Regierung im Parlament

Rendi-Wagner an Kurz: „Geben Ihnen zweite Chance“

Politik
10.01.2020 12:14

Die neue Regierung hat sich am Freitagvormittag dem Nationalrat präsentiert. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) machte den Anfang und sagte, es sei „eine Ehre und Freude“, wieder zurück zu sein - „zurückgewählt und gestärkt“. Sein Dank gelte vor allem Werner Kogler und den Grünen. Kurz sprach von einer „neuen Form der Kompromissfindung“. Kogler fand in seiner Rede lobende Worte für seine Mannschaft - und da vor allem für Justizministerin Alma Zadic - sowie für den „guten“ Regierungspakt. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner sagte, Türkis-Grün sei ein „Wagnis zulasten des sozialen Ausgleichs“, aber sie gebe Kurz „eine zweite Chance“. FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl lieferte den gewohnten Rundumschlag samt Eklat - der Nationalratspräsident musste ihn zur Ordnung rufen.

„Versuchen wir uns wieder zu vertrauen“, appellierte Rendi-Wagner, die Ende Mai den Misstrauensantrag gegen Kurz eingebracht hatte, nicht nur an den Kanzler, sondern den gesamten Nationalrat. Das Programm der neuen Regierung entspreche zwar „in großen Teilen nicht unseren Vorstellungen, aber das wird uns nicht an einem respektvollen Umgang hindern, und wir werden Ihnen, Herr Bundeskanzler, eine zweite Chance geben“. Trotzdem sei Türkis-Grün für sie ein „Wagnis zulasten des sozialen Ausgleichs“.

Pamela Rendi-Wagner gibt Sebastian Kurz „eine zweite Chance“. (Bild: APA/ROLAND SCHLAGER)
Pamela Rendi-Wagner gibt Sebastian Kurz „eine zweite Chance“.
Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer und SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner (Bild: APA/HERBERT NEUBAUER)
Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer und SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner

Rendi-Wagner: „Soziale Ungleichheit ist gefährlich“
„Menschen, die sehr viel verdienen - über eine Million Euro im Jahr -, zahlen gemäß Ihrem Programm weniger Steuern als bisher“, kritisierte die SPÖ-Chefin. „Dafür nehmen Sie rund zwei Milliarden Euro in die Hand. Das Geld ist aber nicht da, wenn es darum geht, dass alle Kinder gleich viel Familienbonus bekommen. Es ist auch nicht dafür da, dass Menschen, die 45 Jahre gearbeitet haben, ohne Abschläge in Pension gehen können“, so Rendi-Wagner mit Blick auf die Hacklerregelung, die die neue Regierung nach den Worten von Kurz „reparieren“ will. Die soziale Schere drohe größer zu werden - und soziale Ungleichheit sei „gefährlich“.

Kurz: Programm „wird allen Ideen und Ansprüchen gerecht“
Neben Worten zur privilegierten Lage Österreichs hatte Kurz in seiner Rede die derzeitige internationale Situation gestreift, um dann zum Thema Migration und Grenzschutz sowie dem respektvollen Umgang mit unserer Umwelt zu kommen. Die Regierung sei gewählt worden, um sicherzustellen, dass all diese Herausforderungen angegangen würden. Das Regierungsprogramm werde „all diesen Ideen und Ansprüchen gerecht“. Es seien keine Minimalkompromisse geschlossen worden.

Bundeskanzler Sebastian Kurz mit einem Teil der neuen Minister im Hintergrund (Bild: APA/ROLAND SCHLAGER)
Bundeskanzler Sebastian Kurz mit einem Teil der neuen Minister im Hintergrund

Abgaben, Schulden, Migration, Bildung, Pflege
Konkret wolle man die Abgabenquote auf 40 Prozent, die Schuldenquote gegen 60 Prozent senken, wie Kurz ausführte. Die Budgetpolitik werde demnach „ausgeglichen“ sein. Die Linie in der Migration werde weiterhin klar sein: „das Sterben im Mittelmeer beenden“ und „illegale Migration verhindern“. Die Entwicklungshilfe vor Ort soll ausgebaut werden.

