Rien ne va plus! Was sich schon seit Tagen abgezeichnet hat, ist seit Mittwochnachmittag Realität: Die Koalitionsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP sind endgültig gescheitert. Zurück an den Start heißt es nun für Alexander Van der Bellen, der Bundespräsident will mit allen Parteichefs neue Gespräche führen, wie eine künftige Regierung aussehen soll. Fakt ist: Österreichs Innenpolitik liegt 136 Tage nach der Nationalratswahl in Trümmern.
Von Anfang an war die Regierungsbildung nach der Nationalratswahl am 29. September kompliziert. Zunächst erhielt Karl Nehammer als ÖVP-Chef den Auftrag zur Regierungsbildung.
Nach dem Scheitern der Gespräche zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS sowie dem Rücktritt Nehammers war Wahlsieger Herbert Kickl (FPÖ) an der Reihe. Fünf Wochen führten FPÖ und ÖVP Koalitionsverhandlungen. Zunächst sah es nach einer raschen Einigung aus, immerhin wurde schon Mitte Jänner ein gemeinsames Sparpaket in Höhe von rund 6,4 Milliarden Euro vorgestellt.
Blau-Schwarz: Nach Sparpaket-Einigung ging es nur noch bergab
Doch danach stotterte der blau-schwarze Verhandlungsmotor aber immer mehr. Für Verstimmungen bei der FPÖ sorgten etwa Aussagen von ÖVP-Chef Christian Stocker, der in einem medialen Hintergrundgespräch eine Kurskorrektur von den Freiheitlichen forderte. Für weiteren Zündstoff sorgte die von der FPÖ eingebrachte Forderung nach einer Bankenabgabe. In der Vorwoche kam es bekanntlich zu einer Unterbrechung der Verhandlungen, danach herrschte rund zwei Tage sogar komplette Funkstille zwischen den Verhandlungsspitzen.
Auch bezüglich Ressortaufteilung gab es wilde Streitereien. Kickl beharrte stets auf beide Ministerien: Finanzen und Inneres. Die ÖVP wiederum legten den Blauen ein Papier vor, wo gemeinsame Grundlinien des Regierens festgelegt werden sollten.
ÖVP attackierte FPÖ: „Machtrausch“
Aussagen von Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer dürften am Dienstag das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht haben. Der schwarze Verhandler attackierte die FPÖ scharf: „Österreich ist eine Demokratie, und da sind demokratische Grundprinzipien wichtig. Wer nicht konsensbereit ist und sich nur im Machtrausch befindet, der ist möglicherweise nicht regierungsfit.“ Ähnlich deutliche Worte richtete der Vorarlberger ÖVP-Landeshauptmann Markus Wallner an den FPÖ-Chef.
Als letzten Rettungsversuch wurden sowohl von FPÖ als auch von ÖVP am Mittwoch noch einmal neue Vorschläge zur Ressortaufteilung gemacht, die jeweils von der anderen Seite prompt abgelehnt wurden.
Kickl legte Auftrag zur Regierungsbildung zurück
Ein letztes persönliches Treffen zwischen Stocker und Kickl hatte am Mittwoch überhaupt nur auf Bitte Van der Bellens stattgefunden. Doch auch dieses dauerte weniger als eine Stunde und brachte keinen Durchbruch mehr. Kickl legte schließlich den Auftrag zur Regierungsbildung zurück, nachdem eine rechnerisch mögliche Koalition mit der SPÖ wegen inhaltlicher Differenzen ohnehin aussichtslos gewesen wäre.
Viereinhalb Monate sind seit der Nationalratswahl nun bereits vergangen – eine neue Regierung gibt es aber noch immer nicht.
Scheitern von Regierungsverhandlungen äußerst selten
Ein Scheitern von konkreten Regierungsverhandlungen war bisher äußerst selten. Die meisten der nach den bisher insgesamt 24 Nationalratswahlen der Zweiten Republik begonnenen Koalitionsverhandlungen wurden erfolgreich zu Ende geführt. Vor der aktuellen Serie gescheiterter Verhandlungen wurden erst dreimal Koalitionsverhandlungen erfolglos beendet – zuletzt 2002 jene zwischen ÖVP und Grünen.
Neuwahlen, Minderheitsregierung, Expertenregierung oder doch Koalition?
Wie geht's nun weiter? Van der Bellen will die möglichen Optionen ausloten. Er werde in den kommenden Tagen mit „Politikerinnen und Politikern“ – also wohl den Parteichefs – Gespräche führen, wie eine künftige Regierung aussehen soll, sagte Van der Bellen Mittwochabend. Präferenzen für eine der vier Optionen – er nannte Neuwahl, eine Minderheitsregierung unter Duldung des Parlaments, eine Expertenregierung oder doch noch eine Koalition mehrerer Parteien – zeigte er nicht. „Wie diese Regierung zusammengesetzt ist, hat für mich grundsätzlich keine Rolle zu spielen“, betonte der Bundespräsident, der in seiner Rede ein Plädoyer für die Suche nach Kompromissen hielt.
Kickl will rasche Neuwahlen
Einen Vorschlag von Kickl hat Van der Bellen bereits bekommen. Wie dieser in einer Pressekonferenz Mittwochabend kundtat, habe er dem Staatsoberhaupt empfohlen, rasch Neuwahlen einzuleiten. Er sei der Überzeugung, dass es so rasch wie möglich klare Verhältnisse brauche statt eines Patts. „Heute ist nicht alle Tage, ich komm’ wieder, keine Frage“, zitierte der Blaue den rosaroten Panther.
Stocker schließt Rücktritt aus
Am frühen Mittwochabend tagte online der ÖVP-Bundesparteivorstand. Einen Rücktritt als Bundesparteichef nach dem Scheitern der Koalitionsverhandlungen schloss Stocker aus, immerhin habe nicht er den Auftrag zur Regierungsbildung gehabt und sei auch nicht für deren Scheitern verantwortlich.
SPÖ, NEOS und Grüne offen für Gespräche
Sozialdemokraten, NEOS und Grüne haben sich unterdessen offen für Koalitionsgespräche gezeigt und auch die Unterstützung einer Expertenregierung nicht ausgeschlossen. Das Land brauche Stabilität, die budgetäre Lage stelle Österreich vor Herausforderungen, so SPÖ-Chef Andreas Babler. „Handlungsfähigkeit muss daher vor Stillstand, das Staatsinteresse vor dem Parteiinteresse stehen.“
Kogler wünscht sich neue ÖVP-SPÖ-Annäherung
Für NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger muss nun „rasch eine handlungsfähige Regierung“ gebildet werden, dabei müsse „jeder über seinen Schatten springen“. Offen für alle Varianten zeigte sich auch Grünen-Chef Werner Kogler. Er appellierte an ÖVP und SPÖ, sich wieder anzunähern, denn auch eine etwaige Expertenregierung würde eine Mehrheit dieser beiden Parteien brauchen. Auch nochmalige Dreierverhandlungen mit den NEOS würde Kogler unterstützen.
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