Fischer und Babler:

„Dem Land ein drittes Mal Schwarz-Blau ersparen“

Politik
05.04.2024 21:12

Am 6. April vor 150 Jahren wurde die SPÖ gegründet. Parteichef Andreas Babler und Ex-Bundespräsident Heinz Fischer über die Zukunft. 

„Krone“: Herr Babler, der Wohlfahrtsstaat ist eine der größten Errungenschaften der Sozialdemokratie. In Dänemark führen die Sozialdemokraten gerade Feinjustierungen durch. Etwa wurde ein Feiertag abgeschafft und das Pensionsalter erhöht, um den Wohlfahrtsstaat erhalten zu können. Sie wollen den Ausbau, ohne Abstriche. Ist das noch zeitgemäß? Andreas Babler: Ich habe eine differenzierte Sichtweise zu der Sozialpolitik in anderen Ländern wie Dänemark. Die Sozialdemokratie hatte schon immer die Fähigkeit, den Sozialstaat mit moderner Wirtschafts- und Standortpolitik zu verbinden. Unter den sozialdemokratischen Regierungen gab es starke Wirtschaftsentwicklungen, ein starkes BIP, und in der Alleinregierung ist es sogar gelungen, bei Vollbeschäftigung die Normalarbeitszeit zu verkürzen.  Für die österreichische Sozialdemokratie gab es nie ein Entweder-Oder, sondern unser Anspruch ist geprägt von Respekt und Gerechtigkeit gegenüber Menschen. So sehen wir das auch in den Fragen mit Pensionsantrittserhöhungen. Wenn man sich anschaut, wie die   Lebenserwartung in den letzten 20 Jahren gestiegen ist, dann ist das Pensionsantrittsalter eigentlich stärker gestiegen als die Lebenserwartung. Das Antrittsalter von 65 Jahren ist hoch genug, viele schaffen es nicht, gesund aus der Arbeit in die Pension zu gehen. Eine Erhöhung des Pensionsantrittsalters wird es mit der SPÖ nicht geben, ebenso wenig Pensionskürzungen. 

Herr Fischer, der skandinavische Weg war immer reformfreudiger. Ist das der richtige Weg für die Zukunft?
Heinz Fischer: Was den Wohlfahrtsstaat betrifft, halte ich es mit dem Grundsatz: Rede erst über ein Thema, wenn du die Zahlen kennst. Und die Zahlen sagen uns, dass die Vermögenskonzentration an der Spitze der Gesellschaft rasch fortschreitet. Daher glaube ich, dass man dort einmal ansetzen muss, wenn man eine gerechte Gesellschaft haben will, und nicht bei kleinen Einkommen oder bei den Pensionen. 

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Die SPÖ hatte schon immer die Fähigkeit, den Sozialstaat mit moderner Wirtschaftspolitik zu verbinden.

SPÖ-Chef Andreas Babler

In Deutschland machte in den 90er-Jahren SPÖ-Kanzler Gerhard Schröder harte Reformen, von denen dann Angela Merkel profitierte. Von diesem Pragmatismus halten Sie beide nichts?
Fischer: Die Pragmatik gehört auch zur Sozialdemokratie, aber es gehört auch ein Menschenbild und das Prinzip der Gerechtigkeit zur Sozialdemokratie. Gerhard Schröder war im persönlichen Gespräch ein wertvoller Gesprächspartner. Aber seine Politik war für die Sozialdemokratie ziemlich umstritten.
Babler: Diesen „dritten Weg“ von Tony Blair und Gerhard Schröder, wie er damals genannt wurde, sehe ich als gescheitert an. Die Liberalisierung im Gesundheitsbereich ist das berühmteste Beispiel, wohl der Tiefpunkt dieses Irrwegs der Sozialdemokratie. In welchem Zustand das Gesundheitssystem in Großbritannien ist, sehen wir ja.

Heinz Fischer hat seine Volksnähe nicht verlernt. Beim Interviewtermin wechselt er die Seiten und fotografiert. (Bild: Reinhard Holl)
Heinz Fischer hat seine Volksnähe nicht verlernt. Beim Interviewtermin wechselt er die Seiten und fotografiert.

