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Wechsel in Kapfenberg

Wo man sich als Stadtchef verbale Watsch‘n abholt

Steiermark
23.06.2024 06:00

Umbruch in der Arbeiterstadt Kapfenberg: Matthäus Bachernegg (49) löst Fritz Kratzer (69) als Bürgermeister ab. Im „Krone“-Interview erzählen sie, warum die SPÖ Kapfenberg Unternehmer nicht als Feinde sieht, man als Stadtchef nie privat ist und wo man sich die verbalen Watsch‘n abholt.

„Krone“: Herr Kratzer, wie geht es Ihnen nach der ersten Woche außer Dienst?
Fritz Kratzer: Gefühlsmäßig bin ich noch im Urlaub und nicht in der Pension. Keine Ahnung, wie lange das dauert. 

Beschreiben Sie bitte das Amt des Bürgermeisters von Kapfenberg in wenigen Sätzen!
Kratzer: Als Bürgermeister ist man für die Menschen ein Anker. Wenn eine Situation scheinbar ausweglos ist, ist man oft die letzte Instanz, zu der sie gehen. Zum anderen ist es wichtig, eine Stadt vorwärtszubringen. Da muss man beharrlich sein und sein Netzwerk nutzen.

Gibt es als Bürgermeister einen freien Tag?
Kratzer: Nein, Bürgermeister ist man 24 Stunden lang und das sieben Tage in der Woche. Man wird oft an der Straße vorsichtig angeredet: „Ich weiß eh, jetzt sind Sie privat …“. Ich habe immer geantwortet: „Ich bin nie privat.“

Beim „Krone“-Interview im Kapfenberger Rathaus (Bild: Stadtgemeinde Kapfenberg)
Beim „Krone“-Interview im Kapfenberger Rathaus

Wie hat Corona den Umgang der Bürger mit der Politik verändert?
Kratzer: In der ersten Welle haben die Menschen oft Orientierung benötigt. Später ist eine riesige Kluft in der Gesellschaft aufgegangen, etwa bei den Themen Testen und Impfen. Man hat das Gefühl gehabt, jeder haut dem anderen auf den Schädel. Man hat Enkelkinder in anderen Bezirken nicht besuchen können oder die sterbende Mutter im Pflegeheim, das war für die Menschen dramatisch. Ich habe damals mit dem Kapfenberger Polizeichef vereinbart, wir strafen auf keinen Fall, wir machen nur auf Dinge aufmerksam. Ich habe mich vorrangig daran orientiert, was mein Gefühl sagt.

Herr Bachernegg, wie war Ihr Weg in die Politik?
Matthäus Bachernegg: Vor neun Jahren habe ich mich auf der Couch vor dem Fernseher über das Ergebnis einer Wien-Wahl geärgert, weil HC Strache so viel gewonnen hat. Da habe ich mich entschlossen, politisch tätig zu werden und mich am nächsten Tag freiwillig bei der SPÖ gemeldet, weil sie meine Werte am besten abbildet. Ich war immer politisch interessiert, davor aber nicht politisch tätig. Es war nie der Plan, Stadtrat oder gar Bürgermeister zu werden.
Kratzer: Das hab ich ihm „draufgeschupft“ (lacht).
Bachernegg: Als ich gefragt wurde, ob ich Stadtrat werden möchte, habe ich mit meiner Frau bei einer Flasche Wein darüber geredet. Beim Bürgermeisteramt hat sie gemeint: Jetzt ist eh schon wurscht.

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Es war nie der Plan, Stadtrat oder gar Bürgermeister zu werden.

(Bild: Traby Jakob/Jakob Traby)

Matthäus Bacherngg

Wo sehen Sie die großen Aufgaben für die nächsten Jahre?
Bachernegg: Wir sind eine sehr erfolgreiche Stadt, diesen Weg will ich weitergehen. Es gibt viele kleine Räder, an denen man drehen kann, um noch besser zu werden – da bin ich perfektionistisch. Es wird keine Prestigeprojekte geben. Für Gemeinden ist die Budgetsituation eine große Herausforderung, auch eine extrem finanzkräftige Stadt wie Kapfenberg muss jeden Euro zwei- bis dreimal umdrehen.

Herr Kratzer, Sie haben in einem „Krone“-Interview 2017 die Zusammenarbeit mit den Bürgermeistern der Region gelobt. Gilt das immer noch?
Kratzer: Das ist so geblieben. Gerade jetzt, wo es bei den Budgets eng wird, sind wir noch mehr zusammengerückt. Alle haben die gleichen Sorgen. Wir sind keine Konkurrenten.
Bachernegg: Ich glaube aber, wir müssen noch stärker zusammenarbeiten. Wir sind eine ganz starke Region von Mürzzuschlag bis Trofaiach und in der Steiermark ein gutes Gegengewicht zum Großraum Graz. Teilweise gibt es aber noch Kirchturmdenken.

Kapfenberg leidet immer noch am alten, grauen Industrie-Image.  (Bild: TVB Hochsteiermark/Nicole Seiser)
Kapfenberg leidet immer noch am alten, grauen Industrie-Image. 

Wir haben 2017 auch über das alte Industrie-Image der Region gesprochen. Hat sich das bis heute verändert?
Kratzer: Nun ja, dem Image der Industriestadt, in der es aus den Kaminen raucht, müssen wir schon noch entgegenwirken. Das ist vielleicht eine Generationenfrage.
Bachernegg: Wir brauchen mehr Selbstbewusstsein. Wir können stolz darauf sein, eine Arbeiterstadt zu sein, mit vielen Weltmarktführern, die wegen der besten Mitarbeiter hier sind. Ich hatte bei meiner Druckerei Kunden aus Wien, die graue Industriegebäude erwartet haben und dann überrascht waren, wie grün und schön die Stadt ist.

