Die Chefin der Wiener Grünen, Verkehrsstadträtin Birgit Hebein, sieht keine Chance für eine türkis-grüne Regierung nach der Nationalratswahl. „Ich kann mir im Augenblick mit dieser Kurz-ÖVP keine Koalition vorstellen“, sagt sie. Die Citymaut hält sie indes weiterhin für die beste Lösung gegen den Pendlerverkehr und beim Klimaschutz will sie mit Länderkollegen Druck auf den Bund machen.
Was die Regierungsbildung nach der Wahl anbelangt, sollten die Grünen mit der ÖVP - falls rein rechnerisch überhaupt eine Zusammenarbeit möglich wäre - durchaus eine etwaige Einladung zu Sondierungsgesprächen annehmen. Das sei „eine Frage der Vernunft“, findet Hebein. Aber: „Ob ich eine Koalition befürworten würde? Nein. Ob ich es als realistisch ansehen würde? Nein. Ich habe keine Vorstellung, wie Türkis und Grün zusammenkommen könnten - weder beim Klimaschutz noch bei der Rechtsstaatlichkeit noch bei der Kinderarmut“, verweist sie in letzterem Punkt auf Kürzungen bei der Mindestsicherung unter Türkis-Blau. Sie sei sich auch nicht sicher, ob es die christlich-soziale ÖVP überhaupt noch gebe. „Herr (Ex-Kanzler und ÖVP-Chef Sebastian, Anm.) Kurz ist es nicht.“
„Viel Rückenwind“ für Grüne
Und wie sähe es mit einer Dreierkoalition von SPÖ, Grünen und NEOS aus? „Mein Ziel ist natürlich schon die Bündelung der progressiven Kräfte in diesem Land. Aber das Wesentliche für mich ist, dass wir Grünen den Einzug in den Nationalrat wieder schaffen. Wir starten bei 3,8 Prozent und ich misstraue Umfragen“, so Hebein. Innerhalb der Rathaus-Partei sieht die Vizebürgermeisterin, die auch Stadträtin für Verkehr, Stadtplanung und Klimaschutz ist, jedenfalls eine „anhaltend gute Stimmung“: „Wir erfahren seit der EU-Wahl viel Rückenwind und noch immer kommen viele neue Menschen, die mitmachen wollen.“
Nicht allzu glücklich ist Hebein über den laufenden Wahlkampf aber insofern, als dieser dringende Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawandel verzögere: „Der Wahlkampf bremst. Wo sind die Krisensitzungen im Bund? Wo ist der Energie- und Klimaplan, den wir bis Ende des Jahres an die EU übermitteln müssen? Überall sind Überschriften, aber die Bevölkerung verlangt zu Recht, dass gehandelt wird.“
Hebein für „ökosoziale Steuerreform“
Deshalb lädt Hebein am 13. September zu einer außerordentlichen Länderkonferenz der Klimaschutzreferenten ins Wiener Rathaus, wie sie ankündigt. „Es geht darum, von der Bundesregierung Maßnahmen einzufordern“, so die Wiener Grünen-Chefin. Diskutieren will sie mit den Länderkollegen auch eine „ökosoziale Steuerreform“: „Ich halte es für entscheidend, dass einerseits Haushalte entlastet werden - da gibt es verschiedene Modelle - und andererseits Klimasünder besteuert werden.“ Eine zusätzliche Steuer solle das aber nicht sein, sondern eine aufkommensneutrale Umverteilung.
Was ihre bisherige Arbeit als Ressortchefin, die sie vor gut zwei Monaten begonnen hat, anbelangt, zieht Hebein eine durchaus positive Bilanz. Sie erwähnt die Klimaschutzgebiete, wo nur noch Wohnungen ohne fossile Energieversorgung gebaut werden dürfen, die Erstellung der Wiener Hitzekarte, das Acht-Millionen-Klima-Sonderbudget vorrangig für Baumpflanzungen und die temporär in drei Bezirken eingerichteten „coolen Straßen“ mit Rollrasen auf Parkplätzen und Wassersprühnebeln. „Es taugt mir ungemein, was die Anrainer daraus gemacht haben - von Hochzeitsfotos über Frühstück bis Theaterspielen“, freut sich Hebein über das positive Echo - auch von vielen anderen Bezirken, wie sie versichert: „Alle wollen das haben.“ Wie es damit im nächsten Sommer konkret weitergeht, werde nach der Evaluierung des Projekts feststehen, die demnächst präsentiert werde.
