Praktisch unmöglich

Eine türkis-rote Regierung ist jetzt vom Tisch

Innenpolitik
04.10.2024 06:00

Die Auszählung aller Briefwahlstimmen hat keine Mandatsverschiebungen mehr gebracht. Türkis-Rot hätte nun eine Mehrheit von 92 Mandaten, das ist aber zum Regieren zu wenig. Wenn nicht FPÖ-ÖVP kommt, braucht es ein türkis-rot-pinkes „Zuckerl“.

Das Endergebnis der Nationalratswahl liegt nach Auszählung aller Briefwahlstimmen vor. ÖVP und SPÖ kommen gemeinsam genau auf 92 Mandate. Das ist eine Mehrheit, aber für eine stabile Koalition zu wenig.

Regieren mit einem Mandat Überhang ist quasi unmöglich. Damit ist die türkis-rote Option im Koalitionspoker keine echte. Der langjährige SPÖ-Klubobmann Josef Cap spricht es in der „Krone“ klar aus: „Das ist undenkbar. Da ist man jedem einzelnen Abgeordneten gegenüber erpressbar.“ Zudem: Auch Krankheitsfälle und sonstige Ausfälle würden eine Mehrheit im Parlament zunichtemachen.

Was macht jetzt Karl Nehammer? Dem ÖVP-Chef gehen langsam die Optionen aus. (Bild: APA/HANS KLAUS TECHT)
Was macht jetzt Karl Nehammer? Dem ÖVP-Chef gehen langsam die Optionen aus.

Es brauche mindestens drei oder vier Mandate Überhang. Was passieren kann, wenn die Regierung eine zu knappe Mehrheit hat, zeigt eine Abstimmung im Bundesrat im Vorjahr.

Bundesrat musste aus der Reha ins Parlament eilen
Im Juli 2023 wurde dort das ORF-Gesetz abgestimmt. Zwei Mandatare der türkis-grünen Koalition (31 Sitze) waren verhindert, eine Türkise lag in den Wehen, ein Grüner war auf Reha. Man hat sich darauf verlassen, die Abstimmung mit einem Mandat Überhang trotzdem durchzubringen, weil die FPÖ fälschlicherweise behauptet hat, dass eine ihrer Abgeordneten nicht kommen würde, was aber nicht gestimmt hat. Plötzlich hatte Türkis-Grün keine Mehrheit mehr, es stand 29 zu 29.

Der Grüne, Adi Gross, musste aus dem Rehazentrum in Niederösterreich ins Parlament eilen. Türkise und grüne Mandatare mussten „filibustern“ (lange Reden halten), um die Abstimmung zu verzögern, erzählt Gross im Gespräch mit der „Krone“. „Es hat dann doch drei Stunden gedauert, bis ich im Parlament war.“

Nicht nur solche Ausfälle sind bei einer knappen Mehrheit ein Problem. Es kommt immer wieder vor, dass einzelne Abgeordnete bestimmte Vorhaben entgegen der Parteilinie ablehnen. Wenn die Regierungsmehrheit nicht entsprechend abgesichert ist, kann jeder einzelne Abgeordnete die eigene Partei mit seiner Stimme „erpressen“.

ÖVP und SPÖ brauchen das „Zuckerl“
Donnerstagabend wurden die letzten Briefwahlstimmen ausgezählt. Es ging um rund 15 Prozent aller Briefwahlkarten beziehungsweise mehrere zehntausend Stimmen. Die Auszählung dauerte länger als gedacht und brachte nicht die erwartete Verschiebung eines Mandats von FPÖ zur ÖVP.

Türkise und Rote haben damit zusammen nur 92 Sitze. Das ist eine Mehrheit, die nur mit einer einzigen Stimme abgesichert ist. Eine türkis-rote Koalitionsvariante ist in Wahrheit damit nur theoretisch gegeben. Auf dieses Wagnis würde man sich nicht einlassen. Wenn die Volkspartei und die Sozialdemokraten regieren wollen, brauchen sie die NEOS oder die Grünen für eine „Zuckerlkoalition“.

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