Spitzelvorwürfe gegen den türkischen Präsidenten, Betrugsanzeige in der Eurofighter-Affäre: Es war die Woche des Peter Pilz. Mit Conny Bischofberger spricht der grüne Aufdecker über sein geheimes Netzwerk, Spurensicherung, Polizeischutz und Selbstinszenierung.
Sein Büro im Grünen Klub sagt alles über ihn: Dominierend die silberglänzende Mailänder Espressomaschine "Magica". "Da hab' ich mir einmal was geleistet", seufzt Pilz und mahlt die Kaffeebohnen "Adelante aus Frauenhand, biologisch". Greift zum Glas mit den vergilbten Würfelzuckerpäckchen, auf denen steht: Peter Pilz ist süß! "Die stammen noch aus einem Wahlkampf", erinnert sich der 63-Jährige, "die Leut' haben's g'nommen, g'schaut und dann laut losgelacht. Dass ich süß bin, glaubt wirklich kein Mensch."
Der Schreibtisch voll mit Akten, die er in einem blauen, abgewetzten Liegestuhl studiert. Drei Drahtsessel, ein schwarzer für ihn, zwei rote für Besucher. An der Wand Bilder aus der Zeit des großen Umbruchs in Russland. Im Riesen-Aquarium schwimmt nur noch ein Taucher aus Plastik und ein einsamer Spielzeugfisch. "Da waren früher echte Piranhas drin, aber immer, wenn ich in die Steiermark gefahren bin, ist die Pumpe ausgefallen und sie sind gestorben." Wenn "Pezi", wie ihn Freunde nennen dürfen, vom Leben abseits der Politik erzählt, dann ist immer was Spitzbübisches in seinem Blick. Und selbst wenn es um ganz ernste Themen geht, halten sich hartnäckig ein paar Lachfältchen um seine Augen. Eine halbe Stunde nach unserem Gespräch fliegt Pilz nach Berlin, um dort gemeinsam mit den deutschen Grünen weitere Geheimdokumente zur Spitzelaffäre der Türkei zu präsentieren. Letzte Station seiner Reise wird das europäische Parlament in Brüssel sein.
"Krone": Herr Pilz, könnte es sein, dass wir hier abgehört werden?
Peter Pilz: Könnte sein. Ist mir aber nur recht. Sollte also irgendwo hier ein türkisches Mikrofon hängen, dann sage ich jetzt laut und deutlich: "Schönen Gruß an Erdogan, er soll gut zuhören! Wir werden ihm zeigen, dass er gegen den europäischen Rechtsstaat keine Chance hat."
Sie sind wieder einmal in Ihrem Element. Warum legen Sie sich mit Präsident Erdogan an?
Wenn ich mich nicht mit ihm anlege, dann tut es in der österreichischen Politik niemand. Und wir müssen diese Republik schützen vor türkischen Verhältnissen. Wir müssen auch unsere friedlichen Türken vor Erdogan schützen. Er versucht, sie zu instrumentalisieren, Türken und Kurden gegeneinander aufzuhetzen, auch Türken gegen Altösterreicher, so wie mich. Ich will eine friedliche Republik.
Wie viel Prozent der österreichischen Türken sind friedlich?
Da gibt es eine einfache Rechnung. 2014, bei den türkischen Parlamentswahlen, hat Erdogan in Österreich und auch in Deutschland massiv mobilisiert. 91 Prozent unserer Türken sind zu Hause geblieben und haben ihm was gepfiffen! Und von den restlichen neun Prozent haben ihn nicht einmal alle gewählt. Von diesen neun Prozent ist ein ganz kleiner Prozentsatz wirklich fanatisch auf seiner Seite. Als Erdogan feststellen musste, dass die große Mehrheit der Türken in Österreich und in Deutschland ihm nicht folgt, hat er seine Strategie geändert und seine ergebensten Leute losgeschickt. Die spitzeln, denunzieren und destabilisieren nun.
