Nach dem Zusammenbruch der Monarchie gab es ungeklärte Grenzfragen, die ab November 1918 in Kärnten zu blutigen Kämpfen führten, denn der neue SHS-Staat stellte Gebietsansprüche. Erst nach der Volksabstimmung konnte die Grenze gezogen werden – und „Carinthia“ rief noch im Oktober 1920 zum Bruderkuss auf.
Auf fünf von sieben Kontinenten wird derzeit in Kriegen und bewaffneten Konflikten gekämpft – nur in Australien und in der Antarktis, wo ja kaum Menschen leben, sprechen nicht die Waffen. Was die Bewohner der Kriegsgebiete erleben, kannten auch Generationen vor uns nur allzu gut: „Das Jahr 1918 war geprägt von Streiks und Hungerrevolten. Die Not war im Ersten Weltkrieg deutlich größer als im Zweiten. Die Männer waren weg, die Frauen kämpften ums Überleben. Es gab Aufschreie, wenn kein Essen da war; oft nicht einmal Notbrot, das mit Sägespänen, Kleie, Eicheln versetzt war. Die Front war prioritär, die Zivilisten revoltierten“, erzählte Wilhelm Wadl, der damalige Direktor des Landesarchivs, vor dem 100-Jahr-Jubiläum der Kärntner Volksabstimmung.
Das Vielvölkerreich der Monarchie brach auseinander. Wadl: „Die Deutschösterreicher mussten einen eigenen Staat gründen, sonst war ja kein Volk mehr da.“ Am 11. November 1918 eröffnet Landesverweser Arthur Lemisch die vorläufige Landesversammlung, der Beitritt zum Staat Deutschösterreich wird beschlossen.
In Klagenfurt und Spittal sind ihm Plätze, in Villach sowie St. Veit und anderen Gemeinden Straßen gewidmet: Arthur Lemisch (1865-1953) ging als Landesverweser – als Vorsteher der provisorischen Landesversammlung von 1918 bis 1921 – in die Geschichte ein. Der Rechtsanwalt und Gutsbesitzer, ihm gehörte Schloss Kölnhof in St. Veit, war ab 1896 Landtagsabgeordneter, saß bis 1907 im Reichsrat und war – bevor er 1927 Landeshauptmann wurde – Landesverweser. Lemisch war somit eine der wichtigsten Persönlichkeiten des Kärntner Abwehrkampfs.
Am 12. November wurde in Wien die Republik ausgerufen. Wadl: „Da gab es bereits die Grenzfrage; nicht nur in Kärnten; auch Tirol, die Steiermark, Niederösterreich hatten diese. Im Burgenland stellte Deutschösterreich Gebietsansprüche.“
Schon am 6. Oktober hatte sich in Agram (Zagreb) ein Nationalrat der Slowenen, Kroaten und Serben konstituiert, der das Vertretungsrecht für alle in der Monarchie lebenden Südslawen beanspruchte. Am 1. Dezember wurde das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (SHS) gegründet. Während dieser Staat Gebietsansprüche in Kärnten stellte, verlor die junge Republik Österreich durch die Pariser Friedenskonferenz Territorium – doch nicht in Kärnten. Dort kam es ab November 1918 zu Kämpfen, zum Kärntner Abwehrkampf.
Am 7. November 1918 begann die Besetzung der südlichen Landesteile Kärntens durch südslawische Verbände: Nachdem die Jugoslawen das Mießtal geplündert hatten, besetzten sie heute vor 100 Jahren Prävali (Prevalje), Gutenstein, den Bahnhof Unterdrauburg (Dravograd).
Besetzung bedeutet: Neue Arbeit, neuen Wohnort suchen
„Besetzung heißt immer: Die Besatzer übernehmen die Gemeindeverwaltung und setzen bisherige Beamte ab. Besetzung ist also für einige mit dem Verlust der Arbeit und mit dem Wegziehen von ihrem bisherigen Wohnort verbunden. Viele zogen nach Deutschösterreich. Dieses Vorgehen gilt wechselseitig: Nicht deutschstämmige Offiziere wurden nach dem Ende der Monarchie weggeschickt“, so Historiker Wilhelm Wadl.