(Bild: APA/Roland Schlager)

Das Bildungssystem werde reformiert, es werde Bildungspflicht statt Schulpflicht heißen. Es solle niemand seine Zeit in der Schule nur absitzen und niemand „zurückgelassen“ werden. Brennpunktschulen würden gestärkt, wie auch Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) im Interview mit Conny Bischofberger ausführte. Auch das Thema Pflegeversicherung werde angegangen, ebenso der Klimaschutz.

„Besondere Begrüßung“ für Justizministerin Zadic
Vizekanzler Werner Kogler dankte den Österreichern für die Geduld, die sie während der Zeit der Verhandlungen aufgebracht hätten, bis die Regierung nach 100 Tagen schließlich mit der Angelobung stand. Mit der zum Teil international erfahrenen Regierungstruppe werde „sicher viel gelingen“, so Kogler. Großes Lob und „eine besondere Begrüßung“ gab es vom Grünen-Chef für Alma Zadic, die sich seit ihrer Bestellung zur Justizministerin einer wahren Hetzkampagne ausgesetzt sieht. „Wer seine Heimat liebt, der spaltet sie nicht“, mahnte Kogler. Ein langer Applaus vieler Parlamentarier war die Folge.

Vizekanzler Werner Kogler (Bild: APA/ROLAND SCHLAGER)
Vizekanzler Werner Kogler

Regierungsprogramm „ein guter Pakt im Gesamten“
Der Regierungspakt sei einer für eine Regierung, aber mit zwei unterschiedlichen Zugängen, betonte Kogler. Es sei „ein guter Pakt“ im Gesamten, im Einzelnen hätten sich die beiden Parteien mal mehr, mal weniger stark durchgesetzt. „Wir hoffen halt, dass, wenn wer gewonnen hat, dass das die österreichische Bevölkerung ist“, so Kogler Bezug nehmend auf immer wiederkehrende Vorwürfe, die Grünen hätten sich von der ÖVP bei den Verhandlungen über den Tisch ziehen lassen.

„Große Stinker“ teurer, umweltfreundliche Verkehrsmittel billiger
Einmal mehr sagte Kogler zu den Vorhaben der Grünen, dass die „großen Stinker“ - also SUV - teurer und umweltverträglichere Verkehrsmittel billiger werden sollen. Aber auch was den Flugverkehr betrifft, soll es Regelungen geben: Künftig sollen die Dumpingpreis-Kalkulationen bei den Flugreisen nicht mehr zulässig sein. Österreich solle Vorreiter in der EU werden - „mehr geht fast nicht“.

SPÖ-Klubobmann-Stellvertreter Jörg Leichtfried und Grünen-Chef und Vizekanzler Werner Kogler (Bild: APA/ROLAND SCHLAGER)
SPÖ-Klubobmann-Stellvertreter Jörg Leichtfried und Grünen-Chef und Vizekanzler Werner Kogler

Polizei, Ärztemangel, Armutsbekämpfung, Transparenzpaket
Die Polizei solle verstärkt und gestärkt werden - und „bürgernäher“. Dem Ärztemangel vor allem am Land soll entgegengetreten werden, außerdem sei ihm wichtig, einen verstärkten Dialog mit den Sozialpartnern zu führen. Mindestlöhne seien ebenfalls ein Thema, um die Armut besonders bei Frauen zu bekämpfen. Es habe ein Lückenschluss stattgefunden: „Ich danke hier für den Konsens.“ Auch Sozialprojekte an den Schulen würden fortgesetzt, auch im Bereich der Integration gebe es „gute Vorhaben“. Und vor allem wolle man das „größte Transparenzpaket“ umsetzen.

Das alles „hilft Österreich“. Man bitte die Parlamentarier um eine gute Zusammenarbeit, so Kogler: „Für uns ist das ja noch etwas neu.“ Man werde die Hand jedenfalls ausstrecken. 

