Sebastian Kurz ist mit der Volkspartei strahlender Sieger der Nationalratswahl, die Grünen haben ihren Stimmenanteil beinahe vervierfacht, auch die NEOS sind im Plus, die SPÖ liegt auf einem historischen Tief, Pilz ist draußen, und die FPÖ stürzte ab. Drei durften jubeln, drei gingen baden. Wie geht es jetzt weiter?
Der Wahltag (hier im großen krone.at-Live-Überblick zum Nachlesen) brachte einen ganz großen, einen großen und einen kleinen Sieger auf der einen Seite und drei Parteien, die kräftig bis dramatisch verloren, auf der anderen. Es waren zwar tendenziell die erwarteten Ergebnisse, in ihrer Ausprägung aber doch weit zugespitzter als vorausgesagt: Von einem Sieg von Sebastian Kurz und der ÖVP war man ausgegangen - mit 37 Prozent und dem bei Weitem größten Abstand auf den Zweiten in der Zweiten Republik hatte aber kaum jemand gerechnet.
Historisch auch das Ergebnis der Sozialdemokraten: Mit einem Minus von fünf Prozent stürzten sie auf weniger als 22 Prozent - mit Abstand so wenig wie noch nie. Aber immerhin sicherten sie sich damit Platz zwei. Denn die Freiheitlichen verloren deutlich dramatischer als vorhergesagt. Waren sie eine Woche vor der Wahl und vor dem Bekanntwerden der Spesenaffäre von Heinz-Christian Strache in den Umfragen noch um die 20 Prozent gelegen, so stürzten sie letztlich auf 16 Prozent - das schlechteste Ergebnis seit den Zeiten von Knittelfeld und Parteispaltung.
FPÖ nur zwei Prozent vor den Grünen
Womit die Freiheitlichen nur zwei Prozent vor jener Partei liegen, die 2017 mit verheerenden 3,8 Prozent aus dem Nationalrat geflogen war. 14 Prozent - damit steht Grünen-Chef Werner Kogler als strahlender zweiter Sieger neben Sebastian Kurz. Tut er das womöglich auch bald als Vizekanzler?
Keine Rolle in den Koalitionsverhandlungen spielen werden dagegen die NEOS, die immerhin ein Plus von 2,5 Prozent beklatschen. Die erwartete Klatsche setzte es dagegen für Peter Pilz: Raus aus dem Parlament!
Eindeutige Wahl, aber Hürden bleiben
Was bleibt, ist die große Frage, wie es mit Österreich jetzt weitergeht. Den neben dem doch recht extrem ausgefallenen Ergebnis brachte die Wahl auch andere Überraschungen. Etwa: Die Erkenntnis, dass die Handtasche mehr Gewicht hat als Ibiza. Soll heißen: Die Spesenaffäre rund um den ehemaligen Vizekanzler und seine Frau Philippa hat den Freiheitlichen mehr geschadet als der Ibiza-Skandal. Dass jemand, der sich stets als Vertreter des sogenannten kleinen Mannes bezeichnet, mit Geld um sich wirft, verzeihen die blauen Wähler ganz offensichtlich nicht.
Entsprechend realistisch waren die ersten Einschätzungen der Partei, die knapp zehn Prozent verloren hat: Dies sei kein Regierungsauftrag, die Geschichte sei erledigt. Vielmehr brauche es nun einen Neustart, man wolle die „internen Kontrollregeln“ neu aufstellen, um Wählervertrauen zurückzugewinnen, so die FPÖ.
Keine personellen Konsequenzen?
Ebenfalls nichts schönreden kann die SPÖ. Anders als nach der ebenfalls wenig ruhmreichen EU-Wahl versuchten das die Roten auch erst gar nicht. Auffällig war jedoch, wie zahlreiche Parteigranden sofort ausrückten, um zu betonen, dass es keine Obfrau-Debatte und keine personellen Konsequenzen gebe. Meist ist dies ein Indiz dafür, dass solch eine Diskussion schon längst im Gange ist.
Die NEOS sind zwar mehr als zufrieden mit dem Ergebnis. Der pinke Wermutstropfen: Aus der Regierungsbeteiligung wird nichts. Gar nicht genug jubeln können allerdings die Grünen: von null auf das historisch beste Ergebnis. An Werner Kogler wird es liegen, ob der grüne Aufstieg bis in die Regierung führt. Am Sonntag wollte Kogler sich jedoch nur freuen und nicht über mögliche Kompromisse, die er wird eingehen müssen, wenn er Vizekanzler werden will, reden.