Jugoslawische Behörden internierten zahlreiche deutschsprachige Kärntner in Laibach und Marburg, Kärntner Behörden inhaftierten mehr als 300 Kärntner Slowenen in Lagern in Oberkärnten. „Die Inhaftierten wurden als wechselseitiges politisches Faustpfand benutzt“, erinnerte der Historiker und heutige Landesarchiv-Direktor Thomas Zeloth in einem Vortrag.
Es kam zu einer Flüchtlingswelle. Wien schickte für die Kriegsflüchtlinge Kleidung, Schuhe, Decken und ein Taggeld.
Opfer auf beiden Seiten
„Die Verluste an Menschenleben waren für beiden Seiten beträchtlich: Österreich hatte rund 270, Jugoslawien über 150 Opfer der Kampfhandlungen zu beklagen, dazu kamen zahlreiche Verwundete auf beiden Seiten“, heißt es im Buch „Der 10. Oktober 1920 – Kärntens Tag der Selbstbestimmung“, herausgegeben vom Kärntner Landesarchiv – Alfred Ogris, Wilhelm Deuer, Wilhelm Wadl, Barbara Felsner, Evelyne Webernig.
Zündende Idee: Volksabstimmung!
Dann kam es zur für damalige Zeiten unüblichen Idee, die Menschen sollen selbst über die Grenzziehung entscheiden: Im März 1919 wurde erstmals die Forderung nach einer Volksabstimmung gestellt, im Jänner 1920 suchte die Kärntner Landesregierung beim Finanzministerium um Geldmittel für die Volksabstimmung an. Für die Propagandaarbeit vor der Abstimmung wurde im März 1920 der Kärntner Heimatdienst gegründet.
Der Abstimmungstag wurde als Festtag begangen
Am 10. Oktober 1920 öffneten um 7 Uhr 97 Wahllokale. Teils singend, teils festlich gekleidet und mit Kärntner Abzeichen geschmückt, schritten äußerst viele zur Urne. Mancherorts waren aus Blumenkränzen Triumphbögen errichtet worden, wie Martin Wutte in „Kärntens Freiheitskampf 1918-1920“ (Verlag des Geschichtsvereines für Kärnten) berichtet.
Eine Wahlbeteiligung, die heute unvorstellbar ist
Zu Mittag waren die meisten Stimmen abgegeben, um 18 Uhr war Wahlschluss. Die interalliierten Beobachter staunten über die extrem hohe Wahlbeteiligung von 95,8 Prozent.
59 Prozent für Österreich
Am 11. Oktober begann die Auszählung, am späten Abend des 13. Oktobers stand das Ergebnis fest: 59 Prozent für den Verbleib bei Österreich! Da also 22.025 grüne Zettel abgegeben wurden, müssen, so Historiker Wilhelm Wadl im Buch „Der 10. Oktober 1920 – Kärntens Tag der Selbstbestimmung“, mindestens 10.500 Kärntner mit slowenischer Umgangssprache für Österreich votiert haben.
Albert Peter-Pirkham, das österreichische Mitglied der Abstimmungskommission, verkündete am 13. Oktober auf dem Neuen Platz in Klagenfurt das Ergebnis der Volksabstimmung vom 10. Oktober. Der Platz war in ein Lichtermeer getaucht, Jubel brandete auf und sollte tagelang nicht abebben.
Doppelbecher und Bruderkuss
Von 23. bis 25. Oktober wurde in Klagenfurt das „Kärntner Heimatfest“ gefeiert - mit Trachtenumzug, Feldmesse und einem symbolischen Akt der Versöhnung: Die allegorische Frauengestalt Carinthia rief einen Deutschen und einen Slowenen, den Pischeldorfer Anton Wieser und den Maria Rainer Jakob Lutschounig auf, aus dem eigens dafür angefertigten Doppelbecher Wein zu trinken. Sie aßen zudem gesalzenes, geteiltes Brot und gaben einander den Bruderkuss.
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