Erste Kern-Rede:

“Hoffnungen nähren, nicht Ängste und Sorgen”

Österreich
19.05.2016 13:37

Der neue Bundeskanzler und SPÖ-Chef Christian Kern hat am Donnerstag im Nationalrat seine Antrittsrede absolviert (siehe Video oben). Unter den Augen von Bundespräsident Heinz Fischer rief er zu einem "New Deal" auf. "Ab heute läuft der Countdown um die Herzen in diesem Land. Wir wollen Hoffnungen nähren und nicht Ängste und Sorgen", erteilte Kern dem "billigen Populismus" eine Absage. Gleichzeitig wolle er Stillstand und Vertrauensverlust bekämpfen. Vizekanzler Reinhold Mitterlehner versprach gute Zusammenarbeit.

Wie schon in seiner ersten Pressekonferenz sprach Kern vom Eindruck eines Stillstands und dem "Bedürfnis, dass durch unser Land ein Ruck geht, um Dinge zu verändern". Dem wolle er entsprechen, so der neue Kanzler, und versuchen, das Land "mit jeder Faser unseres Wollens" in die richtige Richtung zu bringen.

(Bild: APA/ROBERT JAEGER)
(Bild: APA/Herbert Pfarrhofer)

"Wer heute keine Visionen hat, braucht einen Arzt"
Um das zu erreichen, versprach er eine deutlich akzentuiertere Politik. Für das Handeln in der Vergangenheit hatte er erneut viel Kritik über. "Politischer Inhalt wurde durch taktischen Opportunismus ersetzt, und genau das ist es, womit wir brechen müssen", so Kern. Mut sei daher eine taktische Notwendigkeit, denn: "Menschen brennen nicht für Kompromisse, sie brennen für Grundsätze und Haltungen." Zwar seien Kompromisse wichtig, man solle das Denken aber nicht damit beginnen. Im Jahr 2016 müsse es heißen: "Wer heute keine Visionen hat, braucht einen Arzt", änderte Kern ein bekanntes Zitat vom verstorbenen deutschen Altkanzler Helmut Schmidt ab, welches oft fälschlicherweise dem ehemaligen SPÖ-Kanzler Franz Vranitzky zugeschrieben wird.

Eine Politik des Zukunftsglaubens müsse laut Kern der Hoffnungslosigkeit gegenübergestellt werden, Heimatverbundenheit dem Chauvinismus und der Hetze gegenüber Fremden. Für alle Kinder forderte er faire und gleiche Chancen, und eine Wohlstandsentwicklung sollte es nicht nur für eine kleine Minderheit geben. Die Flüchtlingsthematik wiederum müsse mit Respekt vor der Menschenwürde gelöst werden, ohne auf soziale und öffentliche Sicherheit zu vergessen. "Dieses Feld ist das ungeeignetste, um mit Symbolpolitik zu agieren."

Kern: "Dinge in die richtige Richtung bewegen"
Ihm sei bewusst, dass es eine hohe Erwartungshaltung ihm gegenüber gebe, sagte Kern. Das Land sei durch Lobbyismus und Föderalismus geprägt - und es sei nicht leicht, hier "einen Stein an die Spitze zu rollen". Es werde auch Enttäuschungen und Frust geben, aber er verspreche, "dass wir mit jeder Faser unseres Wollens versuchen werden, die Dinge in die richtige Richtung zu bewegen. Wenn wir scheitern, dann aus den richtigen Motiven", sagte der Kanzler.

(Bild: APA/ROBERT JAEGER)

Dank gab es von Kern für seinen Amtsvorgänger Werner Faymann, gleichzeitig versprach er eine stilistische Neuausrichtung. "Ich halte für sinnvoll, nicht gegenüber jedem Mikrofon eine Wortspende abzugeben." Man könne sich keine politische Führung leisten, die sich keine Zeit zum Nachdenken nehme.

Mitterlehner: "Auf gute Zusammenarbeit"
Mitterlehner nahm die Vorlage an. "Ich habe die Rede gehört. Ich will - ich glaube, unsere Seite will auch. Und wenn wir gemeinsam die Probleme angehen, sollten sich Anspruch und Wirklichkeit miteinander verbinden", sagte er. "Auf gute Zusammenarbeit, wir gehen die Sache an."

Der Vizekanzler warnte aber auch vor überhöhten Erwartungen. "Jedem Neuen wohnt natürlich ein Zauber inne, das habe ich selber erlebt." Allerdings: "Zauber heißt nicht Zauberkunststück." Außerdem sei Selbstkritik für die Vergangenheit für alle angebracht, auch für die Opposition. Faymann sei kein Einzelunternehmer gewesen, zudem sei in Zeiten der Wirtschaftskrise auch viel erreicht worden.

