Stimmung sinkt täglich

Corona-Krise: Wo es derzeit knirscht und kracht

Österreich
06.01.2021 06:00

Steigende Zahlen, die Wirtschaft an der Kippe - gepaart mit politischem Chaos. Österreich hat den Weg des Musterschülers verlassen. In welchen Bereichen von Impfung über Gastro und Schule bis hin zum Skifahren es knirscht und kracht.

Krisen lassen politische Kontrahenten und Kritiker ihre Auffassungsunterschiede vergessen und zur Bewältigung konstruktiv zusammenarbeiten - bisher zumindest und auch zu Beginn der Covid-Pandemie vor bald einem Jahr. Damals galt der Weg Österreichs als Vorzeigebeispiel innerhalb Europas, heute schaffen wir es mit traurigen Rekorden und bedenklichen Bildern von Menschenmassen in die internationalen Medien. Die Stimmung sinkt mit jedem Tag im Lockdown, es hapert an Lichtblicken, Lösungen sowie Strategien für Impfungen und Tests. 


Kaum ein Bereich, der nicht leidet

Es gibt kaum einen Bereich, der nicht unter der fehlenden Strategie leidet. Schüler und Eltern, denen zu Hause die Decke auf den Kopf fällt, werden vertröstet. Die Wirte rüsten sich zum Aufsperren - um dann doch zuzubleiben. Von Entspannung keine Spur, im Gegenteil: Noch weiß man nicht, wie sich die neu auch in Österreich aufgetauchte Virus-Mutation B117 verhält.

Und auch die Zahlen steigen - nach den Feiertagslockerungen - wieder an: Am Dienstag wurden erstmals seit einer Woche wieder 100 Todesfälle gemeldet. 2300 Menschen hatten sich im 24-Stunden-Vergleich neu mit dem Virus infiziert. Die Sieben-Tages-Inzidenz liegt bei 161. Ein viel zitiertes Ziel ist (auch international), sie unter 50 zu bringen.

EIN ÜBERBLICK ÜBER DIE GRÖßTEN PROBLEMBEREICHE:

  • IMPFUNG: WARTEN AUF DIE SPRITZE
    Zuerst war da die Frage, ob es überhaupt einen Impfstoff geben wird. Österreich konnte dann über die EU Impfstoff bei sechs Herstellern bestellen und musste warten, bis Vakzine geliefert werden können. Dann kamen nach dem Heiligen Abend die ersten 10.000 Impfdosen von BioNTech/Pfizer an. Am 27. Dezember gab es zwar punktuell „Probeimpfungen“ in Pflegeheimen sowie Covid-Stationen, danach aber wurde kaum weiter immunisiert. Inzwischen wurden 63.000 Dosen geliefert, am Ende dieser Woche verfügt Österreich dann über mehr als 120.000. Das Gesundheitsministerium wird vom Bundesheer unterstützt. 

    Großflächige Impfungen sollten laut Impfplan dennoch erst kommende Woche starten. Am Dienstagabend sickerten dann erste Zahlen aus Regierungskreisen durch. Demnach sollen bis Ende kommender Woche 71.000 Dosen verabreicht werden, und zwar zunächst an Bewohner und Angestellte von Pflegeheimen sowie Personal auf Intensivstationen. Wobei ein höchst unterschiedlicher Verteilschlüssel für die Bundesländer auffällt: So waren im Burgenland am Dienstag 170 Personen geimpft, in der Steiermark noch weniger.
Theresia Hofer (84) war die erste Österreicherin, die die erste Corona-Teilimpfung bekommen hat. (Bild: APA/Hans Punz)
Theresia Hofer (84) war die erste Österreicherin, die die erste Corona-Teilimpfung bekommen hat.
  • MORAL: KEIN LAND IN SICHT
    Mit dem Andauern der Pandemie sinkt bei vielen Österreichern die Bereitschaft, sich an die Maßnahmen zu halten. „Es dauert einfach schon sehr lang und es ist leider kein Land in Sicht“, erklärt Peter Stippl, Präsident des Österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie, das Phänomen. „Politiker müssen lernen, so zu kommunizieren, dass die Leute die Lage nachvollziehen können. Damit steigt auch ihre Mitarbeit“, appelliert der Experte.