Können Sie das beweisen?
Natürlich. Ich besitze geheime Botschaftsdokumente aus 35 Staaten. In 35 Ländern von Belgien bis Australien ist dasselbe passiert wie in Österreich. Erdogan erteilt über seine Religionsbehörde in Ankara den Spitzelauftrag. Dieser Auftrag ergeht an die Botschaften. Dann gehen Spitzel in Kaffeehäuser und Vereine und hören bei Gesprächen zu. Was sie hören, wird über die Botschaft wieder nach Ankara gemeldet. Wir haben jetzt die ersten Fälle, wo Österreicher mit türkischen Wurzeln ihre Verwandten besuchen und noch vor der Passkontrolle in Istanbul verhaftet werden, weil sie angeblich den türkischen Präsidenten in einem österreichischen Kaffeehaus beleidigt haben. Der Außenminister hat es bestätigt. Der Bundeskanzler ist jetzt der Erste in der Regierung, der was tut. Es wäre schön, wenn auch der Innenminister endlich aufwacht. Aber der ist dermaßen mit Privatflügen auf Staatskosten beschäftigt, dass er sich offensichtlich nicht um den Erdogan-Terror kümmern kann.
Der türkische Religions-Attaché wird am Sonntag Österreich verlassen. Ihr Verdienst?
Freiwillig geht er, glaube ich, nicht. Er ist der erste auf einer langen Liste türkischer Staatsspitzel.
Wie lange haben Sie an der Spionage-Affäre recherchiert?
Ein knappes Jahr.
War das eine konzertierte Aktion mit Deutschland?
Natürlich. Aber ich arbeite schon so lange im Bereich heikler Recherchen, dass ich vielleicht einige Quellen - auch international - habe, die meine deutschen Freunde nicht haben, und deswegen unterstütze ich sie im Bundestag auch mit meinen Recherchen.
Wie schützen Sie eigentlich diese heiklen Daten?
Da hat keiner eine Chance, auch nur irgendwie ranzukommen.
Aber Sie werden doch sicher gehackt?
Ich habe einen externen Speicher, den man nicht online angreifen und so auch nicht hacken kann. Diese Datenträger sind nicht mit meinem Computer verbunden. Und in einer Cloud habe ich mich in meinem ganzen Leben noch keine Sekunde aufgehalten.
Und wenn jemand einbrechen würde?
Kriegt er nichts! Alle Daten sind an einem Ort, wo nicht einmal eine beinhart fragende "Krone"-Reporterin draufkommen kann. (Grinst.)
Den Eurofighter-Deal haben Sie einmal als größten Korruptions- und Kriminalfall der Republik bezeichnet. Und schon vor Jahren gefordert, dass Österreich sich das Geld zurückholen soll. Spüren Sie jetzt Genugtuung?
Ja. Wer in Österreich Politiker und Militärs kauft, dem erteilen wir jetzt eine klare Lektion. Rüstungskonzerne, die sich auf das Glatteis der Korruption begeben, laufen nicht nur Gefahr, dass ihre Manager ins Gefängnis gehen, sondern gefährden die wirtschaftliche Existenz des Unternehmens. Weil Verteidigungsminister Doskozil jetzt ein amerikanisches Anwaltsbüro einschaltet, kann das zur Folge haben, dass Airbus für den amerikanischen Markt gesperrt wird. Dann wird es eng für Airbus.
Österreich hat jetzt Betrugsanzeige erstattet. Warum hat das so lange gedauert?
Erstens, weil die Arbeit des Staatsanwaltes sehr, sehr schwierig ist. Versuchen Sie einmal, eine britische Briefkastenfirma auf den Kanalinseln zu öffnen. Das ist ein jahrelanger Rechtsstreit, den unser Staatsanwalt jedes Mal neu führen und gewinnen muss. Zweitens, weil Sie dazu einen ordentlichen Minister brauchen. Aber drittens auch, weil der Justizminister unsere Staatsanwälte im Stich lässt. Der Eurofighter-Staatsanwalt ist ganz allein - und hat noch etliche andere große Fälle am Tisch. In München arbeiten mindestens acht Staatsanwälte an so einem Fall.