Wie definieren Sie dann Pragmatismus?
Babler: Der Pragmatismus der Sozialdemokratie entspringt dem Denken, Menschen ein gutes und sicheres Leben garantieren zu wollen, gleichzeitig natürlich ein Wirtschaftswachstum unterstützen zu können und Investitionen zu machen in Krisenzeiten. Wenn wir jetzt Investitionen fordern, beispielsweise den Transformationsfonds, machen wir das, weil die Sozialdemokratie immer schon Wandel gekonnt hat. Ob das jetzt der Übergang aus der Monarchie war, ob es die Transformation aus dem Verschwinden der Kohleindustrie auf die metallverarbeitende Industrie war, oder ob es jetzt der notwendige Umbau Richtung Green Technology ist: Man braucht Pragmatismus, um eine Perspektive zu haben, um Arbeitsplätze für die Zukunft zu haben und diesen Prozess nicht zu verschlafen. Wir können Transformation, das ist das große Privileg der Sozialdemokratie, in Einklang bringen mit der Überzeugung, dass wir Menschen Rechte haben und die auch staatlich organisiert sein müssen.

Fällt Ihnen auf, dass wir noch gar nicht über die SPÖ-Ikone Bruno Kreisky geredet haben? Er wird heute immer noch gerne als Leitbild von SPÖ-Politikern genannt. Herr Fischer, Sie haben Kreisky gut gekannt. Hätte er heute als Kanzler dieselbe Wirkung wie in den 70ern?
Fischer: Ein Mensch mit den Fähigkeiten und Talenten und dem Engagement des Bruno Kreisky, der nicht im Jahr 1911 geboren wäre, sondern im Jahr 1951 oder 1961, der wäre auch heute ein unglaublich attraktiver Politiker, weil Kreisky die Menschen wirklich gerne hatte. Er hatte eine unglaubliche Fähigkeit, seine Politik zu erklären, wobei er auch ein Sensorium für politikferne Menschen hatte. Neben der Politik, hatte er auch Interesse für Kunst, Wissenschaft, Literatur etc. Also, ein Kreisky, geboren 1961, wäre ein hervorragender Regierungschef und Staatsmann nach wie vor. So sehe ich das.
Babler: Kreiskys Fähigkeit, das hat Heinz Fischer wahnsinnig schön ausgeführt, die Menschen zu mögen, verbindet mich mit ihm. Ich bin ein Typ, der Menschen sehr gerne hat und auch auf Menschen, die sich nicht besonders für Politik interessieren, gut wirken kann. Als Bürgermeister kenne ich die Menschen und ihre Schicksale ganz persönlich und leite daraus die Aufgabenstellungen der Politik ab. Kreisky hat wahnsinnig große Reformen vollbracht. Etwa wenn wir daran denken, dass Frauen im Familienrecht damals das erste Mal gleichgestellt wurden. Ich möchte den nächsten Sprung vollbringen und Frauen im Arbeitsmarkt gleichstellen – nämlich gleichen Lohn für gleiche Arbeit durchsetzen … Kreisky hat es unter schwierigen Bedingungen – quasi unter Vollbeschäftigung – geschafft, den Österreichern eine Arbeitszeitverkürzung von 45 auf 40 Stunden zukommen zu lassen. So werden wir das Stück um Stück 50 Jahre später auch wieder 4,2 Millionen Menschen zukommen lasse.

Herr Babler, welche Momente in der sozialdemokratischen Geschichte hat Sie geprägt?
Babler: Die historische Rolle der Sozialdemokratie ist unweigerlich mit der Verteidigung unserer Demokratie verbunden – so auch bei den Februarkämpfen 1934, als die Sozialdemokraten unter Einsatz ihres Lebens diese verteidigt haben. Mein Gefühl, dass die Sozialdemokratie immer auf der richtigen Seite in der Geschichte steht, hat sich vor allem immer dann einmal mehr bestätigt, wenn es Angriffe auf unsere Demokratie gab. Der Aufstieg Jörg Haiders ab 1986 war etwa ein solcher Moment, der gezeigt hat, wie wichtig die Sozialdemokratie für unser Land ist. Zweimal hat die Sozialdemokratie federführend diese Republik wieder aufgebaut. Deswegen hat die Sozialdemokratie ein starkes Sensorium zu wissen, wann die Demokratie gefährdet ist. Aus diesem Grund ist auch die bevorstehende Richtungsentscheidung sehr historisch. Mir ist wichtig, diese Demokratie, diese Republik, so wie wir sie kennen und lieben, zu schützen. Dieses Ziel ist eingebettet in die Gefahr der Orbanisierung, die Gefahr dieses Gefängnisses, das von der FPÖ skizziert wird. Zudem kommen die Angriffe auf die unabhängige Justiz und auf die unabhängige Medienlandschaft.