    Dem Burgenländer fehlt außerdem der Anreiz, sich an die Regeln zu halten. „Kino- und Theaterbesuch für jene, die sich testen lassen, wäre eine Option.“ Vor allem machen Fotos von Menschenmengen vor Ski-Liften und bei Anti-Corona-Demos wütend. Während in Städten Spaziergänger kontrolliert werden, dürfen andere über die Piste wedeln. Auch beim Thema Impfung schwindet die Moral. „Patienten fragen nach Bestätigungen, dass sie früher ein Vakzin erhalten“, berichtet Stippl.
  • TESTS: UND NIEMAND GEHT HIN ...
    „Ich kenne niemanden, der nicht ins Kino oder zum Wirt gehen will“, sagt WKO-Chef Harald Mahrer. Er hält Massentests für die einzige Alternative zu einem Lockdown. Und zwar „bis zu einer breiten Impfung oder bis sich die Situation klimatisch automatisch entspannt“. Dass Tests, so sie regelmäßig und mit hoher Teilnehmerzahl stattfinden, sinnvoll sind, stößt auf breite Zustimmung. Nur: Strategie gibt es keine. Dem Freitest-Plan der Regierung erteilte die Opposition eine Absage, nun soll es Tests für Berufsgruppen und als Zugangskarte geben. Wie das genau aussehen soll? Man weiß es nicht.

    „Veranstalter können Tests mit den Tickets kontrollieren, Hoteliers wollen vielfach nur getestete Gäste“, ortet Mahrer keine Probleme. Branchen, bei denen das nicht funktioniere, müssten weiter schließen. Wohnzimmertests, wie von der SPÖ gefordert, oder Firmen, die ihre Mitarbeiter testen, könnten das Bild ergänzen: „Dafür müsste man die Daten aber ins behördliche System einbinden", so Mahrer.
(Bild: APA/FRANZ NEUMAYR)
  • LOCKDOWN: ES DAUERT WIEDER
    Lockdown? Bis vor einem Jahr war dieses Wort in Österreich de facto unbekannt. Mittlerweile wird es fast zur Gewohnheit, denn wir erleben bereits die dritte „Zusperrphase“ in unserem Land, um das Coronavirus im Zaum zu halten. Der aktuelle Lockdown umfasst viele strikte Maßnahmen. Die Ausgangsbeschränkungen gelten wieder rund um die Uhr, Kontakte werden stark eingeschränkt. Der Handel ist bis auf Grundversorger geschlossen, Gastronomie und alle Kulturbetriebe bleiben derzeit zu. 

    Einerseits führt das „Herunterfahren“ beinahe des ganzen Landes zur Kontaktreduktion und somit (mit Verzögerung) zum Sinken von Neuinfektionen. Andererseits leiden vor allem viele ältere Menschen unter Vereinsamung. Aber auch jüngere Menschen haben angesichts des eingeschränkten Lebensstils und des trüben Wetters mit negativen Gemütszuständen zu kämpfen. Psychologen haben wegen auftretender Depressionen derzeit Hochsaison.
(Bild: APA/Hans Punz)
  • KOSTEN: WER WIRD DAS BEZAHLEN?
    Für Corona-Hilfen sind im österreichischen Budget 50 Milliarden Euro veranschlagt. Die Summe entspricht in etwa der gesamten Wirtschaftsleistung unseres Nachbarlandes Slowenien bzw. einem Achtel des österreichischen Bruttoinlandsproduktes (BIP) von 397 Milliarden Euro (2019). Und sie decken nur die direkten Hilfen ab, wie die Kurzarbeit, den Fixkostenzuschuss und den Umsatzersatz.