„Ich werde mit allen Gespräche führen“
Doch was sagt nun der große Wahlsieger? ÖVP-Chef Sebastian Kurz fehlen zwar nicht die Worte, aber bei einem Blick in die Zukunft erweist er sich als schwieriger Gesprächspartner.
„Krone“: Herr Kurz, Sie haben vor der Wahl stets tiefgestapelt. War alles nur Taktik?
Sebastian Kurz: Ich bin einfach nur überwältigt von dem Ergebnis und fast schon sprachlos. So ein Resultat mit so vielen Superlativen haben wir nicht erwartet, nicht erwarten können. Wir sind heute nur sehr dankbar und demütig.
Die Frage, die nun ganz Österreich interessiert, lautet: Wie geht es weiter? Das Ergebnis der Wahl kann wohl nicht als Auftrag an die Fortführung der türkis-blauen Regierung gesehen werden.
Jetzt geht der volle Fokus auf Österreich, jetzt steht das Land im Mittelpunkt. Ich werde nun das machen, was ich versprochen habe, nämlich mit allen Gespräche führen. Wir sollten nun alle respektvoll miteinander umgehen.
Versuchen wir es noch einmal mit einer Frage nach der künftigen Koalition. Wie froh sind Sie denn, dass sich jetzt auch Türkis-Grün ausgeht und keine Dreierkoalition notwendig ist?
Ich kann derzeit nur sagen, dass wir mit allen Parteien reden.
Sie haben vor der Wahl und auch nach den ersten Hochrechnungen gesagt, dass Sie eine Mitte-rechts-Politik wollen. Ist das eine Absage an eine Zusammenarbeit mit den Grünen, oder wie sollte sich das mit Werner Kogler ausgehen?
Ich bleibe bei dem, was ich vor der Wahl versprochen habe, und werde meinen Kurs beibehalten.
Ein Blick hinter die Kulissen
Offiziell will man sich also noch nicht äußern - vielleicht gibt ein Blick hinter die Parteikulissen mehr Aufschluss.
Sonntag kurz nach 17 Uhr in einem Wohnzimmer in Wien-Meidling. Zwar wurde aufgrund seit Stunden durchsickernder Sprengelergebnisse längst mit den ersten Bieren des Abends angestoßen, nun aber hat das Grüppchen chic gekleideter Leute zwischen 30 und 40 Gewissheit: Sie haben gewonnen, wieder einmal. Sie, das sind die engsten Vertrauten von ÖVP-Chef Kurz, die beim Ex-Kanzler in der Wohnung die ORF-Wahlberichterstattung verfolgt haben. Und nun haben sie - neben der fragilen Variante einer Minderheitsregierung - mit Rot, Blau und Grün drei Optionen, mit wem sie die nächsten Jahre an den Hebeln der Macht sitzen wollen.
Türkis-Grün aktuell am wahrscheinlichsten
Weiter geht es nun wie folgt: Nach einem blauen Montag der Türkisen dürfte Kurz den einen oder anderen Parteichef zum Vieraugengespräch treffen. Dienstag setzt sich Kurz in der Parteiakademie mit den schwarzen Landeschefs zusammen. Der Regierungsauftrag durch den Bundespräsidenten ist nicht vor Freitag zu erwarten. Dann wird einmal offiziell „sondiert“ - und weil die ÖVP, das wurde der „Krone“ versichert, aus Ressourcengründen nicht mit mehreren Parteien zugleich verhandeln will, wird sich die Volkspartei in den nächsten Wochen für einen Wunschpartner entscheiden und den Koalitionspoker mit ihm eröffnen. Insidern zufolge ist ein türkis-grüner Pakt die ÖVP-Wunschkoalition - denn mit Rot tun sich Kurz-Intimi extrem schwer, und eine türkis-blaue Neuauflage ist nicht nur wegen FPÖ-Absagen schwer möglich.
Dass ÖVP und Grünen im Bundesrat - der zweiten Kammer des Parlaments - übrigens die Mehrheit fehlt und demnach jedes Gesetz eine wochenlange mühselige Extrarunde drehen könnte, wäre laut ÖVP-Insidern kein Hindernis. Auch türkis-grüne Diskrepanzen in puncto Migration wären Kennern zufolge kein ultimativer Ausschlussgrund, der ÖVP wichtige Weichen seien hier ja schon gestellt.
Kronen Zeitung/krone.at
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