Kommen wir zur aktuellen Politik. Befinden wir uns am Vorabend einer neuen SPÖ/ÖVP-Regierung?
Fischer: Man muss mit einer gewissen Demut an diese Frage herangehen. Die Zeit, in der unser Parlament aus drei Parteien bestanden hat, ist vorbei. Erst recht ist die Zeit vorbei, wo die zwei stärksten Parteien 85, 90, 95 Prozent der Stimmen gehabt haben. Wir wissen heute nicht, wie viele Parteien im nächsten Parlament sein werden. Ich glaube, was wir jetzt tun können, ist kein Porzellan zu zerschlagen, Gesprächskanäle offenzuhalten, sich auf ein sachliches Regierungsprogramm vorzubereiten, damit man dann wirklich konkrete Verhandlungen führen kann. Ich teile auch den Standpunkt, dass sich die Freiheitliche Partei in einer Weise verhält, dass Sozialdemokraten gezwungen sind, auf Distanz zu einem Politiker wie Kickl zu gehen. Natürlich ist eine Regierung zwischen SPÖ und ÖVP möglich. Wenn man das ausschließt, bleibt wenig Tragfähiges übrig. Man sieht auch, dass sich SPÖ und ÖVP zuletzt bemüht haben, nicht allzu viel Porzellan zu zerschlagen.
Babler: Ich bin zuversichtlich, dass ich Verantwortung als Bundeskanzler übernehmen kann. Ich bin ich für stabile Varianten, wie immer die aussehen mögen. Wir haben eine gemeinsame Geschichte mit der ÖVP in den damaligen großen Koalitionen. Die ÖVP hat das aufgekündigt und hat beschlossen, Richtung rechts zu gehen. Und ich werde natürlich mit allen sprechen, auch mit vernünftigen Kräften in der ÖVP. Für uns ist klar, wir wollen Schwarz-Blau ein drittes Mal dem Land ersparen, aber das gelingt nur, wenn sie keine Mehrheit haben.

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Sozialdemokraten sind gezwungen, auf Distanz zu einem Politiker wie Herbert Kickl zu gehen.

Heinz Fischer über die FPÖ

Herr Fischer, irritiert es Sie als ehemaliger Bundespräsident nicht, dass eine Bierpartei, die keinerlei demokratische Arbeit bis jetzt geleistet hat, in den Umfragen gleichauf mit NEOS oder Grünen liegt?
Fischer: Das hat mit meiner früheren Funktion nichts zu tun. Die acht Prozent liegen noch nicht in den Wahlurnen. Aber eines ist tatsächlich ein europäisches Phänomen, dass der politische Kitt verschiedener Gruppen der Gesellschaft brüchiger und lockerer wird, was zur Zersplitterung führt. In Dänemark und manchen anderen Ländern gibt es noch deutlich mehr Parteien als in Österreich. Die sozialen Strukturen der Gesellschaft haben sich stark verändert. Die große Arbeiterklasse, eine breite Schicht von Bauern und das alte Bürgertum existiert in dieser Form nicht mehr. Umso mehr haben die großen Parteien die Verpflichtung, einen gemeinsamen Nenner zu suchen. Bei gutem Willen muss und wird es möglich sein, eine stabile Regierung mit einem Wertefundament nach den Wahlen zu bilden. Es ist unsere Pflicht als Demokraten, da beizutragen und das nicht zu sabotieren oder blockieren.

Der Anlass des Interviews ist 150 Jahre Sozialdemokratie. Sie haben viele Jahrzehnte der Republik miterlebt. Wer waren die prägendsten Kanzler der Zweiten Republik?
Fischer: Für mich gibt es vier historisch stark wirksame Bundeskanzler in der Zweiten Republik: Das sind Leopold Figl, Julius Raab, Kreisky und Franz Vranitzky. Ich spreche auch den anderen vollen Einsatz und Erfolge nicht ab, aber die vier halte ich für die wichtigsten unserer jüngeren Geschichte.

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