Am Sonntag wählen mehr als 500.000 in Tirol lebende Menschen ihre Gemeinderäte. Also jene Volksvertreter, die im Vergleich zu Landes- oder Bundespolitikern den meisten und unmittelbarsten Direktkontakt mit den Bürgern haben. Im Unterschied zu Landtags- und Nationalratswahlen sind übrigens auch mehr als zehn Prozent der Wahlberechtigten nicht aus Österreich, sondern mit Wohnsitz in Tirol aus anderen EU-Ländern stammend.
1. Insgesamt treten 856 Wahllisten an. 562 Kandidaten wollen Bürgermeister werden. Im Grunde gibt es dafür 273 getrennte Wahlen und Wahlkämpfe in genauso vielen Gemeinden. Deshalb ist der – zugegeben gerade von Medien betriebene – Volkssport des landesweiten Zusammenrechnens der Ergebnisse aus politikwissenschaftlicher Sicht nicht allzu sinnvoll. Was haben die geografisch weit voneinander entfernten Kandidaten in beispielsweise Ischgl und Kufstein und deren lokale Streitthemen miteinander zu tun? Oft wenig bis rein gar nichts.
2. Vor allem beim Bürgermeisteramt geht es mehrheitlich um Persönlichkeitswahlen. Die Wahlentscheidung wird auch nicht aufgrund einer bundesweiten Steuerreform oder wegen der sowieso nicht landauf und landab einheitlichen Parteiwerbung getroffen. Sondern aufgrund der Meinungen vom Amtsbacher Wasserkleinkraftwerk bei Hall bis zur Wörgler Wasserwelt. In jeder Gemeinde gibt es sehr spezielle Aufreger, die anderswo kaum emotionalisieren.
3. Bei den heurigen Gemeinderatswahlen sind zudem alle Einwohner der Stadt Innsbruck nicht dabei, welche über 20 Prozent der Tiroler Wählerschaft stellen. Das ist zahlenmäßig in etwa so, als würden bei einer österreichischen Nationalratswahl sämtliche Wiener oder Niederösterreicher fehlen. Schlussfolgerungen des Typs „So denkt und wählt ganz Tirol!“ werden also am Wahlabend höchstens teilweise möglich sein.
4. Allzu eng wollen zumindest die Gemeindepolitiker von ÖVP, SPÖ, FPÖ und GRÜNE gar nicht mit ihrer Landes- und Bundespartei in Verbindung gebracht werden. Was die Gemeindeebene nämlich auszeichnet, das ist ein ebenda vergleichsweise besseres Image der Politik als es die jeweiligen Parteikollegen in Land, Bund oder EU haben.
5. Natürlich sind Bürgermeister keineswegs ausnahmslos beliebt, doch wird sie laut der „Österreichischen Gemeindestudie“ des Instituts für Strategieanalysen (ISA) als jene Gruppe gesehen, welche am meisten die Interessen der Bevölkerung vertritt. Viel mehr als Landeshauptleute und Landesräte oder gar Kanzler und Minister das tun würden.
6. In Tirol wird freilich den Gemeindepolitikern die Absatzbewegung von ihrer Partei zusätzlich durch das Wahlrecht leicht gemacht. Die Bürgermeister werden – als eines von sechs Bundesländern, nur in Niederösterreich, der Steiermark und Wien ist das nicht so – sowieso direkt gewählt. Doch auch auf den Stimmzetteln für die Zusammensetzung finden sich keine klassischen Parteinamen, sondern personenbezogene Namenslisten und hübsche Namenskreationen wie „Gemeinsam für ...“, „Unabhängig für ...“ oder „Freiheit für ...“.
7. Die ÖVP etwa sagt, dass 475 Listen ihr zuzuordnen wären. Das kann stimmen oder auch nicht, denn bloß 19 Listen tragen den Parteinamen. Richtig ist freilich, dass die Landeshauptmannpartei getrennte Kandidaturen mehrerer ÖVP-bezogener Listen als Trick erfunden hat. Denn das Wahlrecht ermöglicht die Koppelung von Listen. Das bringt Vorteile bei der mathematisch komplizierten Mandatsberechnung. Nach dem getrennten Streiten im Wahlkampf regieren befreundete Listen einfach gemeinsam die Gemeinde. Doch machen heuer nicht-schwarze Parteien den Trick inzwischen nach, wie es etwa in Lienz der Fall ist.
8. Alles Corona, oder was? Hat Tirol in der Coronapandemie – so ein viel kritisiertes Politikerzitat – „alles richtig gemacht“, oder werden politische Fehler und Versäumnisse in der Pandemie zum Wahlmotiv? Wenn ja, verlieren dadurch neben der Kritik an der Landesregierung auch Bürgermeister als Amtsinhaber sowie Bürgermeister gewaltig an Stimmen und Prozenten?
9. Der Regionalstolz führt da oft zur Standardausrede, dass nur außerhalb Tirols alle so gemein über das in Wahrheit bestmögliche Pandemiemanagement schimpfen würden. Bei den Gemeinderatswahlen wäre das als Ausrede unsinnig. Denn da treten ja Tiroler gegen Tiroler an. Niemand aus Wien und keiner, der im Ausland wohnt. Man darf aber jetzt schon Wetten abschließen, dass bei Wahlerfolgen der Impf- und Maßnahmengegner „MFG“ – diese treten in immerhin 51 Gemeinden an, die NEOS nur in 17 – von der ÖVP abwärts alle Landesparteien und nahe stehenden Listen die Schuld bei der Bundesregierung suchen werden und nicht bei sich.
10. Zu nicht guter Letzt: Frauen muss man unter den Tiroler Bürgermeistern mit der Lupe suchen. Es sind 17 und ihr Anteil beträgt sechs Prozent. Obwohl das weibliche Geschlecht mehr als 50 Prozent der Wähler stellt. Egal, wie die sogar im Fernsehen Aufsehen erregende Kundler Frauenliste morgen abschneidet: An der in Summe zu geringen Vertretung von Frauen im Amt eines Gemeindechefs wird sich nicht viel ändern.
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