Brandmauer gegen FPÖ

Nach 38 Jahren: Fällt Vranitzky-Doktrin der SPÖ?

Innenpolitik
29.11.2024 13:46

Während sich SPÖ-Bundesparteichef Andreas Babler als „Brandmauer gegen die FPÖ“ sieht, werden die Rufe nach Blau-Rot in der Steiermark immer lauter. Eine Gratwanderung für die Genossen, schließlich ist die Vranitzky-Doktrin von 1986, die eine Zusammenarbeit mit der FPÖ – zumindest auf Bundesebene – ausschließt – noch immer aufrecht. Doch mittlerweile hält selbst der Namensgeber diese Ausgrenzung für überholt. 

Der ehemalige SPÖ-Kanzler Franz Vranitzky (seine Ära dauerte von Juni 1986 bis Jänner 1997), Namensgeber der Vranitzky-Doktrin, sorgte unlängst in einem Interview mit dem „Standard“ für einen innenpolitischen Paukenschlag. Seiner Meinung nach sollen die roten Landesparteien über ihre Regierungsbündnisse autonom entscheiden dürfen. Dieser Meinung sei er auch schon in der Vergangenheit gewesen. 

1986: Der Beginn der Kanzlerschaft von Franz Vranitzky 8SPÖ) fiel zusammen mit jenem des blauen Aufstiegs von Jörg Haider. (Bild: APA)
1986: Der Beginn der Kanzlerschaft von Franz Vranitzky 8SPÖ) fiel zusammen mit jenem des blauen Aufstiegs von Jörg Haider.

Vranitzky über Doktrin: „Vieles ist heute nicht mehr anwendbar“ 
Also ist die Doktrin mittlerweile obsolet? „Vieles von damals ist heute nicht mehr anwendbar“, betonte Vranitzky. Damals seien die politischen Voraussetzungen andere gewesen, es sei in erster Linie um den damaligen FPÖ-Chef Jörg Haider und dessen teils rechtsextremen Ansichten gegangen.  Ob die SPÖ künftig auch auf Bundesebene mit den Blauen zusammenarbeiten sollen, blieb Vranitzky in dem Interview schuldig.

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 Damals hatte die SPÖ eine ausreichende Mehrheit und es ist um Jörg Haider gegangen, der sich nicht ausreichend vom nationalsozialistischen Gedankengut getrennt hat. 

Franz Vranitzky über die 1986 ins Leben gerufene Vranitzky-Doktrin

So oder so, Bablers rote Brandmauer gegen die FPÖ bröckelt immer mehr. So fordern immer mehr steirische SPÖ-Bürgermeister einen Pakt mit den Blauen auf Landesebene. „Manchmal ist ein Paradigmenwechsel nötig, auch wenn es weh“, sagte etwa Leobens Bürgermeister Kurt Wallner.

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Manchmal ist ein Paradigmenwechsel nötig, auch wenn es weh.

Leobens Bürgermeister Kurt Wallner (SPÖ)

SPÖ-Urgestein: „Vranitzky-Doktrin hat die Blauen groß gemacht“
Bereits unmittelbar nach der Nationalratswahl forderte SPÖ-Urgestein Hannes Androsch ein Umdenken innerhalb der Genossen im Umgang mit den Freiheitlichen. Ihm zufolge habe die Vranitzky-Doktrin die Blauen groß gemacht. Schon Alt-Kanzler Bruno Kreisky habe darüber gesagt, sie sei ein „schwerer historischer Fehler“. Denn die ÖVP habe stets zwei Möglichkeiten, die SPÖ nur eine. Seit den 1970er-Jahren habe die SPÖ fast 600.000 Mitglieder verloren, merkte Androsch an. Es müsse daher wieder eine „Aufwärtsbewegung“ geben. Gespräche mit allen Parteien seien wichtig, um „anstehende Herausforderungen zu besprechen“. Interessant: Androsch sprach sich auch gegen eine Koalition aus ÖVP, SPÖ und NEOS auf Bundesebene aus.

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Seit den 1970er-Jahren hat die SPÖ fast 600.000 Mitglieder verloren, merkte Androsch an. Es müsse daher wieder eine „Aufwärtsbewegung“ geben.

Hannes Androsch

Babler nun noch stärker unter Druck
Die lauten Rufe nach einer roten Annäherung in Richtung FPÖ bringen SPÖ-Bundeschef Andreas Babler unter Druck. Im Nationalratswahlkampf zeigte er immer wieder eine starke Kante gegenüber den Freiheitlichen. Als Repräsentant des linken Flügels in der SPÖ schloss er eine Zusammenarbeit mit der FPÖ auf Bundesebene aus ideologischen Gründen aus. Auch hinsichtlich eines möglichen blau-roten Bündnisses in der Steiermark wäre er „nicht glücklich“, er würde aber auch nicht intervenieren. Denn er habe kein Durchgriffsrecht, wie er in dieser Woche betonte. So werde er „die politische Willensbildung zur Kenntnis nehmen“. Dennoch ist es aktuell schwer vorstellbar, dass die Vranitzky-Doktrin unter Babler offiziell ausgelöst wird.