    Nicht in der Rechnung: Was kosten den Staat die über 500.000 Arbeitslosen? Wie viele Menschen werden langfristig keinen Job mehr finden? Und wie viele Unternehmen schlittern angesichts monatelanger Schließungen in den kommenden Monaten in die Pleite? Fragen, die auch Wirtschaftsforscher noch nicht beantworten können. Das Institut für Höhere Studien rechnet für 2021 mit einem Wirtschaftswachstum von 3,1 Prozent (2020: -7,5 Prozent). Eingepreist in die Prognose ist ein Monat im vollen Lockdown. Der kostet direkt und indirekt, so die Wirtschaftskammer, 1,7 Milliarden Euro - pro Woche.
  • REISEN: REIF FÜR DIE INSEL
    Palmen, Strand und mit einem Cocktail ab in die Hängematte - wer träumt angesichts des trüben Wetters bei uns derzeit nicht von einem Flug in tropische Gefilde? Peter Cornelius hat es einst mit seinem Hit „Reif für die Insel“ auf den Punkt gebracht. Doch Lockdowns, Reisewarnungen in andere Länder und strikte Quarantäne-Bestimmungen nach der Heimkehr nach Österreich versalzen uns das Süppchen.

    Zumindest bis zum 10. Jänner muss man sich bei der Heimkehr aus einem Risikogebiet in eine zehntägige Selbstisolation begeben. Bis auf Weiteres bleiben uns nur die Reisen im Kopf. Aber der nächste Sommer kommt bestimmt!
(Bild: stock.adobe.com)
  • WIRTSCHAFT: PLEITEWELLE RÜCKT AN
    Zombieunternehmen ist eines jener Worte, das erst durch die Corona-Krise Eingang in den Wortschatz der Österreicher gefunden hat. Es bezeichnet Firmen, die schon vor der Krise wirtschaftlich schlecht dastanden und durch Wirtschaftshilfen künstlich am Leben erhalten werden. Laut Kreditschutzverband Creditreform sind rund 50.000 Betriebe - zehn Prozent der österreichischen Unternehmen - auf dem Weg, solche „Zombies“ zu werden. Ein Zeichen dafür ist, dass 2020 die Zahl der Firmenpleiten um 41,5 Prozent sank - auf den niedrigsten Stand seit 1990.

    Die große Pleitewelle, so Creditreform, steht bevor, sobald „wieder das freie Spiel der marktwirtschaftlichen Kräfte zugelassen wird und staatliche Regulierungen zurückgefahren werden“. Doch Firmen, die gut dastehen, sorgen sich um die Zeit nach der Krise: „Je länger sie dauert, umso länger dauert die Reha“, sagt WKO-Präsident Harald Mahrer. Denn ohne Arbeit und Schulungen gehen unter anderem Qualifikationen verloren, ganze Branchen verlieren ihre Mitarbeiter, weil die aufgrund der Schließungen umgeschult werden.
WKO-Präsident Harald Mahrer: „Je länger die Krise dauert, umso länger dauert die Reha.“ (Bild: APA/Georg Hochmuth)
WKO-Präsident Harald Mahrer: „Je länger die Krise dauert, umso länger dauert die Reha.“
  • SCHULE: ERBOSTE ELTERN, VERUNSICHERTE SCHÜLER
    Vor einem unsicheren Unterrichtsstart an Schulen stehen erneut Zigtausende Schüler. Das Bildungsministerium hält trotz Verlängerung des Lockdowns am Präsenzunterricht ab 18. Jänner fest. Ob dieser Termin eingehalten werden kann, ist aufgrund der Neuinfektionen fraglich. „Sämtliche Eltern sind sehr erbost über diese Situation. Es ist keinerlei Planungssicherheit gegeben, weder für Schüler und Eltern, noch Lehrer“, kritisiert Evelyn Kometter vom Dachverband der Elternvereine an öffentlichen Pflichtschulen.