Waren Klug oder Darabos keine ordentlichen Verteidigungsminister?
Alles zwischen Platter und Doskozil ist komplett zum Vergessen.
Total desaster?
(Pilz gefällt der Trump-Einwurf, er steigt sofort darauf ein.) Total desaster! No good people. In fact very bad. (Lacht.)
Haben Sie eigentlich gar keine Angst, dass Ihnen etwas passieren könnte?
Angst habe ich noch nie gehabt, sonst könnte ich das nicht machen.
Aber sind Sie vorsichtig?
Ja. Ich kenne die geheimdienstlichen Kulturen gut genug, um zu wissen, was riskant ist und was nicht. Wären meine Eltern Türken, dann wäre das, was ich jetzt tu, mitten in Wien, wesentlich gefährlicher. So bin ich ein geborener Obersteirer, und damit meldet der türkische Präsident zum Glück keine Ansprüche auf mich an.
Trotzdem tauchen bei jeder Ihrer Pressekonferenzen jede Menge Polizisten auf. Warum?
Mich hat das auch gewundert: Der Innenminister tut nichts gegen das Erdogan-Netzwerk, aber ist offensichtlich der Meinung, meine Pressekonferenzen seien so gefährdet, dass er gleich 30 Uniformein. Mein Body braucht keinen Guard.
Peter Pilz, das ist auch ein Synonym für einen lästigen, unbestechlichen, gnadenlosen Aufdecker. Was treibt Sie da an?
Das hat eine Geschichte. Ich bin von meinen Eltern vor allem zu Anständigkeit erzogen worden. Anständig sein heißt, dass man nicht in Steuertöpfe greift, dass man sich nicht bereichert, dass man die gemeinsamen Regeln beachtet, dass man den Rechtsstaat ernst nimmt. Wenn Politiker gewählt werden, dann müssen sich die Menschen darauf verlassen können, dass sie ihre Ämter nicht missbrauchen. Als ich ins Parlament gekommen bin, wollte ich mich um ganz andere Themen kümmern. Dann kam der Lucona-Untersuchungsausschuss. Ich war fassungslos und dachte mir: "Solche Minister, solche Regierungsmitglieder, solche Gerichtspräsidenten darf es einfach nicht geben."
Aber es gibt sie immer noch.
Ich bin jetzt seit über 30 Jahren Abgeordneter und habe inzwischen viele Verbündete. Der Kampf gegen Korruption hört nie auf. Aber zum ersten Mal in unserer Geschichte sind wir, die eine bessere Republik schaffen wollen, eine Politik, der die Menschen vertrauen können, die Stärkeren und nicht die Schwächeren.
Haben Sie mit den Jahren eine Art selektive Wahrnehmung entwickelt? Sie sehen doch überall das Böse …?
Also in den letzten Jahren habe ich mindestens so viele Herrenpilze und Forellen und Hirsche gesehen wie Korruptionisten.
Ist der Bauernhof in der Steiermark für Sie der Platz, an dem die Welt in Ordnung ist?
Absolut. Sobald ich auf die Alm komme, macht es "klick" und ich bin in einem anderen Leben. Ohne diese schöne Welt, in der ich mich wohlfühle, in der es mir gut geht, könnte ich meine Arbeit nicht machen.
"Spürhund der Nation": Hören Sie so was gern?
Ich hab's nicht so mit den Tiervergleichen. Wenn, dann wäre ich eher ein Bär.
Wie viel Selbstinszenierung ist dabei?