Die FH Joanneum zieht nächstes Jahr erstmals in Richtung Innenstadt. Was erwarten Sie sich davon?
Bachernegg: Mit jungen Menschen belebt man eine Innenstadt - mit Gastro und Handel ist das derzeit ja wahnsinnig schwierig. Die FH wird ein Brückenkopf zwischen Europa- und Hauptplatz. Wir hoffen auf noch mehr Studiengänge, ein Grundstück zum Ausbau haben wir uns gesichert.

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Wenn das Werk abgewandert wäre, hätten wir die Zukunft verloren. Wir leben nicht vom Tourismus, wir leben davon, die Böhlerstadt zu sein.

(Bild: Traby Jakob/Jakob Traby)

Fritz Kratzer

Wie kann man Bedeutung des neuen Voestalpine-Edelstahlwerks einschätzen?
Kratzer: Die Entscheidung war eine Absicherung für Generation. Die Lebensdauer ist ja mit 70 Jahren angesetzt. Wenn es woanders gebaut worden wäre, etwa in China, wäre das für Europa fatal gewesen. Wäre das Werk abgewandert, hätten wir die Zukunft verloren. Wir leben nicht vom Tourismus, wir leben davon, die Böhlerstadt zu sein. Wenn du bei uns eine Siedlung baust, hast du sofort eine Bürgerbewegung dagegen. Wenn du ein Edelstahlwerk baust, war jedem Kapfenberger klar, das brauchen wir.

Fakten

  • Kapfenberg ist mit mehr als 22.000 Einwohner nach Graz und Leoben die drittgrößte Stadt der Steiermark. Sie ist geprägt von starken Industriefirmen wie Voestalpine (Böhler) und Pankl, die Durchschnittslöhne in der Region sind hoch.
  • Fritz Kratzer löste 2017 Manfred Wegscheider als Bürgermeister von Kapfenberg ab. Nun übergibt er ein Jahr vor der Gemeinderatswahl an Matthäus Bachernegg.
  • Insgesamt gab es in der seit 2020 laufenden Legislaturperiode in 71 steirischen Gemeinden einen Bürgermeisterwechsel. In Fohnsdorf traten sogar schon zwei Ortschefs zurück.

Herr Bachernegg, Sie waren erfolgreicher Unternehmer. Dieser Hintergrund ist für einen SPÖ-Bürgermeister eher ungewöhnlich.
Bachernegg: Bei uns in der SPÖ Kapfenberg ist der Unternehmer kein Feindbild.
Kratzer: Man kann Geld nicht nur verteilen, man muss es auch einnehmen. Es gab oft auch in unserer Fraktion Wünsche, die in die Hunderttausenden Euro gingen. Ich habe dann gefragt: „Und wo sparen wir ein?“

Wie blicken Sie als SPÖ-Politiker auf die National- und Landtagswahlen im Herbst?
Bachernegg: Wir müssen den Turnaround schaffen. Das Ergebnis der Europawahlen hat mich enttäuscht, da brauchen wir nichts zu beschönigen. Wir müssen hart arbeiten und Lösungen präsentieren. Für die Landtagswahl bin ich sehr zuversichtlich.

Stehen vor entscheidenden Wahlen: Anton Lang (links) in der Steiermark, Anton Babler auf nationaler Ebene (Bild: Christian Jauschowetz)
Stehen vor entscheidenden Wahlen: Anton Lang (links) in der Steiermark, Anton Babler auf nationaler Ebene

Anton Lang hat gefordert, dass die SPÖ in der Migrationsfrage nachschärft. Stimmen Sie dem zu?
Bachernegg: Es braucht gewissen Zuzug wegen der demografischen Entwicklung. Die Zugezogenen müssen sich aber integrieren und unsere Gesellschaft akzeptieren – man muss ihnen aber auch Chancen und Arbeit geben. Ich denke, man muss genau auf die Bevölkerung hören und sie nicht überfordern.
Kratzer: Im Pflegeheim sind Menschen aus 17 Nationen beschäftigt. Wenn die nicht wären, wer würde unsere alten Menschen betreuen? Jenen Migranten, die Hilfe brauchen, muss man helfen. Wer sich nicht benimmt wie ein Gast, hat das Gastrecht verloren. Da muss man auch über die Menschenrechtskonvention reden. Wir hatten in Kapfenberg ein Problem mit einem tschetschenischen Verbrecher, den man nach der Haft nicht abschieben konnte. Der ist frei herumgelaufen. Das ist eine Katastrophe, das verstehen die Menschen nicht.

Beschäftigt das Thema Teuerung die Bevölkerung noch sehr?
Bachernegg: Ja, jetzt war gerade Dame da, deren Wohnung viel teurer geworden ist. Sie hat nur eine kleine Pension. Das stellt Leute vor riesige Herausforderungen. Das ist das Besondere an der Kommunalpolitik: Wir sitzen nicht irgendwo oben, sondern gehen raus zu den Menschen. Wir bekommen am Hauptplatz (direkt vor dem Rathaus, Anm.) gleich eine verbale „Watschn“, wenn du einen Blödsinn gemacht hast. Man hört aber auch die positiven Sachen. Vielleicht sollten die großen Politiker einmal in die Stadtpolitik wechseln.
Kratzer: Aber nicht zu lange, die verhauen alles (lacht).

Herr Kratzer, zum Abschluss: Werden Sie ein politischer Mensch bleiben?
Kratzer: Ja, aber ich werde mich vor großen politischen Gremien fernhalten. Meine Telefonnummer kennt der neue Bürgermeister, er kann mich jederzeit anrufen. Aber ich werde nicht von hinten reinreden.

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