(Bild: APA/HERBERT PFARRHOFER)
(Bild: APA/ROBERT JAEGER)

Glawischnig: "Letzte Chance für die Regierung"
Einen großteils recht freundlichen Empfang im Nationalrat bescherte die Opposition dem neuen Bundeskanzler. Direkt an Kern gerichtet meinte Grünen-Chefin Eva Glawischnig, er habe sehr hohe Erwartungen geweckt. Diese zu erfüllen, sei wahrscheinlich auch "die letzte Chance für die Regierung". NEOS-Klubchef Strolz lobte einerseits Kerns Antrittsrede, andererseits wünschte er sich dennoch Neuwahlen, die angesichts des Unwillens der Koalitionsparteien, miteinander zu arbeiten, die besserer Variante gewesen wären. "Als Staatsbürger" wünschte sich Team-Stronach-Klubobmann Robert Lugar, dass Kern mit seinem Team erfolgreich sein wird. Seine Problemanalyse sei schon einmal treffend gewesen.

Grünen-Chefin Eva Glawischnig (Bild: APA/HERBERT PFARRHOFER)
Grünen-Chefin Eva Glawischnig

Strache: "Es sollten Neuwahlen erfolgen" 
Einzig FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache zeigte sich nach Kerns Rede ungnädig. "Zum x-ten Mal" begrüße man jetzt im Nationalrat neue Minister. "Wie oft noch?", fragte er. Ginge es nach ihm, wäre es mit Rot-Schwarz schnell vorbei: "In Wahrheit sollten demokratische Neuwahlen erfolgen." Dies gelte umso mehr, wenn man betrachte, was die Regierung in den vergangenen Jahren geschafft habe, nämlich die höchsten Schulden, Rekordarbeitslosigkeit und "unverantwortliche Willkommenskultur". Was Kerns "New Deal"-Ankündigung angeht, schnupperte Strache "heiße Luft". Er frage sich ohnehin, wann es nach dem roten Knittelfeld am Wiener Rathausplatz nun zur "Kernschmelze in der SPÖ" komme.

Heinz-Christian Strache (Bild: APA/Robert Jäger)
Heinz-Christian Strache

Kritik an Kern: Lopatka rudert zurück 
"Old School" befand SPÖ-Klubchef Andreas Schieder die Ausführungen seines freiheitlichen Kollegen. Bevor man Konzepte kenne, werde schon alles schlecht gemacht: "Die Politik-Verdrossenheit kommt davon." Für Lacher sorgte ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka, als er sich selbst quasi vom Saulus zum Paulus wandelte. Bezug nehmend auf seine kritischen Aussagen zu Kerns Tätigkeit bei ÖBB und Verbund meinte er: "Meine Äußerungen letzte Woche waren in die Vergangenheit gerichtet. Ich werde mich ab jetzt mit der Zukunft beschäftigen." Kern hatte Lopatka ja darauf mit einem Selbstmord-Attentäter in der Telefonzelle verglichen. Der Klubchef dazu: "Ich habe mich nie in einer Telefonzelle gesehen."

Sesselrücken durch Minister-Rochaden
Die von Kern durchgeführte Regierungsumbildung hatte zu Beginn der Sitzung auch für Sesselrücken gesorgt. Sowohl Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek als auch Verkehrsminister Gerald Klug nahmen nach ihrem Ausscheiden aus der Regierung ihr im Dezember 2013 zurückgelegtes Nationalratsmandat wieder an und wurden von Nationalratspräsidentin Doris Bures angelobt. Auch die abgelöste Staatssekretärin Sonja Steßl kehrte als Abgeordnete ins Hohe Haus zurück. Ihr Mandat verloren haben die Steirer Michael Ehmann und Klaus Uwe Feichtinger sowie der Niederösterreicher Hannes Fazekas, der erst seit September 2015 wieder dem Nationalrat angehört hatte.

Auch die am Mittwoch neu angelobten Regierungsmitglieder wurden am Donnerstag von Kern dem Nationalrat vorgestellt. Sonja Hammerschmid, bisher Rektorin der Veterinärmedizinischen Universität Wien, hat das Bildungsministerium übernommen, der bisherige steirische Verkehrslandesrat Jörg Leichtfried ist neuer Minister für Verkehr, Innovation und Technologie. Thomas Drozda, bisher Generaldirektor der Vereinigten Bühnen Wien, trat die Nachfolge von Josef Ostermayer als Kanzleramts- und Kulturminister an. Neu im Regierungsteam ist auch die bisherige Wiener Landtagsabgeordnete und ehemalige Bundesrätin Muna Duzdar, sie ersetzt Sonja Steßl als Staatsekretärin im Bundeskanzleramt.

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