Skepsis gegenüber eigenem Klimaschutzressort
Die Frage nach einem eigenen Klimaschutzressort in Wien sieht die Stadträtin etwas skeptisch. Es würde zwar nicht schaden - aber: „Früher hat man z. B. Frauenthemen immer an das Frauenministerium delegiert und alle anderen haben sich zurückgelehnt. Beim Klimaschutz dürfen wir nicht an Ressort- oder Parteigrenzen Schluss machen, weil das stemmen wir nur gemeinsam - mit der Zivilbevölkerung.“
Noch „keine bessere Alternative“ zur Citymaut
Aufs Tempo drücken will Hebein auch beim Thema Verkehr. Für den 3. Oktober - kurz nach der Nationalratswahl - hat sie deshalb zu einem Mobilitätsgipfel geladen: „Alle wissen, dass es mit dem Verkehr nicht mehr so weitergehen kann. Es braucht Antworten auf die Pendlerfrage. 200.000 Menschen strömen täglich nach Wien. Der öffentliche Raum ist ein kostbares Gut und er ist ungleich verteilt. Ich will auch dieses Bild durchbrechen: da der Autofahrer, dort die Menschen.“
Ob in der Pendlerfrage ein Weg an der Citymaut, der auch die SPÖ skeptisch gegenübersteht, vorbeiführe? „Noch kenne ich keine besseren Alternativen. Wenn es die gibt: her damit. 200.000 Menschen brauchen aber auch Alternativen, um in die Arbeit zu kommen. Da brauchen wir auch Niederösterreich und das Burgenland dazu, um Zugverbindungen auszubauen oder ein Umlandticket (Ausweitung der Wiener Kernzone, Anm.) zu schaffen.“
Auslöser für den Gipfel war ein Vorstoß von Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), der eine Parkpickerlreform in Richtung Individualisierung statt starrer Bezirksgrenzen aufs Tapet brachte. Gefragt danach, ob das nicht eher zu mehr Autofahrten innerhalb Wiens führen würde, meint Hebein: „Ich kenne nur diese Überschrift und kein konkretes Konzept. Aber jeder ernst gemeinte klimaschonende Vorschlag wird berücksichtigt.“
Ruf nach mehr öffentlichem Verkehr
Als strikte Pkw-Gegnerin will sich die Grüne aber nicht verstanden wissen: „Mir ist der Baum wichtiger als das Auto und mir ist vor allem der Mensch wichtiger als das Auto. Aber es kommt für mich überhaupt nicht infrage, Leuten vorzuschreiben, was sie zu tun haben - schon gar nicht meinem Nachbarn, der um 4 Uhr in der Früh in einen Außenbezirk mit dem Auto in die ,Hacke‘ fährt. Ich habe die Aufgabe, dazu beizutragen, dass es Alternativen gibt. Die Außenbezirke brauchen mehr öffentlichen Verkehr.“
„Nachschärfen“ bei Regeln für E-Scooter
Strenger will die Ressortchefin jedenfalls bei den viel diskutierten E-Scootern sein. „Wir werden sicher nachschärfen“, kündigt sie an. Sie warte aber noch Evaluierungsergebnisse ab, die noch im September vorliegen werden. Jedenfalls gebe es viel Unmut: „Es gibt das große Problem, dass sie überall im Weg stehen oder dass sich alte Menschen erschrecken, wenn die Scooter vorbeirasen.“
Streitthemen Michaelerplatz und Praterstraße
Bei anstehenden Umgestaltungsvorhaben wie der Praterstraße oder dem Michaelerplatz will sich Hebein noch nicht in die Karten schauen lassen. In beiden Fällen werde es aber bald Neuigkeiten geben. Zum Michaelerplatz sagt sie: „Es gab schon einen konkreten Plan. Den habe ich stoppen lassen und noch einmal zurückgeschickt, um klimataugliche Maßnahmen zu berücksichtigen.“ Für die Fiaker, die im Zuge der Debatte um ihre Standplätze fürchteten, soll es eine Lösung geben. Die Ausgrabungen bleiben.
Hebein kann sich Rot-Grün in Wien „gut vorstellen“
Im kommenden Jahr steht die Wien-Wahl an. Geht es nach Hebein, wird erst im Herbst und nicht im Frühjahr gewählt. Ob die Grünen im Vorfeld aktiv für eine Fortsetzung der Koalition mit der SPÖ werben werden? „Ich kann mir Rot-Grün nach der Wahl gut vorstellen. Aber da haben die Wählerinnen und Wähler ein gehöriges Wort mitzureden.“
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