne in den Hintergrund gedrängt zu werden? Wer wenig wahrgenommen wird, bekommt auch weniger Stimmen.
5. Spitzenkandidatin der NEOS ist die 30-jährige Claudia Gamon. Auch sie ist für viele Wähler ein unbeschriebenes Blatt und erst seit 12. Oktober 2015 im Nationalrat. Als jüngste Abgeordnete ihres Klubs. Ihre nunmehrigen Konkurrenten sind lauter Männer sowie 50, 52, 57 und 61 Jahre alt.
Natürlich ist weder das Geschlecht noch Jugend oder Alter für sich genommen eine politische Leistung. Doch in einem Wahlkampf geht es um öffentliche Aufmerksamkeit, also hat Frau Gamon ein doppeltes Alleinstellungsmerkmal. Zudem versteht sich EU-ropa als Zukunftsprojekt und hat Geschlechtergerechtigkeit als Leitbild. Daher sollten nicht nur Männer der 50-plus-Generation wahlwerben.
6. Die Grünen wiederum haben wenigstens bei der Spitzenkandidatur die richtige Wahl getroffen. Wen außer Bundesparteisprecher Werner Kogler hätte man überhaupt gekannt? Ulrike Lunacek ist ja nach dem Debakel bei der Nationalratswahl zurückgetreten. Mit Kogler hofft man vor allem, rot-grüne Wechselwähler anzusprechen.
Ein Hauptgegner wären allerdings Peter Pilz und Konsorten. Doch dass die Pilz-Liste Jetzt bis jetzt keinen Kandidaten mitgeteilt hat, ist nicht nur als Wortspiel kurios.
Peter Filzmaier
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