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Die SPÖ ist die Brandmauer gegen eine Regierungsbeteiligung der FPÖ. Ich lasse unsere Republik von Menschen wie Herbert Kickl und seiner Partei nicht zusammenschießen.

Andreas Babler im NR-Wahlkampf 2024

SPÖ-Wertekompass definiert Bedingungen
2017 wurde unter SPÖ-Kanzler Christian Kern übrigens ein Kriterienkatalog erarbeitet, der die Bedingungen für eine Zusammenarbeit mit der SPÖ klar definiert. Kerns Nachfolgerin Pamela Rendi-Wagner ersetzte diesen nur ein Jahr später durch den „Wertekompass“. Kategorisch ausgeschlossen wird eine mögliche Einigung mit der FPÖ nicht, sofern diese innerhalb des Wertekompasses bewege.

Aktuell warnt kein SPÖ-Schwergewicht so sehr vor der FPÖ wie Babler. Mit seiner Brandmauer gegen die Freiheitlichen erinnert er stark an den ehemaligen Wiener Bürgermeister Michael Häupl. Die FPÖ trage „Freiheit nur im Namen, mehr nicht“, betonte er beim Landesparteitag 2021. In Richtung jener Personen innerhalb der eigenen Partei, die meinten, man könne mit der FPÖ leichter, warnte Häupl eindringlich. Die FPÖ sei „noch schlimmer als man glaubt.“

Heiße Diskussionen im Netz
Auch in den Sozialen Medien wird die rote Ausgrenzungspolitik heiß diskutiert. So stellen rote Sympathisanten die Vranitzky-Doktrin in der Facebook-Gruppe „SPÖ Mitmachpartei: Gemeinsam für ein progressives Österreich“ infrage (siehe Posting unten).

(Bild: Screenshot/Facebook.com)

Im Vorjahr forderte FPÖ-Chef Herber Kickl, dass die SPÖ ihre Mitglieder über die Ausgrenzung der FPÖ befragen soll.

Sei‘s, wie es sei: Sollten SPÖ und FPÖ in der Steiermark tatsächlich zusammenfinden, wäre das ohnehin keine Premiere. Es gab zwischen 1983 und 1986 schon einmal eine rot-blaue Koalition auf Bundesebene unter Kanzler Fred Sinowatz. Dessen Nachfolger, Franz Vranitzky, beendete die Zusammenarbeit im September 1986, nachdem FPÖ-Chef Norbert Steger von Jörg Haider gestürzt worden war. Seither gilt in der SPÖ ebene die Vranitzky-Doktrin.

Seit Doktrin zwei rot-blaue Bündnisse auf Landesebene
Auf Landesebene kam es aber auch danach zu einer rot-blauen Zusammenarbeit. Kärntens SPÖ-Chef Peter Ambrozy ging 2004 als Juniorpartner eine Verbindung mit Jörg Haiders FPÖ ein. Die in der SPÖ heftig umstrittene Koalition wurde in den frühen Morgenstunden des 13. März in einem Klagenfurter Hotel mit italienischem Rotwein besiegelt, was ihr den Spitznamen „Chianti-Koalition“ eintrug. Sie hielt bis 2006.

(Bild: APA/Gert Eggenberger)

Fünf Jahre Rot-Blau im Burgenland
Zwischen 2015 und 2020 gab es eine rot-blaue Koalition im Burgenland. Auch diese Verbindung polarisierte. Beschlossen wurde sie vom damaligen Landeshauptmann Hans Niessl und FPÖ-Landeschef Hans Tschürtz, im Februar 2019 übergab Niessl an Hans Peter Doskozil. Für die Rot-Blau-Befürworter war die Koalition ein Musterbeispiel, die Linken in der Partei bekämpften sie.

Februar 2019: Doskozil-Handshake mit Koalitionspartner Johann Tschürtz (FPÖ) (Bild: APA/ROBERT JAEGER)
Februar 2019: Doskozil-Handshake mit Koalitionspartner Johann Tschürtz (FPÖ)

Seit 2020 regiert die SPÖ alleine, doch die Verhältnisse könnten sich bei der kommenden Landtagswahl im Jänner 2025 wieder ändern. Sollte die SPÖ die Absolute verlieren, scheint Rot-Blau zwischen Doskozil und dem ehemaligen Dritten Nationalratspräsidenten Norbert Hofer (FPÖ) sehr realistisch. 

Ideologische Grundsätze vs. Polit-Realität
Übrigens: Wie sehr ideologische Grundsätze von der politischen Realität eingeholt werden, zeigte die SPÖ Burgenland 2014. So brachte die Junge Generation damals einen Antrag ein, in dem die FPÖ als „rechtsextreme Partei“ bezeichnet wurde, auf die sich eine sozialdemokratische Partei „auf keinen Fall“ einlassen dürfe. Das sei ihre „antifaschistische Pflicht“. Dementsprechend fiel dann auch der Parteitagsbeschluss aus: „Die SPÖ spricht sich klar gegen eine Koalition mit der FPÖ auf allen politischen Ebenen aus.“ 2015 folgte dann eine rot-blaue Zusammenarbeit ...

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