Ordnungsruf gegen Kickl, der Rundumschlag lieferte
FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl lieferte den erwarteten Rundumschlag und wurde zweimal von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) ermahnt, Begriffe zurückzunehmen - was er verweigerte. Die Bezeichnung „kommunistische Tarnorganisation“ für das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands nehme er nicht zurück, es gebe ein Gerichtsurteil, das das erlaube. Sobotka erteilte daraufhin einen Ordnungsruf. Bei Kickls Aussage über „schwarze, rote und grüne Bonzen am Küniglberg“ (dem ORF-Zentrum) forderte Sobotka die Rücknahme des Wortes „Bonzen“. Auch dem kam Kickl nicht nach.

(Bild: APA/HERBERT NEUBAUER)

Spöttischer Seitenhieb gegen „Hysterikerin“ Zadic
Einen spöttischen Seitenhieb gab es auch gegen die derzeit mit einer Hasswelle kämpfende Justizministerin Zadic: „Jetzt freue ich mich für Sie, dass Sie das Vergnügen haben, genau diese Sicherungshaft auch umzusetzen. So was nenne ich ausgleichende Gerechtigkeit“, so der FPÖ-Klubobmann zu Zadic, die derzeit vor allem wegen ihres Migrationshintergrunds im Internet aufs Übelste beschimpft und beleidigt wird. Kickl nannte sie darüber hinaus „eine der größten Hysterikerinnen“. Ein Ordnungsruf blieb aus.

„Der rot-weiß-rote Stachel im Fleisch der Greta-Koalition“
Inhaltlich sprach Kickl von vielen „Pulverfässern im Nahbereich der Europäischen Union“ wie der Türkei, von der im Regierungsprogramm „kein Wort“ zu finden sei. Es habe „noch nie so ein instabiles Gefüge“ einer Regierung gegeben, das Programm sei ein „fauler Kompromiss“. Der „einzige Kitt“ der Regierung sei, die Freiheitlichen von der Regierungsverantwortung abzuhalten, so Kickl. Doch nun werde man „der rot-weiß-rote Stachel im Fleisch der Greta-Koalition“ sein.

NEOS räumen Regierung 100 Tage Schonfrist ein
Für die NEOS erklärte Klubchefin Beate Meinl-Reisinger neuerlich, der neuen Regierung eine 100-Tage-Schonfrist einzuräumen. Das Ziel der Klimaneutralität begrüßte sie ebenso wie die angekündigte Schaffung einer mittleren Reife nach der neunten Schulstufe und das Integrationsministerium. Sie fordert allerdings die Nachbesserung des in vielen Punkten vagen Regierungsprogramms: „Da sind Absichtserklärungen drinnen, die mit Leben gefüllt werden müssen.“

NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger (Bild: APA/Herbert Neubauer)
NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger

Außerdem vermisst Meinl-Reisinger Angaben zur Finanzierbarkeit der Maßnahmen sowie eine Pensionsreform. „Wir haben eine steigende Lebenserwartung, gleichzeitig gehen wir früher in Pension als 1971.“ Und „sehr enttäuscht“ ist die NEOS-Chefin, dass die Grünen keine roten Linien bei Sicherungshaft und Bundestrojaner gezogen hätten.

Auch der Nationalrat wird sich mit dem möglichen Rückstau bei der Überprüfung auf Anspruch auf Familienbeihilfe beschäftigen. Die SPÖ-Familiensprecherin hat eine parlamentarische Anfrage dazu eingebracht (Symbolbild). (Bild: APA/ROLAND SCHLAGER)
Auch der Nationalrat wird sich mit dem möglichen Rückstau bei der Überprüfung auf Anspruch auf Familienbeihilfe beschäftigen. Die SPÖ-Familiensprecherin hat eine parlamentarische Anfrage dazu eingebracht (Symbolbild).

Durch das Aufrücken etlicher Abgeordneter in die Regierung kam es auch zu einigen Wechseln in den Abgeordnetenbänken. Die prominentesten Neuen sind Rückkehrer Rudolf Taschner bei der ÖVP sowie Anwalt Georg Bürstmayr bei den Grünen.

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