Die Politik ist eine Bühne, und wenn man sich dort nicht wohlfühlt, dann soll man nicht in die Politik gehen. Und natürlich ist auch Eitelkeit dabei. Das einzige Gegengift gegen unsere naturgegebene Eitelkeit als Politiker ist Selbstironie. Und die ist bei mir ziemlich ausgeprägt.
Wann zuletzt über sich selber gelacht?
Heute in der Früh. Ich schau' manchmal in den Spiegel und denke mir: "Na, geh bitte!" Und dann muss ich laut lachen.
Sie waren zwei Jahre lang Bundessprecher der Grünen. Wollen Sie noch was werden?
Schon, aber das hat alles nichts mit Politik zu tun ... Abgeordneter ist etwas, was ich kann und was ich sehr gerne mache. Ich glaube, ich wäre kein glücklicher Minister, und aus den zwei Jahren Parteichef weiß ich, dass ich dafür vollkommen ungeeignet bin.
Würden Sie den Innenminister in einer rot-grünen Regierung ablehnen?
Vielleicht wäre ich ein guter Innenminister, aber ich reiße mich nicht drum. Ich würde es wahrscheinlich ablehnen. Weil ich im Parlament zu Hause bin.
Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit, dass Grün in der nächsten Regierung an Bord ist?
Das hängt von uns ab. Wir müssen und können noch wesentlich besser werden.
Mit Eva Glawischnig an der Spitze?
Es ist kein Geheimnis, dass wir im letzten Jahr Differenzen hatten. Aber wir haben uns ausgesprochen. Ich sehe zu ihr keine Alternative.
Das klingt nicht wie ein Kompliment.
Ich führe keine Personaldebatten. Einige von uns haben in der Vergangenheit immer wieder Personaldebatten öffentlich geführt. Wenn Sie die Archive durchschauen, werden Sie feststellen, dass ich mich daran nie beteiligt habe.
Ihnen wurde innerhalb Ihrer Partei oft der Vorwurf gemacht, zu weit rechts zu stehen. Ärgert Sie das?
Ich bin der linke Rechts-außen und der rechte Links-außen der Grünen. (Lacht.) Ich glaube, ich bin an geraden Tagen rechts-links und an ungeraden eher links-rechts. Oder umgekehrt? (Lacht wieder.)
Wie oft spielen Sie eigentlich noch in Ihrer Band?
"Prinz Pezi und die Staatssekretäre": Jetzt sind wir schon länger nicht mehr aufgetreten. Aber es gibt neues Liedgut. Unser Projekt heißt "Lasso-Brüder". Da singen wir die deutschen Cowboy-Lieder der 50er- und 60er-Jahre. "Siebentausend Rinder. Kinder, Kinder, Kinder, im Sommer und im Winter, immerzu, lauter Ochs, lauter Kuh." Das darf nicht in Vergessenheit geraten, das muss man unbedingt wieder singen.
An diesem Sonntag wäre Falco 60 geworden. Haben Sie eine Erinnerung an ihn?
"Drah di net um! Der Kommissar geht um!" Das war die Musik für die wildeste Silvesterfeier meines Lebens. Ich würde ja so gerne erzählen, was wir da alles für einen Blödsinn gemacht haben, aber es geht nicht. Alle würden sich auf den Kopf greifen und sagen: "Man traut dem Pilz ja vieles zu, aber das hätten wir ihm doch nicht zugetraut."
Seine Karriere
Geboren am 22. Jänner 1954 in Kapfenberg. Pilz studiert Volkswissenschaft und arbeitet nach dem Zivildienst als Autor und Sozialwissenschaftler. 1986 geht er in die Politik und ist seither Grün-Abgeordneter im Parlament (unter anderem bei den Untersuchungsausschüssen Lucona, Noricum und Eurofighter). Bundessprecher der Grünen Alternative von 1992 bis 1994. Privat ist Pilz seit 33 Jahren mit Gudrun verheiratet und spielt in der Band "Prinz Pezi und die Staatssekretäre".
Conny Bischofberger, Kronen Zeitung
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