    Obwohl wir seit März von der Pandemie betroffen sind, gibt es an vielen Schulen noch kein einheitliches Konzept für den Fernunterricht. Eltern, die Home-Office und Haushalt schaukeln, müssen sich außerdem damit beschäftigen, wie ihre Kinder die Lernmaterialien erhalten. Vor allem Schüler mit einem „Nicht genügend“ im Zeugnis können sich aufgrund von fehlenden Schularbeiten schwer ausbessern, was psychischen Druck für die Jungen bedeutet.
(Bild: Rojsek-Wiedergut Uta)
  • GASTRONOMIE: DIE WIRTSHAUSTÜR IST ZU
    Die Wirte haben - einmal mehr - die Rechnung ohne die Politik gemacht. „Das größte Problem ist, dass man nichts mehr planen kann. Wir, aber auch unsere Stammgäste, haben uns schon so aufs Aufsperren gefreut“, spricht Viktoria Habetler, Chefin des Café Coretto in Wien-Brigittenau, wohl vielen Wirten aus der Seele. Doch damit wird es vorerst wieder nichts. Die Tore zu den Gaststätten bleiben weiterhin geschlossen - zumindest bis 24. Jänner, falls sich das „Corona-Wetter“ nicht wieder zum Schlechten dreht. „Ja, Gesundheit geht vor“, so die Unternehmerin, „aber ich hätte noch nicht gehört, dass es in der Gastronomie große Cluster gegeben hätte.“
Viktoria und Werner Habetler (Bild: Reinhard Holl)
Viktoria und Werner Habetler
  • KULTUR: WARTEN AUF GEWISSHEIT
    Es war ein Gänsehautmoment, als die Wiener Philharmoniker am 1. Jänner den Fatinitza-Marsch beendeten und Stille folgte. Der Auftakt zu einem Kulturjahr, das erneut Opern, Theater, Konzertveranstalter und Museen vor Herausforderungen stellt. Ein gültiger Test, eine gültige Impfung als Eintrittskarte? Nächtliche Ausgangsbeschränkungen, die nur Matineen und Nachmittagsvorstellungen erlauben? Der Unmut wächst. Auch darüber, dass körperliche Erholung (etwa in Skigebieten) wohl über geistiger steht. Oder, wie Burgtheater-Chef Martin Kusej es formuliert: „Ich bin wirklich richtig verärgert! Wie lange sollen wir uns noch verschaukeln lassen?“
Leere Ränge beim Neujahrskonzert (Bild: Roman Zach-Kiesling)
Leere Ränge beim Neujahrskonzert
  • SKIFAHREN: MINUS TROTZ ANSTURM
    Bis zu 4000 Menschen tummelten sich zuletzt zu Spitzenzeiten am Semmering. Die dazugehörige Gemeinde hat 518 Einwohner. Eine epidemiologisch bedenkliche Situation - und nicht die einzige rund um die heimischen Pisten seit ihrer Öffnung zu Weihnachten. Die Seilbahnbetreiber verweisen auf Schutzmaßnahmen und Sicherheitsdienste, die Abstände kontrollieren. Die Bilder überfüllter Warteschlangen gingen aber um die Welt - und verunsichern viele Touristen, auf die österreichische Wintersportorte nach der Krise setzen wollen. Denn, das zeigen Rechnungen aus allen Regionen: Mit einheimischen Pistenfans alleine lässt sich kaum ein Skibetrieb wirtschaftlich führen.
Offene Skigebiete rechnen sich kaum. (Bild: Josef Poyer)
Offene Skigebiete rechnen sich kaum.

Gregor Brandl, Oliver Papacek, Katharina Pirker,
Silvia Schober und Teresa Spari, Kronen Zeitung/krone.at

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