Außenminister Sebastian Kurz hat seinen Vorschlag, Flüchtlinge gleich im Mittelmeer abzufangen und zurückzuschicken oder auf einer Insel zu internieren, verteidigt. "Schlepper dürfen nicht entscheiden, wer nach Europa durchkommt. Die Rettung aus dem Mittelmeer darf kein Ticket nach Mitteleuropa bedeuten", sagte Kurz am Montagabend in der "ZiB 2". Nach seinen Vorstellungen sollen die EU-Staaten ähnlich wie Australien mehr Flüchtlinge über Resettlement-Programme (Umsiedlung) aufnehmen. In Österreich "sind jedenfalls 10.000 bis 15.000 Menschen pro Jahr bewältigbar", so Kurz.
Der ÖVP-Politiker warnte davor, dass der Flüchtlingsstrom wieder zunehmen werde. "Was im letzten Jahr stattgefunden hat, war nur ein Vorgeschmack", sagte der Außenminister. So würde in Afrika jetzt schon eine Milliarde Menschen leben, in 20 Jahren werde mit zwei Milliarden und Ende des Jahrhunderts mit vier Milliarden gerechnet. "Daran sieht man, welches Potenzial in künftigen Flüchtlingsströmen steckt."
Kurz: "Flüchtlinge besser vor Ort versorgen"
Der Außenminister würde es zudem begrüßen, wenn Flüchtlinge "besser vor Ort" versorgt würden und in weiterer Folge nur eine gewisse Zahl legal über Resettlement-Programme nach Europa gebracht werden würde. Im Vorjahr habe Österreich 1500 Flüchtlinge über Resettlement aufgenommen, während 90.000 Menschen illegal gekommen seien. "Nur wir als Staat dürfen entscheiden, wer nach Europa kommt." Resettlement-Programme hätten demnach den Vorteil, dass man sich die Flüchtlinge aussuchen, sie gefahrlos ins Land bringen und auch die Integrationsmaßnahmen vorbereiten könne.
Die Kritik aus dem In- und Ausland an seinem Vorschlag sei "nur die halbe Wahrheit", so Kurz. Er sage nicht, dass die Unterbringung in Australien in Ordnung sei - Europa sollte diesbezüglich "wesentlich besser und menschlicher sein". Wahr sei aber auch, dass auf dem Weg nach Australien mittlerweile keine Flüchtlinge mehr ertrinken und viele legal ins Land gebracht würden. "Man sollte nicht den Fehler machen, zu glauben, dass unser System perfekt ist."
"Meine Position ist mit jener der Grünen vergleichbar"
Kurz sagte, dass er in der Flüchtlingsfrage mit SPÖ-Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil "stark auf einer Linie" sei. Dieser habe dem NATO-Generalsekretär in der Vorwoche ähnliche Vorschläge bezüglich Libyen gemacht. Zur Kritik, dass er "der beste Mann der FPÖ in der Regierung" sei, sagte Kurz, in puncto Resettlement und Entwicklungszusammenarbeit "ist meine Position eher mit der Position der Grünen zu vergleichen".
Der Darstellung, er gehöre einem Flügel in der ÖVP an, der nicht wolle, dass sich Kanzler Christian Kern profiliert, und deshalb versuche, Neuwahlen zu provozieren, trat Kurz entgegen. Er sehe die personelle Veränderung in der SPÖ als "große Chance" und hoffe, "dass wir sie gemeinsam nützen". Kern kenne er schon lange und habe ein "gutes Verhältnis" zu ihm.
Mitterlehner: "Es darf keine Denkverbote geben"
ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner stellte sich unterdessen hinter seinen Parteikollegen. "Solange das Problem nicht gelöst ist und der Schutz der Außengrenzen nicht funktioniert, darf es keine Denkverbote geben", sagte der Vizekanzler gegenüber dem "Standard". Mitterlehners Reaktion kam aber später und fiel zurückhaltender aus als jene von anderen ÖVP-Politikern. So hatte der Wiener ÖVP-Chef Gernot Blümel bereits am Sonntag seinem Vertrauten Kurz "vollkommen recht" gegeben, auch Generalsekretär Peter McDonald verteidigte Kurz gegen die Angriffe aus dem In- und Ausland.
"Würde Kurz am liebsten einen Fußtritt verpassen"
Der Bürgermeister von Lesbos, Spyros Galinos, hingegen würde Kurz "am liebsten einen Fußtritt verpassen". Der Vorschlag von Kurz sei "eine Kriegserklärung", sagte Galinos gegenüber der "Presse". "Wir werden es nicht zulassen, dass Lesbos ein zweites Alcatraz wird." Der konservative Politiker spielte damit auf die berüchtigte Gefängnisinsel vor der US-Westküstenstadt San Francisco an.
Hilfsorganisationen, SPÖ und EU-Kommission empört über Kurz
Auch Hilfsorganisationen, der Koalitionspartner SPÖ und die EU-Kommission griffen Kurz scharf an. "Das australische Modell ist kein Beispiel, dem die EU folgen sollte", sagte eine Kommissionssprecherin am Montag in Brüssel. Nach europäischem und internationalem Recht gelte der Grundsatz der Nichtzurückweisung von Asylsuchenden "und das wird sich nicht ändern". Am Dienstag äußerte sich auch der Vatikan kritisch: Der Vorschlag des Außenministers sei "menschenunwürdig", so der Präsident des päpstlichen Migrantenrats, Antonio Maria Veglio. Man dürfe das Recht auf Auswanderung nicht missachten.
Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl sagte, Kurz wolle nur "von der eigenen Untätigkeit" ablenken. Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser sieht mehr aufgeworfene Fragen als Lösungen. Julia Herr, die Vorsitzende der Sozialistischen Jugend, sagte: "Kurz hat jegliche menschenrechtliche Basis verlassen." Bundeskanzler Kern hat sich bisher nicht zu dem Vorschlag geäußert, den Kurz nach Angaben seines Sprechers am 20. Juni im EU-Außenministerrat vortragen will.
Der Plan von Kurz ist allerdings nicht ganz neu. Ex-ÖVP-Innenministerin Johanna Mikl-Leitner hatte schon vor einem Jahr die Einrichtung von UNHCR-Anlaufstellen für Flüchtlinge in Nordafrika sowie die Rückschiebung von im Mittelmeer geretteten Flüchtlingen dorthin gefordert, um die "Todesfahrten zu beenden". Der UNHCR hatte diesen Vorschlag damals schon zurückgewiesen: "Migranten einfach von Europa fernzuhalten, indem man sie irgendwo einsperrt, ist für uns nicht akzeptabel."
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